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„Claudia Bormann weitet ihren Blick immer wieder aufs Neue“

Der diesjährige Kulturpreis der Stiftung Herzogtum-Lauenburg geht an die Künstlerin Claudia Bormann. Als Zweite Vorsitzende des BBK Schleswig-Holstein freue ich mich sehr über das Engagement der Stiftung, die mit der Verleihung des Kulturpreises Kunst- und Kulturschaffende in unserem Land unterstützt.

Der diesjährige Kulturpreis der Stiftung Herzogtum-Lauenburg geht an die Künstlerin Claudia Bormann. Als Zweite Vorsitzende des BBK Schleswig-Holstein freue ich mich sehr über das Engagement der Stiftung, die mit der Verleihung des Kulturpreises Kunst- und Kulturschaffende in unserem Land unterstützt.

Es freut mich besonders, dass mit Claudia Bormann eine Künstlerin geehrt wird, die seit vielen Jahren aktives Mitglied in unserem Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler ist.  Claudia Bormann nimmt seit 1994 regelmäßig an der jährlich stattfindenden Landesschau, an der Schau der 1000 Bilder sowie an weiteren Ausstellungen des BBK teil.  2017 erhielt sie den Publikumspreis der BBK-Landesschau in der Stadtgalerie Kiel.

Claudia Bormann hat ihre Malerei in den letzten 20 Jahren zu einem umfangreichen, eigenständigen Werk entwickelt. Ausgehend von Kohlezeichnungen und stark abstrahierten Schwarzweißmalereien ist eine Kunst entstanden, die die freie künstlerische Geste mit einer hochentwickelten Technik impressionistischer Darstellung verknüpft.

Die großformatigen Malereien fesseln den Betrachter auf unterschiedlichen Ebenen. Beim Anblick der Bilder erlebt man zunächst das Moment der Wiederkennung einer landschaftlichen Situation. Eine Spiegelung auf dem Wasser, eine Anordnung von Bäumen am Ufersaum, Lichtstimmungen einer bestimmten Witterung. Die Landschaften strömen Ruhe aus und Intimität, ein eng gefasster, naher Bildausschnitt macht den Blick zu etwas Persönlichem, Privatem.

Betrachtet man das Bild weiter oder tritt näher an es heran, scheint eine weitere Lesart des Bildes auf: Man sieht plötzlich die Malerei, die auf der zweidimensionalen Fläche stattfindet. Man vergisst Abbildhaftigkeit, Illusion und Tiefenraum und findet sich in einem ungegenständlichen Bild wieder: Große, mutige Pinselstriche, kontrastierende Farbsetzungen, Verläufe und Verwischungen treten dem Betrachter als  reine Malerei vor Augen. Wir spüren die Sogwirkung einer Farbfläche, folgen mit dem Blick den Bewegungen des Pinselduktus, genießen die Freiheit pastos gesetzter Farbe, um im nächsten Moment in der Transparenz lasierender Farbschichten zu versinken. Die spannungsreiche Bildkomposition führt unseren Blick durch das abstrakte Bild wie durch eine zweite Landschaft, die nur in der Malerei besteht.

Diese simultane Erfahrung in der Wahrnehmung begründet wohl den anhaltenden Erfolg, den Claudia Bormanns Kunst genießt. Ihre große, technische Perfektion ist die Voraussetzung für das Schaffen dieser wirkmächtigen Bildsprache.

Die Künstlerin präsentiert ihre Malerei seit vielen Jahren in anspruchsvollen Einzel- und Gruppenausstellungen. Beispielhaft genannt seien hier Ausstellungen  im Ratzeburger Kreismuseum, im Möllner Museum, im  Ostholstein-Museum Eutin, im Hafenmuseum Bremen und in der Sparkassenstiftung Kiel. Zahlreiche Ausstellungen in Galerien sowie Ankäufe öffentlicher Sammlungen unterstreichen die große Wertschätzung, die Bormanns Kunst in Fachkreisen genießt.

Claudia Bormann entwickelt ihre Malerei stetig weiter. Sie entwirft für bestimmte Ausstellungsformate eigene Bildserien. So hat sie für die Ausstellung „Verwehte Orte“ im Landesmuseum Schloss Gottorf einen umfangreichen Bildzyklus geschaffen, der sich mit der Geschichte des Ortes befasst und seine untergegangene Vergangenheit in neuen Bildschöpfungen aufscheinen lässt.  

