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Vorfahrt für die Jugend

410

Der folgende Text trägt den Titel „410“ und stammt aus der Feder von Dennis Tschernich (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, erhielt er für seinen Beitrag in der Altersgruppe der 17- bis 23-Jährigen eine Auszeichnung.

Tropfenweise tropfte der Schweiß von meiner Stirn, Die Dunkelheit, die mich wie eine Schale umzog, wurde von einem starken Lichtstrahl durchbrochen. Diese Gegend kam mir sehr bekannt vor, es sah nach einem Tunnelausgang aus… bin ich… ? Mein eigener, starker Atemzug zerstörte die Illusion, ich saß in meinem Zimmer vor dem Computer. Ich konnte es fühlen, wie mein Körper das Bilden von Schweiß einstellte, die negativen Gedanken, die als Auslöser dafür dienten, waren in Kürze vergessen. Was für welche waren das? Worum ging es da? Auf diese Fragen konnte ich mir keine Antworten geben, bräuchte ich auch nicht, das einzige, was ich in dem Moment wollte, war Wasser. Beim Aufstehen gelang es mir, meinen alten Holzstuhl umzukippen und damit eine Glasflasche zu zerschlagen. „Scheiße…“ , murrte ich in die Nässe unter mir,

. seit wann steht die…?“. Plötzlich taucht der Kopfschmerz auf, rasch durchlief es alle meine Hirnzellen und verging genauso schnell, wie es auftauchte. Ich konnte es mir nicht leisten, weiter Zeit zu verlieren, schnell driftete ich durch die Dunkelheit, die in meiner ganzen Wohnung herrschte, in die Küche. Als hätte sie auf mich gewartet, stand eine Plastikflasche mit Wasser auf dem Küchentisch. Während ich meinen Durst löschte, wurden meine Gedanken etwas klarer; alles, was mich bis jetzt nicht interessiert hatte und ich in Frage gestellt hatte, bekam nun plötzlich einen gewissen Platz in meinen Gedanken. Mein Handy, das sich in meiner Hosentasche befand, konnte mir die ersten zwei Fragen beantworten. „2. Februar, 2:47″. Weitere Fragen waren leider schwerer, alleine dadurch, dass ich sie nicht in Worte fassen konnte, ich konnte sie nur mit Angst und Verlust verbinden… vielleicht ist es auch besser so. Dem Gedankenflug konnte ich nicht länger folgen, ich wurde durch das laute Magenknurren in die Realität zurückgerissen.

Ich schaute einen Moment in den Kühlschrank, der leer war wie eine Wüste. Ich schaute ihn so an, als ob er ein Mensch war, ein Freund sogar, der mich verraten hatte. Meine Aufgabe war klar: ich musste mir etwas kaufen gehen. Ich machte mich auf den Weg zu einem 24-Uhr-Laden, der in der Nähe meiner Wohnung lag. Schon bereit angezogen, stand ich im Flur, einem schmalen, langen Flur. Ich beobachtete mich selbst im Spiegel, durch den Lichtmangel konnte ich mein eigenes Aussehen nicht wirklich beurteilen, aber ich konnte mir genau vorstellen, wie ich in dem Moment aussah. Spontan versuchte ich mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal draußen oder überhaupt einfach nur aus der Wohnung herausgekommen war. Ich wusste einfach nur, dass ich nicht immer so war, ich hatte mehrere Freunde, ich ging auch in eine Universität, ich hatte auch eine…. Mein Bauch knurrte wieder, ich packte meinen Schlüssel in die Jackentasche, machte die Tür auf und sah das Treppenhaus, welches mit alten Fliesen ausgelegt war, ein schwaches Licht schien von einer Straßenlampe in das Treppenhaus, was mir zeigte, wo der Ausgang war. Ich drehte mich um, um die Tür zu schließen, hob meinen Kopf hoch und sah eine Gestalt. Eine Gestalt, genau so groß wie ich, stand ein paar Meter von mir entfernt; in dieser Sekunde war mein Kopf absolut leer, ich stand wie eine Eisskulptur und schaute dieses Wesen an. War es vielleicht nur meine Fantasie? Ein Dieb? Wie war er dann in meine Wohnung hineingekommen? Langsam reduzierte die Gestalt den Abstand zwischen uns immer mehr und mehr, ich schmiss die Wohnungstür mit voller Kraft zu und rannte aus dem Haus.

„Wie konnte ich nur es vergessen!?“ , mein Schrei durchdrang alle Häuser in der Nähe, doch keiner hörte ihn. Mein Handy lag genau da, wo ich es gelassen hatte, bei mir zuhause auf dem Küchentisch. Ich fühlte mich hilflos, ohne weiter zu denken folgte ich meinem Anfangsplan weiter, ich ging zu dem Laden. Der Schnee knirschte unter meinen Füßen, die großen Schneewehen reflektieren das gelbe Straßenlampenlicht, die Atmosphäre beruhigte mich ein bisschen, ich hatte mich von dem Geschehenen innerlich entfernt.

In der Ferne konnte man den Laden schon gut erkennen, er war klein und stand allein, vielleicht damit er nicht von den großen Wohnhäusern verdeckt würde.

Erst jetzt bemerkte ich, wie meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schon vor der Eingangstür bekam ich Kopfschmerzen, ich konnte mich nicht im Laden orientieren, ich merkte, wie die Gänge immer schmaler wurden, sie wollten mich zerdrücken, sie…

„Hi“ , eine zarte Stimme, die ich schon kannte, beruhigte mich in der Sekunde. Ich schaute sie an, eine Figur aus meinem alten Leben, blonde Haare mit einem Zopf, eigentlich ein strahlendes Gesicht, welches mich mit Leid anschaute, und ein schöner Name, den ich schon lange vergessen hatte.

