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Nördlich der A24

„Archive sind die Gedächtnisse unserer Gesellschaft“

Wer Christian Lopau einen Besuch an seinem Möllner Arbeitsplatz abstatten will, muss ein wenig aufpassen, dass er nicht vom Weg abkommt. Bis zu seinem Schreibtisch sind es ein paar Treppenstufen. Das Archiv der Eulenspiegelstadt, das im Rathaus untergebracht ist, befindet sich direkt unter dem Dach. Hier geht Lopau, der in Hamburg Germanistik sowie Mittlere und Neuere Geschichte studiert und das Studium 1988 mit dem Magister-Titel abgeschlossen hat, seiner Arbeit als Archivar nach. Das Büro: zwei Glaskästen, in dem Lopau und sein Kollege Hans Werner Kuhlmann, Leiter des Fotoarchivs, ihre Büros haben. Dahinter öffnet sich der Blick auf das Archiv. Bevor er mit Kulturportal-Herzogtum.de über seine Arbeit spricht, stellt er noch schnell sein Arbeitsreich vor.

Kulturportal-Herzogtum.de: Herr Lopau, wozu braucht es eigentlich Archive?

Christian Lopau: Unser Menschsein beruht auf der Weitergabe aus Gelerntem und Wissen. Diese Weitergabe ist – erweitert durch die Schrift – zu ganz neuen Dimensionen gekommen. Archive sind die Gedächtnisse unserer Gesellschaft, einer Stadt, einer Region. Es ist wichtig, bestimmte Dinge zu dokumentieren und zu bewahren – beispielsweise für die Stadt die Stadtrechte.

KP: Sieht die Politik das genauso?

Lopau: Es gibt die gesetzliche Verpflichtung durch das Landesarchivgesetz von 1992. Da bin ich dankbar, dass wir diese Grundlage für die Kommunen und die öffentliche Hand haben. Mehr Unterstützung kann man aber immer gebrauchen. In den 80er Jahren war die Bereitschaft zweifellos größer, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Heute stehen andere Dinge wie die Digitalisierung mehr im Fokus. Das Bewusstsein für historische Dinge schwindet.

KP: Woran machen Sie das fest?

Lopau: Es fehlt oft das Interesse, sich mit Ursachen für bestimmte Entwicklungen zu beschäftigen. Wenn die Gesellschaft Zusammenhänge aber nicht mehr erkennt, kann das Probleme für die Demokratie mit sich bringen. Ich sehe da eine wichtige Aufgabe unserer Archive: Indem sie politisches Handeln sichtbar machen, sind sie auch wichtige demokratische Institutionen. Gegenwärtig stehen andere Dinge im Vordergrund. Wir werden oft als eher als Kultureinrichtung wahrgenommen.

KP: Wie steht es denn um die strukturellen Voraussetzungen, um die Ziele eines modernen Archivwesens zu erfüllen?

Lopau: Das Möllner Archiv ist ein Provisorium. Idealerweise bräuchten wir klimatisierte Räume. Wenn wir im Sommer hohe Temperaturen haben, haben wir keine Chance das zu regeln. Das geht weiter mit der personellen Ausstattung. Gerade was die Übernahme digitaler Daten anbelangt. Diese Daten müssen auch bearbeitet werden. Das werden wir so nicht machen können. Da fehlt das Know-how. Wir denken aktuell über Verbundlösungen nach. Das Bewusstsein für die Problematik ist in Verwaltung und Politik noch nicht da. Ein großer Wunsch ist zudem, mehr Platz zu haben. Aber Platzprobleme haben fast alle Archive.

KP: Sie haben gesagt, dass Archive häufig als Kultureinrichtung auftreten. In Ihrem Falle muss man diese Aussage unterstreichen. Sie geben Vorträge, bieten Radtouren und geführte Joggingtouren an. Mit dem Klischee des Archivars, der sich in abgedunkelten Räumen um alte verstaubte Akten kümmert, hat das nichts zu tun. Kommt Ihnen diese Art der Öffentlichkeitsarbeit zugute? Stärkt das die Akzeptanz?

Lopau: Ich denke schon, dass wahrgenommen wird, dass wir als Institution da sind. Die Leute rufen beispielsweise an, wenn sie einen Nachlass auflösen oder eigene Dinge durchgucken. Oder sie schreiben eine Mail. Zudem sind die Vorträge gut besucht. Das Publikum ist da eher 50 plus. Zum Tag der Archive wenden wir uns in diesem Jahr besonders an die Schulen. Damit erreichen wir die jüngere Generation, die sieht, was das überhaupt ist – ein Archiv.

KP: Sie sind Leiter der Archivgemeinschaft Nordkreis Herzogtum Lauenburg und damit für die Stadtarchive Mölln und Ratzeburg sowie die Amtsarchive Berkenthin, Breitenfelde, Lauenburgische Seen und Sandesneben-Nusse zuständig. Wie schaffen Sie es, all die Veranstaltungen und die Anforderungen, die das Archivwesen an Sie stellt, unter einen Hut zu bringen?

