Kategorien
Nördlich der A24

Probezeit

[vc_row][vc_column][vc_column_text][/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Christian Skobowsky hat den Kindern ein Zeichen gegeben. „Deposuit potentes de sede et exaltavit humiles…“, ertönt es. Kaum zu glauben, dass das, was sich da zu einem Klangkörper verbindet, nur elf Stimmen hat. Okay – mit Sabine Skobowsky und Susanne Lessing sind auch noch zwei Erwachsene mit dabei. Trotzdem.

Die Domfinken proben im Refektorium des Ratzeburger Doms für die Aufführung „Weihnachten in Venedig“. Das „Magnificat“ Antonio Vivaldis ist ihr Thema und die Nachwuchssänger demonstrieren, dass sich die berühmte Lagunenstadt zumindest musikalisch mal eben um die Ecke verlegen lässt. Im 21. Jahrhundert erscheint das nicht sonderlich spektakulär. Der Venezianer Vivaldi, der seiner Heimatstadt einen Sound gegeben hat, ist heute eine Berühmtheit. Das war aber nicht immer so.

Der Komponist der „Vier Jahreszeiten“ war nach seinem Tod in Vergessenheit geraten. Seine Noten verstaubten gut 200 Jahre in irgendwelchen Schubladen, ehe sie 1926 über einen Nachlass wieder auftauchten.

Seitdem ist Vivaldi auf dem Siegeszug. Domkantor Skobowsky spielt auf der Orgel kurz eine Passage an und reckt den Arm. Er arbeitet daran, diesen Siegeszug fortzusetzen. „Ihr müsst das singen, als wenn ihr eine Panzerschranktür öffnet“, fordert er. Die Kinder folgen ihm. Skobowsky ist zufrieden und wendet sich der nächsten Passage zu.

Zweieinhalb Wochen sind es noch bis zur Aufführung. Also nicht mehr viel Zeit für den Feinschliff. „Das muss da oben fröhlicher klingen“, moniert der Kantor jetzt und wiederholt eine Tonfolge. Die Kinder fallen ein. „Das ist gut gesungen“, lobt Skobowsky, „aber ihr müsst euch vorstellen, dass da die Geigen noch zukommen.“ Um von diesen nicht übertönt zu werden, sollen die Finken eine stärkere Betonung auf die Vokale legen. Auch das klappt.

Die Kinder dürfen sich jetzt setzen. Die ganze Übungsstunde auf den Beinen – das wäre zu anstrengend, auch wenn es sich im Stehen besser singen und atmen lässt.

Der Chorleiter hat im Umgang mit dem Nachwuchs offensichtlich seinen Stil gefunden. Seine Anweisungen sind freundlich im Ton, aber immer klar und unmissverständlich. Gleichzeitig schwingen immer Nähe und Vertrautheit und die Begeisterung für die Sache mit. Er spielt, er dirigiert, er singt, er erklärt, er verbessert. Ein musikalischer Fünfkampf, für den er zwischen Orgel und Klavier und den Kindern hin- und herpendelt.

Und die Kinder? Sie sind weit weniger hyperaktiv. Sie machen einfach. Hier und da wird mal jemand angestupst oder geneckt oder es wird eine Grimasse geschnitten, aber zumeist sind sie bei der Sache.

„Schließt die Augen und hört darauf, was der Nachbar singt“, sagt der Domkantor. „Das ist einstimmig.“ Die Domfinken schließen die Augen und werden wieder zum Klangkörper. Skobowsky ist einverstanden, schiebt aber mahnend hinterher: „Wenn ihr einstimmig singt, dann hört man jeden Krümel.“

Seit Herbst üben die Domfinken das „Magnificat“. Fünf Teile haben sie einstudiert. Drei davon sitzen schon. An den letzten beiden müssen Chor und Kantor noch feilen. Für heute aber ist es genug. Die Konzentrationsfähigkeit der Kinder hat spürbar nachgelassen.