„Alles ok bei dir?“ ,sie ging rasch auf mich zu.

„Ja, alles gut…“ Ich vergrößerte den Abstand zwischen uns.

„Na… bist du aus deiner Höhle raus?“, an der Aussprache konnte man erkennen, wie sie im Gespräch mit mir verzweifelt passende Worte suchte.

„Ja, ich… wollte mir was zum Essen kaufen“, ich wollte nach Hilfe suchen, aber ich traute ihr nicht, ich fühlte, dass sie daran Schuld war, was aus mir geworden war.

Ich saß in einer U-Bahnstation, draußen war es zu kalt, ich wagte mich nicht, wieder nach Hause zu gehen und in dem Laden wollte ich auch nicht bleiben. Mein Plan war es, auf den Tag zu warten, falls bei mir zuhause doch irgendwelche Diebe waren, müssten sie dann schon längst weg sein, und falls es doch keine Diebe waren…. „Sowas kann nicht existieren, es ist von Natur aus unmöglich! Gestalten, die sich einfach so im Raum bilden, pah!“

Ich bekam Gänsehaut. Ich versuchte, mich nochmal an diese Gestalt zu erinnern, aber ich hörte sofort damit auf. War die Angst davor zu groß? Ja. Ich versuchte, ein bisschen zu schlafen, um mich zu beruhigen, aber es gelang mir nicht, ich lag einfach so auf einer Bank, mit geschlossenen Augen und plante meine Invasion weiter.

9:37

Erschrocken sprang ich von der Bank auf, ein weiterer schrecklicher Traum besuchte meinen Kopf, der Inhalt blieb vor mir verdeckt, nur Gefühle, starke, wilde Gefühle zeigten sich offen. Ich schaute mich um und sah die U-Bahnstation, aber keine Menschen. Die Station war leer, absolut leer. Ich konnte mich nicht an den Wochentag erinnern, aber es war mir bewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich wollte mich nicht weiter mit dieser Frage beschäftigen, ich verließ die Station und ging in Richtung meiner Wohnung .

Tagsüber schien in dem Treppenhaus das Sonnenlicht, man konnte kaum eine Fläche finden, wo Schatten war. Ich stand vor meiner Tür, an der Wand fehlte eine Fliese, da sie nun ihren Platz auf dem Boden gefunden hatte. „Wahrscheinlich ist sie abgegangen, als ich die Tür zuknallte.“, dachte ich. Ich fand es irgendwie lustig, keine Ahnung wieso, ich suchte vielleicht nach Ausreden, nicht die Tür aufzumachen, ich versuchte, die Zeit hinauszuzögern . Nach einigen Minuten war ich bereit, ich steckte den Schlüssen ins Schloss, drehte ihn einmal nach rechts, riss die Tür auf und sprang zurück. „Ich bin so dämlich.“ dieser Satz erschien in meinem Kopf, vor ein paar Minuten hätte ich wahrscheinlich darüber gelacht, aber jetzt nicht, jetzt ging es mir praktisch um mein Leben, zumindest hatte ich so ein Gefühl. Der Flur… die Wohnung insgesamt war gut durch das Sonnenlicht beleuchtet, falls die Gestalt doch nur eine

Gedankeninterpretation war, konnte ich es gut nachvollziehen. Ich kroch langsam in die Wohnung hinein. Nichts war zu hören, ich schaute kurz nach links, in die Küche rein, mein Handy lag auf dem Tisch, ansonsten war alles normal, genauso, wie ich es gestern zurückgelassen hatte. Ich kroch zu meinem Ziel, dem Schlafzimmer.

Unaufgeräumtes Bett, ein Computertisch mit einem Computer, ziemlich viel Müll, alles wie immer. Ich ging erschöpft zur Tür, verschloss sie und stand eine Weile vorm Spiegel. Ich durchlebte alles nochmal gedanklich und kam zu der Schlussfolgerung, dass ich einen schlimmen Tag erlebt hatte, und trotzdem war ich froh, dass er so geendet hatte. Ich sah einen wochenlang nicht ausgeschlafenen, nicht geduschten und unrasierten jungen Mann im Spiegel, ich zog die Jacke aus und sagt zu mir: „Man, siehst du Scheiße aus…“

„Für mich bist du aber immer noch schön“.

Ich erstarrte zu Eis.

Eine sanfte Stimme erklang in meiner Wohnung, Schweiß floss von über meinen Rücken, ich war alleine und doch konnte ich die Stimme deutlich hören. Ich beobachtete in den Spiegel, wie sich ein Schatten hinter meinen Rücken bildeten, so dunkel, dass er sogar außerhalb seiner Grenze noch das Licht in sich zog, eine Art Hand zog sich aus dem Schatten heraus, je weiter sie von dem Schatten weg war, desto menschlicher sah sie aus. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht schreien, ich konnte nicht blinzeln, ich konnte meinen Körper nicht beherrschen, ich stand nur da und wartete darauf, was auf mich zukam. Bilder entstanden in meinem Kopf, als die Hand mich berührte, Bilder, die alle meine vorherigen Fragen erklärten, ich sah die schreckliche Wahrheit, sie umarmte mich, der Tag wurde zur Nacht, der letzte Sonnenstrahl verließ mich, alles war dunkel.

Meine Schale aus Dunkelheit wurde von einem Lichtstrahl durchbrochen, ich saß vorm Computer und atmete stark. „Es sah wie ein Tunnelausgang aus.     ich versuchte mich an den Traum zu erinnern, der mich so zum Schwitzen gebracht hatte, aber ich konnte es nicht. Nach dem Aufwachen hatte ich nur eines im Sinn, das Durstgefühl loszuwerden.