Lopau: Ich überlege mir schon sehr genau, was ich machen kann. In einem Ein-Mann-Archiv mit Unterstützung von ehrenamtlichen Kräften muss man gucken, wie man zurechtkommt. Die Vermittlung und der Kontakt mit den Menschen sind mir aber eine Herzensangelegenheit und ich sehe, dass es heutzutage neue Wege braucht, zu zeigen, welche Bedeutung Geschichte hat.

KP: Ich bleibe beim Thema Zeitmanagement. Schon die Vorträge, die Sie halten müssen doch unheimlich viele Arbeitsstunden in Anspruch nehmen. 

Lopau: Das ist auch eine Sache der Erfahrung. Wenn ich ein Thema neu erarbeite, kann ich auf bestimmte Stücke zurückgreifen. Weil ich diese Arbeit schon so lange mache, ist mir die grundlegende Literatur vertraut und ich kenne Leute, die zu ganz bestimmten Themen arbeiten. Dadurch komme ich an die neuesten Aufsätze.

KP: Der Aufwand für die Öffentlichkeitsarbeit ist eine Sache. Bleibt noch die klassische Arbeit des Archivars…

Lopau: Ich bin sehr strukturiert in allem, was ich mache. Anders ließe sich das auch nicht umsetzen. Außerdem habe ich vor Ort Hilfskräfte. Ich gucke, was ich wo veranlassen muss. Man telefoniert auch mal von einem anderen Archiv aus, um etwas zu klären. Die Grundidee ist, dass die Hilfskräfte die Aufgabe mit mir absprechen und dass das dann auch funktioniert – die Sachen nicht liegen bleiben und man sie zu Ende erfolgt. Oft ist man als Archivmanager gefragt. Am Sonnabend bin ich beispielsweise zur Bürgermeisterkonferenz in Berkenthin. Da werde ich meine Archivarbeit präsentieren und den Bürgermeistern anbieten, dass ich mit ihnen die Aktenschränke durchgucke. Was wird gebraucht? Was ist doppelt vorhanden. Amtsausschussprotokolle beispielsweise – die muss man nicht in jeder Gemeinde aufheben. Was archivwürdig ist, übernehmen wir. Die Mitarbeiter müssen die Dokumente dann umheften und ich muss ein Findbuch erstellen.

KP: Wie sieht es allgemein mit der Erfassung von Dokumenten aus? Hinken Sie da hinterher?

Lopau: Wo wir ran müssen, sind aktuelle Bestände aus der Verwaltung. Wenn man einen großen Keller hat, räumt man die Sachen erstmal in einen großen Keller. Das liegt wohl in der menschlichen Natur, dass man das erstmal so wegstellt – bis es irgendwann nicht mehr geht. Die Zeit, das vernünftig zu machen, fehlt mir. Und dann fehlt mir der Platz. Zehn Regalmeter-Akten könnte ich gar nicht aus dem Keller hochholen. Hier im Haus habe ich gerade diesen Fall.

KP: Frustriert Sie das?

Lopau: Am 1. April bin ich 30 Jahre hier. Da guckt man, was hat sich verändert. Es gibt viele Sachen, wo ich sage, das ist ein Glücksfall, dass ich es so machen konnte. Es gibt aber auch Dinge, die hätte ich gerne anders.

KP: Zum Einstieg habe ich Sie nach dem Sinn des Archivwesens gefragt. Zum Schluss richte ich den Blick nach vorn und komme noch mal auf das Thema Digitalisierung zu sprechen. Wie sieht das Archiv der Zukunft aus, wenn die digitale Akte zum Standard geworden ist?

Lopau: Auf Archivtagungen bestimmt das gerade die Diskussion. Ich sehe das prinzipiell sehr positiv, weil es das Ende der hybriden Überlieferung bedeutet. Was wir jetzt haben, ist das Nebeneinander von Ablage in Papierform und digitalen Daten, die jeder auf seinen Server ablegt. Diese Daten, zukünftigen Generationen zugänglich zu machen, ist schwierig. Eine digitale Akte, die vom Einzelnen Disziplin erfordert, bietet die Chance, alles in einem Format zusammenzuführen. Da muss man sich Gedanken machen. Wie sehen die Schnittstellen aus? In welcher Form werden die Daten gespeichert? Wann sind sie für die Öffentlichkeit zugänglich? Wenn die Digitalisierung – unter Einbeziehung der Archive – richtig gemacht wird, ist sie was Gutes. Am Anfang hat man vieles eingeführt, ohne die historische Dimension in Betracht zu ziehen. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Der IT-ler versteht unter Archivierung etwas anderes als der Historiker oder Archivar.

KP: Herr Lopau, ich danke Ihnen für das Gespräch.