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Nördlich der A24

Auf den Spuren von Hans Brandt

Wachtürme und kilometerlange, mit Stacheldraht versehene Zäune, an denen Soldaten entlang patrouillieren – so sah er aus, der eiserne Vorhang, der die Bundesrepublik einst von einem Staat Namens DDR trennte. Im Hier und Jetzt kann man sich das kaum noch vorstellen. Auch Lothar Obst nicht. 30 Jahre nach dem Mauerfall sind die finsteren Utensilien des DDR-Grenzregimes verschwunden. „Die Grenze“, sagt Obst, „existiert für mich nicht mehr.“ Heute heißt der einstige Todesstreifen „Grünes Band“ und ist Lebensraum für zahllose Tiere und Pflanzen.

Dass über die Grenze mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes Gras gewachsen ist, damit kann Obst gut leben. Dass dies nicht mit der politischen Erinnerung geschieht, daran arbeitet er. Zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung hat er mit der Stiftung Herzogtum Lauenburg am Sonnabend, 26. Oktober, eine Busfahrt zu Fluchtorten an der ehemaligen Grenze organisiert. „Wir treffen uns vor allem mit Betroffenen und Zeitzeugen aus dem Osten“, erklärt Obst. „Deren Sichtweise wollen wir zeigen.“

Ein Halt liegt an der B 208 in Mustin. Dort gelang am 28. Januar 1982 Hans Brandt – schwerverletzt – die Flucht. Der 37-Jährige hatte sich mit Hilfe eines Straßenschildes unter dem Grenzsignalzaun durchgezwängt und dann beim Überwinden eines weiteren die Selbstschussanlagen ausgelöst. Er überlebte, weil ihn ein Bundesgrenzschutz-Suchtrupp fand und ins DRK Krankenhaus Ratzeburg brachte. Was dann weiter geschah, verrät auf der Exkursion unter anderem der ehemalige Verwaltungschef des Krankenhauses.

An einen weiteren Fluchtversuch im Kreis nach 1982 kann sich Obst, der seit 1981 in der Region zu Hause ist, nicht erinnern. Die Grenze war aber auch so stets präsent. „Als Bürger der BRD hat sie uns ausgesperrt.“ Gleichwohl waren Reisen in die DDR möglich. Obst selbst erinnert sich an eine Tour nach Wismar und Ludwigslust, die er damals mit dem Heimat- und Geschichtsverein unternahm. Der bürokratische Aufwand dafür sei ziemlich groß gewesen. Man habe vorab die Personalien angeben und noch vor der Einreise Zählkarten ausfüllen müssen. Vor Ort habe man sich dann nicht frei bewegen können. „Wir hatten immer einen Reisebegleiter dabei.“

Auch sozioökomisch hatte die Grenze folgen: Abgeschnitten vom ehemaligen Osten eines deutschen Gesamtstaates war der Kreis Herzogtum Lauenburg Zonenrandgebiet und wurde finanziell gesondert gefördert. Eine Maßnahme, die bei der Ansiedlung von Unternehmen, beim Sportplatzbau und bei der Gestaltung des kulturellen Lebens helfen sollte. Aber um westdeutsche Belange soll es bei der Bustour entlang der Grenze nicht gehen. Vielmehr ist es mit Blick auf den 30. Jahrestag zum Mauerfall sein Ansinnen die Menschen zu würdigen, die das DDR-Regime zum Einsturz gebracht haben. „Ich möchte keine Jubelfeier aus westdeutscher Sicht“, so Obst.

Exkursion „Fluchtorte an der Grenze zum Kreis Herzogtum Lauenburg“, 26. Oktober, Abfahrt in Mölln vom Quellenhof (8 Uhr) und vom ZOB (8.15 Uhr), Abfahrt in Ratzeburg vom Marktplatz (8.45 Uhr). Anmeldungen unter Tel. 04542/87000 oder info@stiftung-herzogtum.de. Begleitet wird die Tour von der Wissenschaftlerin Dr. Sandra Pingel-Schliemann (Beckendorf). Getränke und Imbiss gibt es am Bus. Die Rückkehr ist gegen 17 Uhr in Mölln, anschließend in Ratzeburg geplant.

https://kulturportal-herzogtum.de/2019/10/14/ddr-zeitzeugengespraech-stadthauptmannshof-moelln/