Claudia Bormann weitet ihren Blick immer wieder aufs Neue. Sie öffnet sich, betritt unbekanntes Terrain und findet so die Sujets für ihre Kunst.

Mehrmonatige Arbeitsaufenthalte haben die Künstlerin in den letzten Jahren nach Südafrika, nach Island, nach Brasilien und Indien geführt. Diese Reisen gestaltet Bormann in ganz bestimmter Weise,  welche charakteristisch für ihre  Haltung ist: Sie begegnet dem Ort und den Menschen mit größtmöglicher Offenheit.

Sie beobachtet, wie der Regen am Amazonas die Landschaft unter Wasser setzt und eine amphibische Welt entstehen lässt. Diese „Zwischenwelt“, wie sie es nennt, wird später zum Thema einer ganzen Werkreihe. Sie aquarelliert, fotografiert, lässt sich Zeit. Sie setzt sich stundenlang an die Ghats in Varanasi in Indien, und lässt sich von Menschen und Natur einnehmen. Besuche von Yoga-Zentren und Vorlesungen an der dortigen Universität tragen ebenso zu ihren Eindrücken bei wie Gespräche über Kunst mit ortsansässigen Künstlern. Claudia Bormann grenzt sich nicht ab, sie lässt sich ein. Sie kommt an einen Ort nicht mit vorgefertigten Erwartungen. Sie setzt sich dem Leben aus und versucht, die Erfahrungen in neue Bildfindungen zu gießen.

Dabei betrachtet sie alles Gesehene mit dem Blick der Malerin. Wo bilden Farben und Formen eine interessante Komposition, wo entsteht ein aussagekräftiges Zusammenspiel von Bildgegenständen?

Das Formale spielt bei all dem immer eine Rolle. Aber Bormann bleibt bei der Auswahl ihrer Motive nicht beim Formalen stehen. Die Wasserbassins der Ghats in Indien sind Orte des religiösen Rituals. Hindus aus dem ganzen Land pilgern dorthin, um sich zu reinigen, um zu opfern oder um ihre Angehörigen in Feuerbestattungen am Ganges zu verbrennen. Claudia Bormann beobachtet, was Menschen bewegt und leitet. Und so finden die religiösen Rituale Einzug in Bormanns Bilder: In den hier ausgestellten Werken „Sunken Idols I“  und „Sunken idols II“ aus den Jahren 2019 und 2020  sehen wir den Ausschnitt eines solchen Wasserbassins, in den die Menschen Figuren, Schmuck und Blütenblätter als Ausdruck ihrer religiösen Demut geworfen haben. Die Spur ihres Tuns wird zum Bildinhalt bei Bormann.

Claudia Bormann betrachtet das Heilige und das Profane mit der gleichen, wertfreien Offenheit: das Opferritual in heiligem Wasser verfolgt sie mit gleichem Interesse wie die Verhandlungen über den Holzpreis, die am selben Ort geführt werden. Sie sieht die ins Wasser geworfenen Blüten- und Schmuckopfer mit demselben Blick wie die im Wasser umhertreibenden Plastiktüten. Alles nimmt Bormann in ihre Bildwelt auf und lässt es nebeneinander bestehen.

In der Bildserie „Sunken idols“ wird somit beides sichtbar: Claudia Bormanns Blick auf die Menschen und das, was sie ausmacht sowie ihr untrügliches Gefühl für formal spannende Bildfindungen.

Leuchtende, buntfarbige Erscheinungen der Wasseroberfläche erstrahlen neben verwischten, eingetrübten Bildstellen, die einen Blick in die Tiefe des Wassers freigeben. Nach kurzer Distanz ist diese dem einfallenden Licht und unserem Blick entzogen. Versunkenes, Vergangenes wird mehr zur Ahnung als zum gesehenen Objekt. Uns so entsteht beim Betrachten von Bormanns Bildern immer auch das Moment des Zurückgeworfenseins auf uns selbst  und unsere Vorstellungskraft. Wir werden aufmerksam auf das, was unter der Oberfläche liegt und sich unserem Blick entzieht. Im Gewahrwerden, dass unser Blick immer nur einen momentanen Eindruck einfängt, ohne das Ganze zu sehen, kann der Betrachter in der Auseinandersetzung mit  Bormanns Kunst selbst zu einer demütigen Haltung finden.

Elke Schweigart (Berufsverband Bildender Künstler)