Dieser Krieg kennt keine Pausen. Er tobt unentwegt. Tag und Nacht. Und er macht keine Gefangenen. Die Attacken laufen immerzu und auf die vollkommene Vernichtung des Gegners hinaus.
Willkommen in der Welt des 21. Jahrhunderts. DasZeitalter, in dem Gerüchte als Gewissheiten maskiert werden. Das Zeitalter, das die Pogromstimmung als Dauerzustand etabliert und das Wort „Nachsicht“ aus dem Lexikon gestrichen hat. In dieser Welt geht der Daumen hoch oder runter.
Unschwer zu erkennen, dass die Welt, von der hier die Rede ist, die digitale ist. Doch weil dieser Krieg nun schon diverse Jahre tobt, färbt er immer stärker auf die reale Welt ab. Hass findet seine Plattformen und treibt die gesellschaftliche Spaltung voran. In seinem Fahrwasser folgen Mord und Totschlag, Terrorakte von Menschen, die als sogenannte Einzeltäter durchgehen, aber im digitalen Raum „Freunde“ und Ermutigung gefunden haben.
Wie kann vor dieser Gemengelage Toleranz gedeihen? Dies ist eine der drängendsten Frage, vor der die Menschheit im 21. Jahrhundert gestellt ist. Toleranz – ein großes Wort und ein wichtiges Versprechen, das ein pluralistisch ausgerichtetes Staatswesen seinen Bürgerinnen und Bürgern mit auf dem Weg gibt. Nicht zu verwechseln mit Beliebigkeit. Zur Toleranz gehören auch Grenzen, meint etwa der Philosoph Rainer Forst. Beispielsweise ein No-Go bei der Verletzung von Menschenrechten.
Manches aber will, muss ausgeleuchtet und diskutiert sein. Es braucht den Willen, sich in andere hineinzuversetzen und Einstellungen und Verhalten hinzunehmen (sofern die Verfassung es zulässt). Denn, so argumentiert Philosoph Forst: Tolerieren können wir nur, was wir als falsch oder schlecht empfinden. Was wir befürworten, müssten wir ja gar nicht tolerieren.
Die Frage ist nur: Wird sich die Gesellschaft von morgen dessen noch bewusst sein, wenn die Menschen, die ihr angehören, in einem fortwährenden digitalen Krieg groß geworden sind? Mit der Beantwortung dieser Frage entscheidet sich womöglich auch das Überleben der Menschheit. Denn je mehr der Hass im Netz eskalieren kann, desto größer wird die Gefahr, dass aus einem digitalen Krieg ein physischer Vernichtungskampf wird: ein Dritter Weltkrieg.
Das Szenario ist zu weit hergeholt? Vielleicht. Hoffentlich. Auf jeden Fall können wir jeden Mann und jede Frau, die sich für ein tolerantes Miteinander einsetzen, gebrauchen. Mehr denn je.
Helge Berlinke