Der folgende Text trägt den Titel „Gebrauchsanweisung für neunjährige Jungen“ und stammt aus der Feder von Steffen Stieler (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, erhielt er für seinen Beitrag in der Altersgruppe der Sechs- bis Elfjährigen eine Auszeichnung.
Für alles gibt es Gebrauchsanweisungen, nur nicht für neunjährige Jungen. Aber zum Glück wurde das jetzt geändert. Mit dieser Gebrauchsanweisung erfahren Sie, wie Sie Ihre Neunjährigen gegen die gefährliche Krankheit „Langweilinitis“ schützen können, wie Sie für immer gute Stimmung sorgen und sich selbst nicht ärgern müssen.
- Bei Neunjährigen dürfen Erwachsene nur dann schimpfen, wenn sie sich wirklich sicher sind, dass das Kind absichtlich etwas Schlechtes getan hat. Das ist ein höchst seltener Fall. Das kann die Erwachsenen freuen, denn sie können ihre Stimme schonen.
- Erwachsene sollten Neunjährige nicht zu kritisch anblicken. Kritik sollte nie größer als das Kind sein. Da Neunjährige noch nicht ausgewachsen sind, darf auch die Kritik nicht ausgewachsen sein.
- Neunjährige Kinder sollten genügend Spielzeug haben, da sonst die gar nicht seltene Krankheit „Langweilinitis“ ausbrechen könnte. Sie tarnt sich manchmal als Traurigkeit. Sollte es zu dieser unangenehmen Krankheit kommen, hilft es zum Beispiel, gemeinsam in ein Autohaus zu fahren.
- Auch für Neunjährige ist Obst gesund, keine Frage. Aber ein Tag mit weniger als drei Schokobonbons o.ä. ist offiziell gefährlich! Warum? Na, Schokolade sorgt für genug Zucker, Zucker ist wichtig fürs Denken, und denken müssen Neunjährige sehr viel, z.B. wie der neue Legobausatz gebaut werden muss, wie der Papierflieger schneller fliegt und wie die Kuckucksuhr funktioniert.
- Neunjährige sollten immer Musik machen dürfen, weil sie guten Klang ins Leben bringt. (Könnte sein, dass es für die Erwachsenen nicht immer gut klingt, dafür gibt es Ohrenstöpsel).
- Wenn ein Neunjähriger eine Schwäche hat, darf man ihn auf keinen Fall mit anderen Kindern vergleichen, die diese Schwäche nicht haben. Man sollte sie niemals mit Kindern vergleichen, die immer ihr Schulbrot aufessen, immer die Hausaufgaben aufschreiben, und immer, immer, immer die Hausaufgaben in Turbogeschwindigkeit erledigen.
- Noch schädlicher ist es, die Neunjährigen immer zu hetzen. Die arme Zeit der Neunjährigen mag das nicht. Sonst fängt der Hetzeratis an zu glühen. Ihr wisst nicht, was ein Hetzeratis ist? Da müsst ihr euch gedulden, in Hetze findet ihr das nie heraus.
- Wenn Erwachsene ihren Neunjährigen nicht genügend zuhören, erfahren sie nie, dass der BMW i 8 sein Lenkrad einfahren kann, wo Geheimverstecke und die tiefsten Pfützen sind.
- Neunjährige sollten so viel träumen dürfen, wie sie wollen. Es sollte nie heißen, dass das erste Auto kein BMW i 8 sein wird.
- In der Schule sollte es Fächer geben, wo man sich die Themen selbst aussuchen kann: Roboter bauen, Schaltungen ausprobieren, … Und während dieser Stunden darf man hüpfen und ruckeln und muss nicht still sitzen.
Was für eine schöne Welt für Neunjährige wäre das denn!