Lothar Obst ist nicht nur in der antiken Geschichte bewandert, er ist auch ein Kenner des Neuen Testaments. Zuletzt hat er sich aus der Perspektive des Historikers intensiv mit diversen Fragen rund um die Geburt Christi befasst. Im Folgenden widmet er sich Bethlehem und Nazareth und der Reisezeit zwischen den beiden Orten zur Geburt Christi. Kulturportal-Herzogtum.de veröffentlicht den Text in mehreren Abschnitten. Darüber hinaus erscheint am Montag (21. Dezember) ein Podcast mit Obst, in dem er sich der Frage widmet, seit wann Christen Weihnachten feiern.
„Und du, Bethlehem Ephratha, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist“ – so weissagt der Prophet Micha den Geburtsort Christi (Mi 5,1), den wir sodann bei Matthäus (Mt 2,1 und 2,5-6) und Lukas wiederfinden, indem letzterer über den Weg Josephs und Mariens von Nazareth nach Bethlehem schreibt: „Da machte sich auf auch Joseph aus Galiäa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger“, vgl. Lk 2,4-5.
Bethlehem oder „Beth Lahm“, wie der Ort im Hebräischen zur Zeit Christi Geburt hieß, liegt knapp 8 Kilometer südlich von Jerusalem und ist heute mit seinen rund 30.000 Einwohnern zu einem Vorort der Hauptstadt angewachsen. Vor 2000 Jahren umfasste der Ort vielleicht maximal gerade einmal 30 bis 40 Häuser, die zweigeschossig ausgeführt waren und im Erdgeschoss das Vieh beherbergten, während im Obergeschoss die Großfamilie über mehrere Generationen in einer Einraum-Wohnung lebte, nicht selten mehr als zehn Personen zusammen. Jedes der Häuser war mit einer Mauer umgeben, eine zusätzliche Mauer umgab noch mal den ganzen Ort, der nur über zwei Tore betreten bzw. verlassen werden konnte. Das Tor im Norden führte nach Jerusalem, das Südtor in das kleine, etwa drei Kilometer entfernte Dorf Beit Sahur (s.u. Geburtsort Davids). So wird Beth Lahm wohl rund 500 Einwohner gehabt haben und war damit in etwa genauso groß wie Nazareth. Der Name wird hebräisch mit „Haus des Brotes“ übersetzt, der Beiname „Ephratha“ dient zur Unterscheidung eines gleichnamigen Ortes in Galiläa. Es war eine fruchtbare Stadt, die Landwirtschaft war ertragreich und neben Feldfrüchten herrschten vor allem die Viehwirtschaft und der Weinbau vor.
Und es war vor allem eine sehr alte Stadt. Hier war in Beit Sahur 1000 Jahre vor Christus nach dem 1. Buch Samuel David, der erste wahre König Israels, geboren worden, den Gott aus dem Hirtenstand zum König Israels erwählte und zu einem der bedeutendsten Herrscher erhob, auf den sein noch berühmterer Sohn Salomon folgte (1 Sam 16,1). Aber die Stadt ist noch viel älter und taucht bereits im Buch Genesis auf. Jakob begrub nördlich von Bethlehem seine verstorbene Frau Rahel an der Straße nach Ephratha („Und als ich aus Mesopotamien kam, starb mir Rahel im Land Kanaan auf der Reise, als noch eine Strecke Weges war nach Ephratha, und ich begrub sie dort an dem Wege nach Ephratha, das nun Bethlehem heißt“, 1 Mose 48,7 und 35,19). Aus Bethlehem heraus eroberte David „Urusalaim“, das spätere Jerusalem, in dem der Tempel des Herrn unter König Salomon entstand und dessen Berg Zion die Königsburg trug. Mit dem Lukas-Bericht schließt sich dieser bedeutungsvolle historische Zusammenhang, in dem der Zimmermann Joseph, ein sesshafter Bürger der noch relativ jungen Stadt Nazareth, gemeinsam mit seiner Angetrauten Maria vom hügeligen Galiläa in die alte Königsstadt Bethlehem reist, „darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war“.
Nazareth und Bethlehem liegen ungefähr 160-170 Autokilometer voneinander entfernt. Das entspricht ungefähr der Strecke von Mölln nach Heide in Dithmarschen oder nach Schleswig, wenn man von hier nach Norden fährt, nach Celle im Süden, nach Ribnitz-Damgarten im Osten oder Bremen im Westen. Eine Strecke, die Maria und Joseph zu Fuß zurücklegten und dafür ungefähr 10 Tage, mit Ruhetagen vielleicht 13-14 Tage brauchten (s.u.).
Zwischen Galiläa und Judäa treffen wir auf eine reiche topografische Abwechselung: Im Westen die Küste des Mittelmeeres, im Osten die Jordan-Senke und südlich der Oase Jericho das Tote Meer mit dem tiefsten Punkt der Erde (400 m unter Meereshöhe), dazwischen ein gestaffeltes Gebirge mit bis zu 800 m Höhe. Während Galiläa im Norden mit seinen wilden sog. Haufenbergen sehr hügelig ist, gleitet dagegen die Landschaft im südlichen Judäa in eine ruhige Ebene aus.