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Missingsch – wat is dat denn?

ZfN-Leiter Thorsten Börnsen über ein sprachliches Kuriosum

Heutzutage bekäme man dafür wohl einen Vogel gezeigt. Aber im 16. Jahrhundert erachteten es wohlhabende Bürger aus Norddeutschland als notwendig. Um mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten, schickten sie ihre Kinder nach Sachsen. Genauer gesagt nach Meißen. Dort sollten sie richtiges Hochdeutsch lernen. Was ihnen – wie sich heute noch nachvollziehen lässt – nur mit mäßigem Erfolg gelang. Statt Hochdeutsch sprachen die jungen Leute, als sie zurückkehrten, „Missingsch“. Ein Mischmasch, der die plattdeutsche Grammatik und Aussprache in das meißnerische Hochdeutsch einfließen lässt.

Dass das Vorhaben schief ging, fiel in der Heimat nicht weiter auf. Der Großteil der niederdeutschen Gemeinde reiste nicht. So etwas konnten sich damals nur wohlhabende Familien leisten. Also verbreiteten Söhne und Töchter aus gutem Haus das angeblich „gute meißnerische Deutsch“. Der Regiolekt „Missingsch“ war geboren.

„Wie das Niederdeutsche kennt ‚Missingsch‘ zum Beispiel keinen Dativ“, sagt Thorsten Börnsen, Leiter des Zentrums für Niederdeutsch in Holstein (ZfN/Mölln). Statt „mir“ und „mich“ und „dir“ und „dich“ heißt es immer nur „mi“ und „di“. „Missingsch“, so Börnsen, begegne man auch heute noch. „In der Generation meiner Eltern und Tanten – das ist die Generation 80 plus – können viele kein richtiges Hochdeutsch“, meint er. Hartnäckig wird in dieser Gruppe der Dativ ignoriert, werden die Vokale gedehnt und gestreckt und sich standhaft geweigert, den erweiterten Infinitiv mit „zu“ zu verwenden. Heraus kommen Sätze wie: „Is schoon schweer kommen aus Schule und finden Beruf.“

Wie aber kam es überhaupt dazu, dass das Sächsische so stilbildend wurde und norddeutsche Familien ihren Nachwuchs nach Meißen schickten? Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler sehen hier die Ursache bei Luther und der Reformation. Luther lebte in Sachsen. Er lehrte in Wittenberg Theologie und legte 1534 die erste Bibel-Übersetzung in Deutsch – der Sprache des Volkes – vor. Zudem konnten Schriften und Bücher dank der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert nun in hoher Auflage verbreitet werden. Gute Voraussetzungen also für die Entstehung einer Standardsprache.

Niederdeutsch – das diesen Status als Handelssprache lange Zeit innegehabt hatte – befand sich dagegen im Niedergang. Auch weil sich der Raum für den Handel weitete und sich bis in die neue Welt ausdehnte.

Mehr als 500 Jahre nach diesem Wendepunkt ist es nun an Menschen wie Börnsen, sich dafür einzusetzen, dass die einst blühende Sprache wieder Fahrt aufnimmt. „Missingsch“ ist für ihn dabei nur ein Randaspekt und als Regiolekt ein auf die älteren Generationen beschränktes Phänomen. Und doch: Kleine Überreste von „Missingsch“ hat Börnsen auch in der Sprache der Jüngeren entdeckt. „In Hamburg sagen sie heute ‚moin‘, betont der ZfN-Leiter, „Das hat früher kaum jemand gemacht“, sagt Börnsen. „Einige sagen auch Hambu-i-rch. Damit auch der Letzte schnallt, dass man aus Hamburg kommt.“

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