In diesen Tagen laufen sie wieder vermehrt im TV – die Bilder von Kohl, Genscher und Gorbatschow, von Mitterand, Thatcher und Bush, von Krenz, Eppelmann und de Maizière. Anlässlich des 30. Geburtstages der deutschen Einheit bringen die Sender die Protagonisten zurück auf die Bühne. Im Zeitalter hochauflösender HD-Aufnahmen wirken diese Bilder, als wären sie nicht 30, sondern 100 Jahre alt.
Tatsächlich kommt einem das, was man da sieht, unendlich weit weg vor. Der Planet hat sich weiter gedreht und das Tempo, mit dem wir Deutschen wie auch der Rest der Menschheit sich von den politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen ökologischen Zustand des Jahres 1990 fortbewegt haben, lässt – verglichen mit früheren Zeiten – locker Raum für 100 Jahre.
Umso wichtiger ist es an die Einheit – dieses historische Glücksmoment – vom 3. Oktober 1990 zu erinnern. Seither leben die Deutschen im Westen und im Osten in einem demokratisch verfassten Staat, der obendrein über die EU und die Nato unseren Nachbarn politisch und freundschaftlich verbunden ist. Diese Errungenschaft gilt es zu feiern und hochzuhalten.
Die Stiftung Herzogtum Lauenburg tut dies, indem sie über Seminare, Ausstellungen und Exkursionen immer wieder an die deutsch-deutsche Geschichte erinnert und wichtige Zeitzeugen einlädt. 2017 war Harald Jäger bei uns – jener Mann, der in der Nacht vom 9. November den Grenzübergang Bornholmer Straße öffnete. 2018 besuchte uns Horst Teltschik, Kanzleramtsminister unter Helmut Kohl und einer der Architekten der deutschen Einheit. 2019 kam Rainer Eppelmann zu uns – treibende Kraft der friedlichen Revolution und Mitglied im Demokratischen Aufbruch. 2020 steht nun der Besuch des Bundespräsidenten a. D. Joachim Gauck bevor, der zur Wendezeit Mitglied des Neuen Forums war, einer oppositionellen Gruppe in der ehemaligen DDR.
Die Rede, die Joachim Gauck am 1. November in der Möllner Stadtwerke-Arena hält, wird dem Publikum einen weiteren Mosaikstein der Wende-Geschichte liefern. Und sie wird wie schon die Reden von Harald Jäger, Horst Teltschik und Rainer Eppelmann zeigen, dass die Einheit keine Selbstverständlichkeit war. Es gab damals keine Zwangsläufigkeit, kein Drehbuch für eine Geschichte, auf die die Ereignisse seit den ersten Protesten in der DDR hinausliefen. Es war vielmehr ein Vorantasten im Ungewissen, das im großen Glück mündete.
Helge Berlinke