Das Grenzhus Schlagsdorf arbeitet derzeit an einer Ausstellung zum Barber-Ljaschtschenko-Abkommen – einem Gebietstausch zwischen den Besatzungsmächten Großbritannien und der Sowjetunion im November 1945 – rund ein halbes Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Tausch fand direkt vor unserer Haustür statt. Er betraf Dörfer im Lauenburgischen und Mecklenburgischen. Mit Jochen Friedrich hat das Grenzhus einen Zeitzeugen aus Hakendorf ausfindig machen können. Leiter Andreas Wagner sprach mit ihm über seine Erinnerungen. Hier lesen Sie seinen Bericht.
Jochen Friedrich ist 1931 in Schlesien geboren. Die Familie betreibt in Metkau (heute Mietków) bei Breslau eine kleine Landwirtschaft. Sie flüchtet Ende des Krieges mit vier Pferden und zwei Wagen in Richtung Westen und landet in Britz bei Eberswalde. Sieben Menschen gehören zur Gruppe, darunter Stiefvater, Mutter und Jochen Friedrich.
Ende April 1945 erreicht die Gruppe Schwerin. Von dort zieht sie weiter Richtung Westen. In Bennin, dann Tüschow (südöstlich von Zarrentin) und Granzin (bei Boizenburg) finden die Flüchtenden schließlich Unterkünfte. Das Kriegsende nehmen sie kaum wahr. Als die Briten Westmecklenburg am 1. Juli 1945 an die Russen übergeben, dürfen sie vom Stall in ein Zimmer ziehen. Von Juli bis Dezember 1945 kommen sie in einer leerstehenden Jagdhütte, ohne Strom und Wasser, unter.
Die Versorgung der Pferde gehört zu den Pflichten von Jochen Friedrich. Schon früh geht er mit ihnen los, damit sie am Wegesrand Futter finden. Eine Weide haben sie nicht. Das Hab und Gut der Flüchtlinge ist auf dem größeren und gummibereiften Wagen untergebracht: Kleidung, Waschwanne und Betten. Auf dem kleineren transportieren sie Hafer für die Pferde.
Weihnachten 1945 hört der Stiefvater von den leergezogenen Dörfern am östlichen Schaalseeufer. Fast alle Einwohner sind den abziehenden Briten gefolgt. Der Stiefvater erkundet die Lage und findet ein leeres Haus in Hakendorf. In dem Ort sind nach Abzug der Briten nur noch zwei Häuser bewohnt: Familie Bruhn und Fischer Drostatis. Am 2. Januar 1946 zieht die Familie in das abgelegene Dorf nördlich von Zarrentin. Sie hat Glück – im Stall liegt das ungedroschene Getreide, in der Miete die Futterrüben. Die Felder sind bestellt.
Dennoch ist der Anfang schwer. Es fehlen Technik und Werkzeuge. Das Dorf ist von der Außenwelt abgeschnitten und das Grundwasser liegt tief. Im Dorf sind sowjetische Soldaten für den Grenzdienst untergebracht. Sie beanspruchen oft Pferd und Wagen für Transporte in die umliegenden Orte, was man ihnen nicht verweigern kann.
Besonders aufwändig ist der Transport der gemolkenen Milch. Jeden Tag muss sie in die 13 Kilometer entfernte Molkerei nach Zarrentin gebracht werden. Die Familien aus dem Dorf wechseln sich mit dem Transport ab.
Mangelware sind in diesen Tagen Schmiede und Eisenmaterial. So geht der Stiefvater im ersten Winter mit den Pferden über den zugefrorenen Schaalsee nach Schleswig-Holstein, um die Pferde beschlagen zu lassen oder Hufnägel und Hufeisen gegen Butter zu tauschen.
1950 verlässt Jochen Friedrich Hakendorf, um auf die Landwirtschaftsfachschule zu gehen. Nach einem schweren Unfall geben Stiefvater und Mutter die Landwirtschaft 1960 auf und verlassen Hakendorf. Der Stiefvater stirbt 1962.
Die Häuser in Hakendorf fallen in den 1970er Jahren der DDR-Grenzsicherung zum Opfer. Auch das Haus, in dem Jochen Friedrich 1946 eine neue Heimat findet, muss weichen. Heute lebt er in Hagenow. Gleichwohl lässt ihn sein altes Zuhause nicht los. Er sucht Kontakt zu Alt-Hakendorfern, die 1945 das Dorf verlassen haben.