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„Wer kann, sollte jeden Tag eine Stunde rausgehen“

Beate Schicker ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin. Die Möllnerin arbeitet seit 33 Jahren in diesem Beruf, seit 27 Jahren führt sie ihre eigene Praxis. Kulturportal-Herzogtum.de sprach mit der erfahrenen Therapeutin über ihre Arbeit während des Lockdowns und die Möglichkeiten, mit dem veränderten Alltag klarzukommen.

Kulturportal-Herzogtum.de: Frau Schicker, wie erleben Sie als Privatmensch den Lockdown?

Beate Schicker: Ich kann das gar nicht unabhängig von meinem Beruf sehen, weil der Beruf ein Punkt ist, der mir den Lockdown eigentlich erleichtert. Der Beruf ist das, was mein Leben zum großen Teil strukturiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen gehe ich meiner beruflichen Tätigkeit unverändert nach. Ich habe Kontakt. Meine Patienten kommen ja zu mir. Das ist nicht anders als vor der Zeit des Lockdowns.

KP: Der Beruf steht also nach wie vor im Mittelpunkt?

Schicker: Ja, und es ist ein psychisch stabilisierender Faktor. Obwohl ich einen helfenden Beruf habe, stabilisiert der Beruf mich selber auch. Ich werde weiterhin gebraucht und ich habe einen Rhythmus.

KP: Gibt es außerhalb dieser beruflichen Welt irgendetwas, was Sie im Zuge des Lockdowns begonnen beziehungsweise geändert haben?

Schicker: Ich bin ein Mensch, der die Natur und die Musik liebt. Wenn ich eine große Palette an Emotionen erleben will, gehe ich in die Oper. Wobei das zurzeit ja nicht möglich ist. Aber ich habe die Natur, ich habe meinen Hund, mit dem ich spazieren gehe. Das ist etwas, was weiterläuft. Aber ich habe etwas intensiviert. Ich hatte mir vor zwei Jahren nach sehr langer Pause wieder ein Tasteninstrument zugelegt – ein E-Piano. Im Herbst habe ich angefangen, mich mehr damit zu beschäftigen. Ich mache an dem Instrument jetzt neue Sachen. Ich suche mir ab und zu einen Kirchenchoral oder ein Kirchenlied und harmonisiere das selber. Ich nehme auch kleine Musik-Videos auf und stelle sie ins Internet. Da wähle ich dann aus meinem großen Fundus an Naturfotografien passende Bilder aus. Das ist eine Form der Kreativität, die ich jetzt neu im Lockdown begonnen habe und die mir viel Freude macht.

KP: Wie wichtig ist es gerade jetzt, dass man Dinge hat, auf die man sich freuen kann?

Schicker: Das ist ganz, ganz wichtig.

KP: Und wenn man sie nicht hat – muss man sie sich suchen – oder?

Richtig. Da muss man die Augen offenhalten. Mit den Chorälen habe ich angefangen, weil wir sie normalerweise gesungen hätten. Ich singe ja im Nicolaichor. Deshalb hatte ich einige Noten von Chorälen aus dem Weihnachtsoratorium von Bach zu Hause liegen und da habe ich mich dann einfach mal hingesetzt. Ich habe mittlerweile auch ein  Musikaufnahme-Programm und habe diese Choräle mit verschiedenen Stimmen aufgenommen. Irgendwann ist es dann passiert, dass ich meine eigenen Akkorde hinzugefügt habe und jetzt ist es leicht verjazzt. Das macht einfach Freude. Das führt einen sofort in eine andere Welt. Inzwischen ist es fast so ein bisschen wie Verliebtsein. Es gibt so einen inneren Impuls, die Nähe des Klaviers zu suchen.

KP: In dieser anderen Welt gibt es dann auch keinen Lockdown…

Schicker: Das ist der sogenannte Flow. Das ist dieser Zustand, wo das Bewusstsein und die Sinne konzentriert sind und alles andere ausgeschaltet ist. Gerade jetzt in der Pandemie, wo schlechte Nachrichten auf uns einprasseln, ist es gut, dass wir trotzdem in einen Flow kommen, der uns in eine schöne, angenehme und harmonische Welt versetzt.

KP: Der Lockdown betrifft uns ja nun alle. Werden Sie auch von Bekannten, Verwandten und Freunden um Rat gefragt?

Schicker: Nicht mehr als sonst. Ich lebe eher zurückgezogen. Und ich kann mich auch wirklich sehr gut abgrenzen. Das wissen die Menschen in meinem persönlichen Umfeld auch. Ich bin nicht so die Ratgeberin in allen Lebenslagen. Das bin ich beruflich – im Privatleben aber nicht.

