Es ist ein stiller Dienstagmorgen am Grünen Weg. Sturm und Wind haben sich endlich mal verzogen. Das Wetter ließe sich auch symbolisch deuten: Berit Kröner ist allein. Kinder und Ehemann sind unterwegs. Für den Besuch von Kulturportal-Herzogtum.de hat sich die Ratzeburger Künstlerin eine sturmfreie „Bude“ verschafft. Kröner ist Mitglied im Lauenburgischen Kunstverein (LKV). 2021 zeigte sie eine Auswahl ihrer Arbeiten im Rahmen der LKV-Ausstellung „Kultur trotz(t) Corona“. Vor kurzem hat sie mit ihrer Kollegin Mirja Schellbach die Gemeinschaft „die brachiale“ gegründet. Unter diesem Namen laden die beiden Frauen ab 1. März zu einem Kunst-Happening im Haerder-Center (Lübeck) ein. Zudem planen sie eine Schau im Rahmen des KulturSommers am Kanal. Im Interview mit Kulturportal-Herzogtum.de spricht Kröner über ihren Werdegang und ihre Kunstauffassung.
Kulturportal-Herzogtum.de: Frau Kröner, muss man als Designerin immer auch Künstlerin sein?
Berit Kröner: Ich möchte da nicht für andere Designer sprechen. Bei mir war die Richtung schon vorhanden. Im Studium gab es dann auch die Möglichkeit, in freie Klassen zu gehen. In so einer freien künstlerischen Klasse war ich.
KP: Mir ist zumindest aufgefallen, dass ich – wenn ich mich mit Design beschäftige – immer wieder auf Leute treffe, wo die Kunst automatisch mitschwingt.
Kröner: Das kann schon sein. Ich habe zuletzt festgestellt, dass einige Künstler angefangen haben, ins Design zu gehen und damit den umgekehrten Weg einschlagen. Aber – nochmal – ich kann da nur für mich sprechen. Bei mir war die Kunst immer schon da. Ich merke das auch bei meinen Kindern. Da ist so eine Energie.
KP: Laut Ihrem Lebenslauf waren und sind Sie aber auch sehr stark mit Designarbeiten beschäftigt…
Kröner: Ich bin tatsächlich erst einmal den Weg als Kommunikationsdesignerin gegangen. Das Objekt- oder Industriedesign hat mich dabei auch sehr interessiert. Ich habe Lampen entworfen und gebaut. Die Kunst ist zwar zwischenzeitlich in den Hintergrund getreten, aber sie war nie weg. Sie hat immer gewartet.
KP: Wie ist dieses Künstlerische bei Ihnen zum Ausdruck gekommen?
Kröner: Ich musste immer schon etwas mit den Händen machen. Früher habe ich mit Draht gearbeitet. Dabei sind viele Skulpturen entstanden. Ich habe Drahtlampen, Drahtschildkröten und sogar ein Drahtklapptier gebaut, das man zusammenklappen und mitnehmen kann. So ging es bei mir los. Es passierte einfach. Die Ideen waren die ganze Zeit da. Immerzu.
KP: Kunstvoll hergestellte Lampen sind ja auch „nützlich“. Da gibt es also bei Ihnen eine Brücke zum Funktionellen. Mir kommt da die Bauhaus-Maxime „Form follows function“ in den Sinn…
Kröner: Der Grundsatz „Form follows function“ ist ja nicht gerade neu. Ich drehe es um: „Function follows form“. Mich interessieren in meiner Kunst vor allem natürliche Formen. Ich finde, dass man heute der Naturform folgen muss. Die Natur muss der Gesetzgeber sein. Das gilt auch im Zusammenhang mit Design. Da passiert auch gerade ganz viel. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir nicht nur in der Natur leben, sondern auch ein Teil davon sind.
KP: Einer solches Naturorientierung folgen mittlerweile auch viele Forscher, die an nachhaltigen Innovationen arbeiten. Da fällt mir als Erstes die Nanotechnologie ein. Auf mich wirkt das so, als eröffnete sich hier eine Schnittstelle…
Kröner: Die ist da auf jeden Fall drin.
KP: Welche Rolle hat bei Ihrer Entwicklung eigentlich Fritz Dommel gespielt? Auf Ihrer Webseite haben Sie seinen Namen ausdrücklich erwähnt.
Kröner: Dommel, der leider nicht mehr lebt, war während des Studiums mein Professor. Das Studium war damals so aufgebaut, dass man erst einmal Themen wie Linie, Fläche, Zeit und Raum durchlaufen musste. Danach konnte man sich seine Klasse aussuchen. Dommel war ein freier Grafiker, der die Leute aufnahm, die sich nicht festlegen wollten. Diese Studenten kamen aus der Fotografie, aus der Typografie, aus der freien Kunst. Ich habe damals immer noch gedrahtet. Ich habe mich bei ihm mit einer kleinen Mappe beworben. Er war der erste Prof., der mir sagte, dass ihm das gefällt, was ich da mache. Dommel hat etwas in mir gesehen, hat meine Ideen erkannt. Eigentlich war er recht wortkarg. Es war aber schön, diesen Austausch zu haben. Das fehlt mir heute manchmal…
KP: Inwiefern?
