Seit Anfang Juli sind Martin Turowski, Chef des Burgtheaters, und Theaterleiterin Annika Tonn mit dem Norddeutschen Freiluftkino auf Open Air-Tournee. Nach erfolgreichem Auftakt – unter anderem in Breitenfelde und in Ratzeburg – macht das Duo am Freitag, 17. Juli, im Stadthauptmannshof Station. Kulturportal-Herzogtum.de sprach mit ihnen über die Situation des Kinos im Angesicht der Krise und das Möllner Gastspiel, bei dem sie „Lindenberg! Mach dein Ding“ zeigen.
Kulturportal-Herzogtum.de: Herr Turowski, Sie trotzen der Krise gerade mit Open Air-Kino und Auto-Kino und wirken sehr optimistisch. Täuscht das?
Martin Turowski: Ich bin ein optimistischer Mensch und Kino ist eines der schönsten Kulturerlebnisse, die es gibt. Deshalb wird es Kino auch immer geben. Das Autokino in Ratzeburg war ein tolles Erlebnis und das hat uns gezeigt, dass wir nun in die OpenAir-Saison starten müssen.
KP: Der Kino-Branche insgesamt geht es aber laut Medienberichten richtig schlecht. Es wird befürchtet, dass viele Häuser dichtmachen. Geht da gerade eine ganze Kultur flöten? Bleiben am Ende nur noch Netflix und Co. übrig?
Turowski: Da muss ich korrigieren. Netflix und Co. können niemals die Kino-Kultur ersetzen. Das ist eine ganz andere Art. Zu Haus sehe ich Filme, im Kino erlebe ich Filme auf der großen Leinwand. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Viele Filme werden eben für das Kino gemacht und brauchen diesen Raum auch. Aber natürlich kann es zu einer Marktveränderung kommen. Es wird sich zeigen, wer es schafft mit Kino-Kultur am Markt zu bleiben. Eine starke Bindung zum Publikum kann da sehr hilfreich sein.
Annika Tonn: Außerdem sind diejenigen, die viel Netflix nutzen, auch diejenigen, die viel ins Kino gehen. Die Menschen sehen sich Filme sowohl in den Kinosälen als auch später noch einmal zu Hause an. Netflix wird das Kino auf keinen Fall ersetzen können. Es hat sich herauskristallisiert, dass Filme im Streaming nicht so erfolgreich sind wie im Kino.
KP: Kommen wir noch mal auf die Krise zurück. Es gibt die Klage von Kino-Betreibern, dass sie bis heute keine Hilfe von der öffentlichen Hand bekommen haben…
Turowski: Es gab zwar die Sofortprogramme des Bundes und der Länder, die zumindest einen kleinen Teil abfedern konnten. Einige sind da aber komplett durchs Raster gefallen. Unabhängig davon müssen unbedingt weitere Hilfen für die Kinos kommen.
KP: Ein weiteres Problem ist, dass die Dreharbeiten mit Ausbruch der Epidemie gestoppt wurden. An den Sets konnte nicht weitergemacht werden. Gehen den Kinos jetzt womöglich die Filme aus?
Turowski: Das Problem mit den fehlenden Neustarts haben wir tatsächlich schon jetzt. Ein Teil der Filme konnte nicht zu Ende gedreht werden. Einige fertige Produktionen werden von den Amerikanern zurückgehalten, weil sie darauf warten wollen, bis der Markt wieder voll verfügbar ist. Selbst deutsche und europäische Verleiher schauen danach, dass möglichst viele Menschen die neuen Filme gucken können. Das wiederum könnte irgendwann zu einer Filmschwemme führen. Was an neuen Filmen verfügbar ist, präsentieren wir natürlich im Burgtheater.
KP: Kann man denn momentan überhaupt ohne Bedenken ins Kino gehen?
Turowski: Aber natürlich! Das Kino ist so sicher wie kaum ein anderer Ort. Die Abstandregeln können in den Sälen problemlos eingehalten werden, Plätze haben wir genug. Außerdem haben die Kinos sehr gute Lüftungssysteme.
KP: Sie selbst sind ja gerade mit dem Norddeutschen Freiluftkino unterwegs. Worauf dürfen sich die Zuschauer in der Region denn freuen?
Turowski: Zunächst einmal darauf, dass wir ihnen ein schönes Erlebnis geben. Dafür kommen die Zuschauer schon zwei Stunden vorher. Das schafft nur das Freiluftkino. Wir zeigen erstklassige Filme und geben dazu noch Zeit, um sich auszutauschen und etwas zu verzehren. Deshalb haben wir auch die Pause beibehalten, obwohl wir längst digital spielen.
KP: Und welche Filme zeigt das Norddeutsche Freiluftkino?
Turowski: Beispielsweise „Nightlife“, „Das perfekte Geheimnis“, Der Junge muss an die frische Luft“, und „Bohemian Rhapsody“. Wir wollen außerdem „Die Känguru-Chroniken“, Mamma Mia“ und die neue „Blues Brothers Extended Version“ in 4K zeigen.
Tonn: Ich würde gerne „Systemsprenger“ zeigen. Das ist ein Film, den man gesehen haben muss. Er war ein Überraschungserfolg bei der Berlinale und thematisiert das Leben eines Kindes, das durch alle Raster fällt und dadurch jedes System sprengt. Der Film hat mich emotional berührt wie fast kein anderer und obwohl er kein typischer Freiluftkino-Film ist, würde ich ihn daher gern noch einmal in dieser Atmosphäre erleben.
KP: Am 17. Juli ist das Norddeutsche Freiluftkino im Stadthauptmannshof. Ist eine Vorführung in so einem historischen Ambiente etwas Besonderes?
Turowski: Auf jeden Fall. Die Kulisse ist sehr schön. Sehr interessant ist auch die Tonqualität. Die Zuschauer werden es merken. Weil es sich um ein geschlossenes Gebäude-Ensemble handelt, wird die Vorführung ein ganz besonderes Bild- und Sounderlebnis.
KP: Sie zeigen „Lindenberg! Mach dein Ding“. Haben Sie ein Faible für Udo?
Turowski: Ich mag seine Musik. Ich war natürlich auch bei der Premiere des Films dabei und habe Udo und den Darsteller Jan Bülow getroffen. Da ist ein Werk entstanden, das seinesgleichen sucht. Es zeigt eine Geschichte Udos, die nicht jeder kennt. Interessant ist beispielsweise, dass der Film die Entstehung des Liedes „Cello“ erklärt.
KP: Vor der Filmvorführung tritt das Lindenberg-Double Dominik Feist auf. Haben Sie keine Sorge, dass da vor lauter Begeisterung das Hygiene-Konzept zur Makulatur werden könnte?
Tonn: Nein. Wir haben die maximale Begrenzung von 250 Zuschauern. Bis zu zehn Personen dürfen in Gruppen zusammensitzen, wenn sie es möchten. Alle anderen Zuschauer müssen den gewohnten Abstand zueinander haben. Jeder bringt seine eigene Sitzgelegenheit mit und hat damit einen festen Platz. Eine Maske muss nur beim Kauf von Getränken und Snacks getragen werden. Weitere Regeln und Einschränkungen gibt es nicht. Schließlich sind wir an der frischen Luft. Wichtig ist: Wir spielen bei jedem Wetter!
Turowski: Wir freuen uns, den Menschen ein Stück Normalität zurückbringen zu können.
KP: Ich glaube, dass ist ein gutes Schlusswort. Ich danke für das Gespräch.