KP: Wahrscheinlich braucht man als Psychotherapeut auch mal Abstand von der Arbeit…

Schicker: Ich bin halt so ein Mensch. Ich bin keine, die Stunden lang am Telefon hängt und spätabends noch quasselt. Dann würde wohl die Gefahr bestehen, dass man mich zur Ratgeberin macht.

KP: Aber wenn Sie jetzt ein Freund oder Freundin anspräche, würden sie schon reagieren – oder?

Schicker: Natürlich. Nur: Wenn einem eine sehr nahestehende Person anspricht, besteht dann wieder das Problem, das man keine neutrale Person ist. Um wirklich einen professionellen Rat geben zu können, muss ich eine neutrale Person sein. Also wenn ich jetzt mit jemandem in meiner Freizeit Sport mache, dann wäre ich für denjenigen keine gute Therapeutin.

KP: Ich hätte darauf gewettet, dass die Menschen in Ihrem privaten Umfeld das Virus und den Lockdown zum Thema machen. Schließlich sind die Nerven momentan bei vielen sehr angespannt.

Schicker: Wenn wir jetzt Chorproben hätten, wäre ich einmal in der Woche unter vielen Leuten. Da hätte man auch Zeit, vorher und auch hinterher zu reden, und dann kämen wohl auch solche Gespräche zustande. Aber momentan gibt es nun mal keine Chorproben. Und die Spaziergänge mit dem Hund mache ich alleine.

KP: Wie sieht es denn bei Ihnen in der Praxis aus? Suchen da mehr Menschen als sonst Ihre Hilfe?

Schicker: Ich habe noch nie erlebt, dass wenig Bedarf an Psychotherapie besteht. Gerade zum Jahresanfang habe ich viele Anmeldungen, weil die Menschen – das ist völlig unabhängig von politischen und sonstigen Gegebenheiten – sich zum Jahresanfang vornehmen, etwas für sich zu tun. Viele sagen sich: Jetzt fange ich endlich mal eine Therapie an.

KP: Es gibt da trotz Pandemie und Lockdown tatsächlich keine Unterschiede im Vergleich zu den vergangenen Jahren?

Schicker: Es ist es genauso wie in den Jahren davor.

KP: Das hätte ich nicht gedacht.

Schicker: Es melden sich auch so vielmehr, als ich bewältigen kann. Ich könnte ein Vielfaches an Stunden arbeiten.

KP: Wie ist es mit denen, die bei Ihnen aktuell in Therapie sind. Wie gehen diese Menschen mit der Situation um?

Schicker: Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es gibt tatsächlich Personen, die sagen, der Lockdown tut ihnen gut, weil er Stress aus ihrem Leben rausnimmt. Ich habe zum Beispiel viele Patienten, die nach Hamburg oder sonst wohin pendeln. Wenn diese Menschen jetzt Homeoffice oder Kurzarbeit machen, haben die natürlich sehr viel weniger Stress. Das ist ja klar. Auch Mütter, deren Kinder viele Hobbys haben, sagen mir, dass sie weniger Stress haben, weil sie nicht ständig zum Schwimm- oder Musikunterricht fahren müssen. Einige meiner Patienten sagen, der Lockdown tue ihnen gut. Das sind Menschen, die gerne zurückgezogen leben.

KP: Es gibt doch aber bestimmt auch Menschen, die unter der Situation leiden?

Schicker: Natürlich gibt es auch die anderen, die darunter leiden. Das sind dann diejenigen, die aus therapeutischen Gründen Rehasport machen oder Physiotherapien und Selbsthilfegruppen besuchen. In Mölln gibt es das Haus „Lebenswelten“, ein Treffpunkt, wo Menschen mit Psychiatrieerfahrung Mittag essen, spielen und sich unterhalten. Das fällt jetzt natürlich alles weg.

KP: Was raten Sie diesen Menschen? Das muss bei einer psychisch kranken Person doch für einen immensen Leidensdruck sorgen…

Schicker: Normalerweise würde ich einigen Patienten empfehlen, regelmäßig Schwimmen zu gehen, weil das für Körper, Geist und Seele eine tolle Bewegungsart ist. Auch Fitnessstudios können ein therapeutischer Faktor sein, fallen aber derzeit ebenfalls weg.

KP: Gibt aktuell es überhaupt Alternativen?

Schicker: Jeder Mensch, der die Möglichkeit dazu hat, sollte auf jeden Fall eine halbe Stunde am Tag raus- und spazierengehen. Oder besser eine Stunde. Man kann zu Hause auch Gymnastik machen. Bei Youtube gibt es ja alles Mögliche – Atmungsübungen, Dehnungsübungen, Gleichgewichtsübungen.

