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Thema der Woche

Tödlicher Blätterwirbel

Gedanken zum Mut der Widerständigen

Die durch die Luft wirbelnden Blätter im Lichthof der Münchener Universität haben es ins kollektive Gedächtnis geschafft. Es ist der Moment, der das Ende der „Weißen Rose“ einläutet. Der Hörsaaldiener Jakob Schmid sieht das Papier fliegen – und entdeckt Sophie und Hans Scholl, die in der Uni soeben das letzte Flugblatt der studentischen Widerstandsgruppe verteilt haben.

Die Gestapo hat Zeugen befragt und dann alles fein säuberlich festgehalten. Das Bild der wirbelnden Blätter – es ist in Wirklichkeit ein Bild aus den Akten. In Paul Verhoevens 1982 in die Kinos gekommenen Film „Die weiße Rose“ wird diese Szene, die sich am Vormittag des 18. Februar 1943 in der Münchener Uni abspielte, nachgestellt. Das Publikum sieht wie Lena Stolze (Sophie) und Wulf Kessler (Hans) entdeckt, verhaftet werden und damit in die Fänge der nationalsozialistischen Mordjustiz geraten.

So, wie es Verhoeven zeigt, oder so ähnlich wird es sich abgespielt haben. Tatsache ist, dass Sophie den Rest der Flugblätter von der Brüstung geschoben hatte. Was hatte die junge Frau da geritten? Der Übermut? War es eine Kurzschlusshandlung? Oder eher eine Übersprungshandlung? Waren die Angst und der Druck so groß, dass sie beides in diesem Moment von sich wegschieben musste, um damit das eigene Schicksal zu besiegeln?

Als Zuschauer möchte man diesen Moment nicht wahrhaben. Man möchte der jungen Frau in den Arm fallen, weil man ja weiß, dass die durch die Luft wirbelnden Flugblätter ihr Todesurteil und das ihrer Kameraden bedeuten. Man will nicht, dass dieses hoffnungsvolle Leben zu Ende geht. Nicht so. Nicht für ein paar Flugblätter, die – wie wir Nachgeborenen wissen – nichts daran ändern, dass der Krieg und der Massenmord an den Juden weitergehen. Dass es die Alliierten braucht, um den Nazis den Garaus zu machen.

Die junge Sophie trägt so viel Leben, so viel positive Energie in sich. Verhoevens Film, Monografien, Zeit- und Selbstzeugnisse wie ihre Briefe und Aufzeichnungen belegen das eindrucksvoll. Man kann dieser hoffnungsvollen Frau folgen. Und während man es tun, denkt man: Nein! Nein! Nein! Lass es! Tu es nicht! Es ist gefährlich. Man möchte, dass sie lebt. Man möchte sie weiter wachsen sehen und erleben, wie sie sich in der jungen Bundesrepublik bewährt – welche Rolle sie spielt in einer Welt, in der die Macht des Nationalsozialismus gebrochen ist.

Sie selbst hatte natürlich einen anderen Blick auf die Dinge. Sophie hatte sich der „Weißen Rose“ angeschlossen, um das Regime zu bekämpfen und zu stürzen. Sie wird daran geglaubt haben, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Warum auch nicht? Ihr Bruder Hans hatte vor seiner Verhaftung Kontakte zum Widerstandskreis der Wehrmacht geknüpft. Die Gruppe glaubte an das Ende der Nazis – und sie sahen es nicht zuletzt aufgrund ihrer christlichen Weltanschauung als ihre Pflicht an, deren Gewalt- und Unterdrückungsmaschinerie zu bekämpfen.

Sophie Scholls Geburtstag jährt sich am 9. Mai zum 100. Mal.