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Nördlich der A24

Musikalischer Hühnerhaufen mit schlechtem Klamottengeschmack

Diese Vier haben definitiv einen schlechten Klamottengeschmack. Und einen Vogel haben sie auch. Das ist jetzt nicht nur so dahin gesagt. Ljuban Živanović – er trägt ein schauderhaftes Shirt, auf dem Daisy und Donald Duck zu sehen sind – hat sich gerade mächtig aufgeplustert. Kollegin Freja Sandkamm gibt seltsame Laute von sich, auf die Pauline Gonthier, Ljuban Živanović und Tim Maas mit mindestens genauso seltsamen Lauten antworten. Zusammen klingen sie wie ein Hühnerhaufen.

Spätestens jetzt sind die ersten Spazier- und Strandgänger auf der Schlosswiese in Ratzeburg neugierig geworden. Was geht denn hier gerade ab? Ja, was denn? „Wenn ich ein hübscher kleiner Vogel wär“, intoniert der Tenor Ljuban Živanović. Zwischen Sein und Haben liegt in diesem Fall eine ganze Welt. Wie der Rest des Hühnerhaufens verwandelt er sich nach flatterhaftem Beginn in ein Mitglied des Kanu-Wander-Theater-Gesangensembles. Das Opern-Quartett singt Stücke von Johannes Brahms‘ „Liebesliederwalzer op. 52“-Zyklus.  Es geht darum, wie Leidenschaft den Menschen vogelwild macht.

„Der Vogel ist das Sinnbild oder die Allegorie für die Liebe“, sagt Michelle Affolter. Als diejenige, die diesen Auftritt inszeniert hat, weiß sie, warum ihr Ensemble in aller Öffentlichkeit so verhaltensauffällig daher kommt.  Vor allem Bassbariton Tim Maas ist außer Rand und Band. Zunächst bewirft er Sopranistin Freja Sandkamm mit einem Handschuh und dann packt er den verwaisten Vogelkäfig zu seinen Füßen und schleudert ihn in Richtung Pauline Gonthier. Die Mezzo-Sopranistin kann zum Glück nicht nur singen, sondern ist auch fangtechnisch auf der Höhe. Der Käfig landet sicher in ihren Armen. Das Problem: Der Metallkasten löst bei ihr große Verwirrung aus. Sie duckt sich, wirft die rechte Hand zum Schutz aus und sucht mit flackerndem Blick ihre Umgebung ab.

Tja, die Liebe. „Wir haben versucht unterschiedliche Bilder zu bauen“, sagt Regisseurin Affolter. Der Bogen reiche von der Leichtigkeit, die man habe, wenn man verliebt sei, bis dahin, dass die Liebe ein dunkler Schacht sein könne – wie Brahms es formuliert habe.

Der Aggregatzustand dahinter ist der Wahnsinn, der Menschen in flatterhafte Wesen verwandelt. Für das Publikum auf der Schlosswiese entpuppt er sich als Genuss.