Jeder junge Mensch leidet auf seine ganz eigene Art und Weise. So auch Emma, die es fortzieht nach Berlin, um all ihre schlechten Erinnerungen hinter sich zu lassen. So wie sie sich sieht, ist sie eine bessere, erfolgreichere Emma. Das will sie beweisen – in einem Altenheim.
Altenheim statt DDR-Baubrigade, junge Frau statt junger Mann – der Kurs für Darstellendes Spiel der Gemeinschaftsschule Mölln hat unter der Leitung von Jörg-Rüdiger Geschke „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf in die Gegenwart transportiert und der jugendlichen Selbstfindung auch noch eine Pandemie mit auf den Weg gegeben. Ein gelungenes Manöver, wie sich bei der Welturaufführung zeigt. Das coronabedingt reduzierte Publikum, das aus zwei Klassenkohorten besteht, fühlt und leidet mit dieser Emma.
In dem Altenheim, in dem Emma arbeitet, stehen alle unter Anspannung. Die Seuche hat den Alltag auch in dieser Einrichtung aufgemischt. Alle tragen Maske, alle sind auf Abstand. Die Stimmung ist gereizt. Wie soll da Nähe entstehen? Wie können da Gefühle herunterkochen? Wo findet sich Trost in der Distanz? Und die Liebe? Ist nicht in Sicht in dieser vor allem von Frauen bestimmten Welt. Immerhin: Charlotte ist da, zu der Emma sich hingezogen fühlt.
Emmas Schicksal wird Stück für Stück über Rückblenden zu Tage befördert. Dafür bringt die Regie ihren Vater – im Leben nur eine Randerscheinung – ins Spiel. Emmas Vater begibt sich auf Spurensuche. Er spricht mit den Kolleginnen der Tochter, versucht herauszufinden, was seiner Tochter widerfahren ist. Wie Plenzdorfs Edgar in der Urfassung stirbt Emma an einem elektrischen Schlag. Bei Plenzdorf ist es eine selbstgebaute Maschine, die den Unfall auslöst, bei der Adaption ist es ein Föhn.
„Der Föhn ist ihre letzte Chance, zurückzukommen und zu zeigen, dass sie etwas kann“, sagt Geschke. Der Pädagoge und Kreisfachberater für kulturelle Bildung hat die Neufassung geschrieben. Diese Arbeit ist auch eine Reminiszenz an die eigene Vergangenheit. „Plenzdorfs Roman ist Teil meiner Jugend“, sagt er. Verblüfft habe ihn bei den Proben mit den Schülerinnen und Schülern dessen Aktualität. Für „Die ganz neuen Leiden der jungen W.“ habe er problemlos die Kulissen wechseln können. Es brauche keine 70er Jahre DDR, keine Brigade – der Kern des Stücks funktioniere, ganz gleich wo.
Offensichtlich ist die Sehnsucht der Jugend nach Anerkennung universell, allein Emmas Leid ist individuell. Geschke hofft, dass sich davon im neuen Jahr ein noch größeres Publikum überzeugen kann. Bislang haben sich die Inszenierung der Zehntklässlerinnen und Zehntklässler lediglich ein sehr kleines Premierenpublikum und vier Klassenkohorten am Vormmittag danach ansehen können.