Kröner: Der Austausch mit einem Mentor, was er damals für mich war, ist einfach sehr hilfreich und unterstützend für die vielen Ideen, um sie greifbar zu machen und dann in ein fertiges Projekt umzusetzen. Er hat sich beispielsweise hingestellt und gesagt: „Das ist überflüssig wie ein Kropf.“ Schwierig wurde es mit ihm, als ich ein bisschen Grafikdesign machen wollte. Da hat er gar keinen Bock draufgehabt.
KP: Er war also offensichtlich eher ein Künstler.
Kröner: Auf jeden Fall. Er war Kunstgrafiker. Leider ist von ihm online leider nicht viel zu finden, aber in seiner Region war er sehr angesehen.
KP: Das Studium haben Sie an der Universität der Künste Berlin absolviert…
Kröner: Als ich anfing, hieß es noch Hochschule der Künste Berlin.
KP: Würden Sie sagen, dass Sie in dieser Zeit eine Philosophie entwickelt haben?
Kröner: Das kann man schon so sagen. Ich habe zum Vordiplom damals mein „Meer Stadtbuch“* bei Fritz Lommel gemacht. Auch da habe ich schon Artefakte und Natur zusammengesetzt, woran ich heute wieder anknüpfe. Ich bin da nur zehn Stufen weiter, was die ganze Denke, die dahintersteht, angeht.
KP: „Meer Stadtbuch?“
Kröner: Ich habe damals in Berlin gewohnt und Sehnsucht nach dem Meer gehabt. Ich habe daraufhin angefangen, in der Stadt Fotos zu machen – von Strukturen, von Rauten auf dem Boden, irgendwelchen Linien auf Asphalt und abgeplatzten Fassaden. Als ich dann meine Freundin am Meer besuchte, habe ich dort Wasser, Schaum und Steine fotografiert. Ich habe diese Aufnahmen nebeneinandergelegt und gemerkt: die Rauten, die Linien – irgendwie passt das. Ein bisschen Schieben reichte. Ich fand das total faszinierend. Das wirkte auf mich alles so ähnlich. Es war schön danach durch die Stadt zu gehen und das Meer zu sehen.
KP: Sie schufen sich quasi Ihre Heimat.
Kröner: Genau. Ich bin ja aus Mecklenburg. Aber ich glaube, dass sich auch viele Berliner oder andere Großstädter nach dem Meer sehnen. Ich habe meine Arbeit dann noch weitergetrieben. Ich setzte mich beispielsweise auf die Frankfurter Allee und nahm das Rauschen der Autos auf. Diese Aufnahme schnitt ich mit dem Rauschen des Meeres zusammen. Die Geräuschkulisse ließ sich kaum noch unterscheiden.
KP: Das Meeresrauschen und der Verkehrslärm in schöner Eintracht – das ist für unser kulturelles Selbstverständnis ziemlich irritierend.
Kröner: Man muss da nur mal die Augen schließen und die Fantasie einschalten. Aber Vorsicht: Ich möchte nicht, dass man jetzt denkt, man kann entspannt einfach so weitermachen. Mein Gedanke ist, dass alles, was wir machen, immer irgendwie eine Anleihe bei der Natur ist.
KP: Nur eine Anleihe oder auch schon ein Stück weit Ausbeutung?
Kröner: Ausbeutung sowieso. Die Ausbeutung erfolgt parallel. Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch das Visuelle, das ich sichtbar machen möchte – was ebenso Natur ist.
KP: In Ihrer aktuellen Kunst entdecke ich immer wieder den Zusammenprall einer brachialen Zivilisation mit der Natur.
Kröner: Was ich damit sagen will, ist: Wenn wir Menschen die Sachen stehen lassen, dann kommt die Natur und holt sie sich wieder. Die Menschen können sich etwas noch so Tolles ausgedacht haben, zehn Jahre später sieht das ganz anders aus. Die Sachen verändern sich, wenn sie nicht ständig gewartet und hergerichtet werden. Ihr ursprünglicher Sinn wird langsam leiser oder verschwindet sogar …
KP: Ist das für Sie eine Art Hoffnungszeichen?
Kröner: Ich weiß nicht. Ich wünsche mir einfach Respekt vor der Natur – der sollte einfach unendlich viel größer sein.
KP: Frau Kröner, ich danke Ihnen für das Gespräch.
*Der exakte Titel lautet „Ich suche das Meer in der Stadt“
Die Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg ist Premiumpartner der Stiftung Herzogtum Lauenburg.