KP: Nun gibt es Menschen, die Probleme haben, sich selbst aufzuraffen.

Schicker: Das ist richtig. Ich empfehle immer, sich nicht zu viel vorzunehmen. Es gibt Menschen, die Wochen lang nichts gemacht haben und sich dann völlig überfordern. Wenn ich drei Stunden losmarschiere und mit hängender Zunge zu Hause ankomme, ist das nicht sehr motivierend. Da reicht beim ersten Mal ein Gang um den Block.  

KP: Frau Schicker, ich danke Ihnen für das spannende Gespräch.

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Was macht eigentlich Antje Ladiges-Specht?

Der Lockdown ändert vieles, aber nicht alles bei Antje Ladiges-Specht. Nach wie vor geht sie jeden Morgen vor dem Frühstück in den Garten, um bei Wind und Wetter zu meditieren. Und natürlich arbeitet sie an neuen Kunstwerken, die sie im kommenden KulturSommer am Kanal zeigen wird. Zudem gibt es viele andere Dinge, die erledigt sein wollen.

„Ich habe sonst ein Programm, das ich mir vornehme“, sagt die Künstlerin, die ihr Atelier in der Alten Schule in Klein Zecher hat. Aber im Moment falle es ihr schwer, die gesteckten Ziele zu erreichen. „Manchmal frage ich mich, wie hast du das vor der Pandemie alles geschafft?“ sagt sie. „Die Zeit rast irgendwie dahin. Es ist erschreckend.“

Am Anfang der Pandemie sei sie wie gelähmt gewesen. Dann habe sie einen Energieschub bekommen und jetzt habe sie das Gefühl, von einer „innerlichen Lethargie“ erfasst worden zu sein. Zu schaffen machen ihr auch die fehlenden sozialen Kontakte. Zwar telefoniere sie regelmäßig und ausführlich mit Freunden, doch sie vermisse dieses „gelöste Miteinander“. Sie komme sich psychisch ausgebremst vor. Gleichzeitig fühle sich das alles irgendwie surreal an. „Wie in einem Film“, meint Ladiges-Specht.

„Ich weiß“, sagt sie, „dass ich auf hohem Niveau jammere.“ Schließlich wohne und lebe sie in einem schönen Umfeld. Sie wisse, dass es den Menschen in anderen Teilen der Welt wesentlich schlechter mit der Pandemie ergehe. Sorge mache ihr zudem die andauernde Zerstörung der Umwelt, die sie seit Jahren beobachte, und auch die drohende globale Auswirkung der Pandemie beunruhige sie – insbesondere für die Menschen in den ärmeren Regionen.

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Angriff der Mutanten

Die Hiobsbotschaften wollen nicht abreißen. Aktuell heißen sie B.1.1.7 und B.1.351– Corona-Mutanten mit einer um ein Vielfaches höheren Ansteckungsrate. Karl Lauterbach, Politiker und Epidemiologe, spricht von einer neuen Pandemie in der Pandemie. Die Hoffnung auf die große Massenimpfung, die Hoffnung auf Licht am Ende des Tunnels – sie liegt noch fern. Wegen der Lieferengpässe. Und sie steht auf tönernen Füßen, weil niemand weiß, wie wirksam die entwickelten und zugelassenen Impfstoffe die Mutanten bekämpfen.

Die Realität ist ein bis zum 14. Februar verlängerter Lockdown. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das nicht der letzte Nachschlag war, ist hoch. Über die Folgen wird seit Wochen in den Talkshows diskutiert: Firmen gehen Pleite, Familien leiden unter Lagerkoller, Menschen verlieren ihre Jobs, Leute vereinsamen.

Sollte man besser Schluss machen mit dieser Politik? Wohl besser nicht. Die Ansteckungen würden in kürzester Zeit durch die Decke gehen. Und mehr Ansteckungen bedeuten mehr Tote. Und je mehr Tote es gibt, desto schwieriger wird es auch für die Wirtschaft und die Verwaltung, die eigenen Aufgaben zu bewältigen. Der Motor Deutschland könnte auch dann massiv ins Stottern geraten.

Wir müssen klarkommen. Irgendwie. Und wem es gutgeht in diesen Tagen, darf sich freuen. Ja, es sind schwierige Zeiten und man darf sie nicht kleinreden. Covid-19 trifft (zu) viele mit voller Wucht. Ich persönlich habe mir aber geschworen, nicht in Selbstmitleid zu verfallen. Schließlich bin ich immer noch privilegiert. Ich sitze an meinem Schreibtisch, bin gesund und kann arbeiten.

Helge Berlinke