„Das Ganze entsteht nach dem Baukastenprinzip“, erklärt Skobowsky nach der Probe. Es sei leichter, die einzelnen Bausteine am Ende zusammenzusetzen. Für das „Magnificat“ benötige er vier Sopranstimmen. Die höchste werde mit Unterstützung einiger älterer Sängerinnen von den Domfinken gesungen. Die drei anderen übernehme der Domchor. Hinzu kommen die Solostimmen und das Orchester, die für die Aufführung gebucht sind. „Am Abend vor dem Konzert wird dann zum ersten Mal gemeinsam geprobt.“ Für ihn sei das immer auch ein Ausnahmezustand. Schließlich müssten am Ende alle mit allen harmonieren und es komme schon mal vor, dass Instrumentalisten unterschiedliche Auffassungen haben, wie ein Stück zu spielen sei. „Die muss ich dann zusammenbringen.“

Bis zur Generalprobe dreht sich für Kantor Skobowsky also alles um die Chöre. Am Abend nach den Finken ist der Domchor dran. Auch er hat sich im Refektorium versammelt. Eben stand noch Bach auf dem Programm. Den haben die Frauen zusammen mit den Männern gesungen. Jetzt nach der Pause ist Marias Lobgesang auf den Schöpfer – alias das „Magnificat“ – dran. Dafür sind allein die Frauen zuständig.

Skobowsky sitzt wieder an der Orgel. Er drückt den Rücken durch und lässt die Hände mit Nachdruck auf die Tastatur gleiten. Ein Akkord erklingt. Die Frauen fallen ein: „Gloria Patri, Gloria filio et spiritui sancto…“. Sie singen vierstimmig. Ja, es ist vierstimmig – „auch wenn man es nicht denkt“, wie Chorsängerin Reisener einräumt. Und es klingt wunderbar. Obwohl heute viele Sängerinnen krank sind, wie Domkantor Skobowsky – Ehemann von Reisener– erklärt hat. – „Besser jetzt als nächste Woche!“ – Obwohl man merkt, dass die Sängerinnen an der einen oder anderen Stelle noch etwas zaghaft mit dem Gesang einsetzen. Das wiederum ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Domchor im September Bachs Kantate „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ und Mitte November Brahms „Deutsches Requiem“ gesungen hat.

Ein großes Chorwerk jagt das nächste. Es gibt weniger anstrengende und anspruchsvolle Freizeitbeschäftigungen. Zumal zu beiden wöchentlichen Übungsstunden auch noch drei Probenachmittage oder ein Chorwochenende sowie die jeweilige Generalprobe hinzukommen. Das muss man wollen.

„Singen ist für mich etwas Absolutes“, versucht Sabine Reisener ihre Motivation zu erklären. Dafür lasse sie alles außen vor, den gesamten Alltag. Sie konzentriere sich allein auf den Gesang. Gleichzeitig gehe es um eine Gemeinschaftsleistung. „Man ist bereit, gemeinsam etwas zu schaffen“. Auch das mache den Reiz aus. Allerdings, räumt sie ein, dürfe die Chormusik weder zu schwer noch zu leicht sein. Sonst leide die Motivation.

Zumindest an diesem Abend ist die Gefahr nicht gegeben. Wie die Domfinken am Vortag ziehen die Frauen mit, nehmen sich die Tipps des Chorleiters zu Herzen. Dass es beim Anstimmen von „Fecit potentiam“ sinnvoll wäre, „zwischendurch auch mal zu atmen“ und dass eine deutlichere Betonung der Vokale von Vorteil wäre. Das ABC des Gesangs gilt eben für Jung und für Alt.

Termine: Weihnachten in Venedig. Sonnabend, 22. Dezember, um 19 Uhr und Sonntag, 23, Dezember, um 12 Uhr im Ratzeburger Dom. Karten gibt es im Vorverkauf in der Buchhandlung Weber, Herrenstraße 10, in Ratzeburg und – falls  vorhanden – an der Abendkasse.

Mehr zur Aufführung Weihnachtsaufführung der Ratzeburger Dommusiken:

https://kulturportal-herzogtum.de/2018/12/10/made-in-venezia/

https://kulturportal-herzogtum.de/2018/12/10/wer-singt-und-spielt-denn-da/

[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]