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Vorfahrt für die Jugend

Der 18. Geburtstag

Der folgende Text stammt aus der Feder von Anabel Puth (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, erhielt sie für ihren Beitrag in der Altersgruppe der 17- bis 23-Jährigen eine Auszeichnung.

Der Tag meines 18. Geburtstages war ausgerechnet der schönste Tag des Sommers.

Das Wetter war so gut wie seit langem nicht mehr. Tagsüber war es angenehm warm gewesen – nicht zu heiß, nicht zu kalt. Und trotzdem hatte ich mich die ganze Zeit in meinem abgedunkelten Zimmer verkrochen und jeglichen Kontakt zur Außenwelt vermieden.

Jetzt am Abend war der Himmel feuerrot. Hier und dort trieben ein paar rosafarbene Wolken im lauen Wind. Es fühlte sich an, als hielte man mir einen Föhn ins Gesicht. Die warme Luft verursachte eine Gänsehaut am ganzen Körper. Es war das schönste Abendrot, das ich jemals gesehen hatte. Doch den riesigen Kloß in meinem Hals konnte es nicht vertreiben.

Mit unsicheren Schritten schob ich mein klappriges Fahrrad den Feldweg entlang. Weiter hinten konnte ich bereits die Weggabelung sehen, bei der ein schmaler Trampelpfad links in den Wald hineinführte. Ich war auf dem Weg zu unserem Treffpunkt. Luke hatte mir gesagt, ich solle am Abend vorbeikommen. Weshalb wusste ich nicht. Er hatte keine Ahnung, dass ich Geburtstag hatte. Ich hatte es ihm nicht erzählt und er hatte nie gefragt. Und das war auch gut so. Mir fiel es schon schwer genug, mich an diesem Tag überhaupt aus dem Haus zu trauen.

Geburtstage waren nicht mein Ding. Sie waren es noch nie gewesen. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie man es feiern konnte, dem Tod ein Stückchen näher zu sein.

Der Druck auf meinem Hals wurde mit jedem Schritt größer und ich atmete tief die rauchige Waldluft ein. Am liebsten wäre ich umgekehrt. In meinem Kopf herrschte dichter Nebel. Doch Luke wartete auf mich. Deshalb ging ich weiter. Als ich den Wald verließ, stand ich am Fuß eines Hügels. Normalerweise verirrte sich keine Menschenseele hierhin. Soweit ich wusste waren wir die einzigen, die diesen Ort kannten. Ich hatte ihn damals in der vierten Klasse entdeckt, als ich mich im Wald verlaufen hatte. Orientierungslos und verzweifelt war ich von Baum zu Baum gelaufen, von Lichtung zu Lichtung, und hatte schließlich unter Tränen diesen Ort gefunden. Steht man ganz oben auf dem Hügel, kann man weit hinten am Horizont die Hauptstraße sehen. Seitdem war dieser Ort unser Treffpunkt.

Ich schaute auf meine Armbanduhr. 21:50. Ein letzter tiefer Atemzug und entschlossen stapfte ich mit meinem Fahrrad den Hügel hinauf. Ich hatte ja nichts zu befürchten.

Luke war bereits da. Er stand mir abgewandt an einen ausladenden Apfelbaum gelehnt und beobachtete den Sonnenuntergang. Vorsichtig stellte ich mein Fahrrad ab. Es machte ein schepperndes Geräusch und Luke drehte sich um. Seine Miene erhellte sich. Mit einer einladenden Geste breitete er die Arme aus und kam auf mich zu. In seiner rechten Hand hielt er eine Flasche Wodka. Feierlich rief er: „Riley, da bist du ja! Alles Gute zum Geburtstag!“

Meine Gesichtszüge entgleisten mir. Er hatte es also doch herausgefunden. Wie? Es gab nicht viele, die von meinem Geburtstag wussten. Als Luke vor mir stand, griff er mir mit der freien Hand in den Nacken, zog mich zu sich und küsste mich, doch ich wandte mich in seinen Armen. Er ließ mich los.

„Was?“ Er lachte. „Glaubst du, ich wusste nicht, dass du Geburtstag hast? Ich bin dein Freund, Riley, ich finde sowas heraus.“

„Hätte ich gewollt, dass du es wüsstest, hätte ich es dir erzählt.“

Stirnrunzelnd streckte er erneut seine Hand aus und streichelte mir sanft über die Wange. „Was ist los, Riley? Schau doch, was ich für dich vorbereitet habe.“ Mit der Wodkaflasche in der Hand deutete er auf eine Stelle ein paar Meter abseits des Baumes. Dort hatte er im hohen Gras eine karierte Picknickdecke ausgebreitet, auf der bereits einige Kissen und ein großer Picknickkorb standen.

Ich schluckte und bekam ein schlechtes Gewissen. Er gab sich so viel Mühe, mir Freude an einem Tag zu bereiten, den ich am liebsten aus dem Kalender gestrichen hätte. „Gar nichts. Ich bin nur kein Fan von Überraschungen, geschweige denn von Geburtstagen.“

„Diese Überraschung wirst du lieben! Ich habe dir extra einen Kuchen gebacken.“ Er legte einen Arm um mich und schob mich voran. „Mach dich mal locker. Heute ist schließlich dein großer Tag! Nimm mal einen Schluck“, sagte er und hielt mir die halbvolle Flasche hin. Ich schüttelte den Kopf.

„Bist du jetzt etwa sauer, weil ich mir Gedanken um dich mache?“

Ich seufzte. „Du verstehst das nicht. Du freust dich darauf, erwachsen zu werden und unabhängig zu sein.“

„Du etwa nicht?“ Er lachte. Ich wusste, er würde es nicht verstehen. Inzwischen bereute ich es beinahe, nicht doch umgekehrt zu sein. Luke griff nach meiner Hand und zog mich vorwärts. Ich seufzte nur. Wir ließen uns auf der Decke nieder und ich legte meinen Kopf auf eines der Kissen. Es war ein Albtraum. Ich wollte nicht daran erinnert werden, nun ein Jahr älter zu sein.

Luke griff nach dem Picknickkorb und holte einen Kuchen heraus. Sogar eine Kerze hatte er hineingesteckt, die er nun anzündete. „Wünsch dir was.“

Ich schüttelte den Kopf. „Lieber nicht.“

„Doch, Riley. Das macht man so.“

„Ich mache das nicht so.“

„Dann wirst du es ab jetzt so machen. Komm schon, ich habe mir wirklich Mühe gegeben.“ Er grinste mich mit einem seiner schiefen Lächeln an. Ich konnte nicht wiederstehen, ich musste tun, was er wollte.

Widerwillig holte ich Luft und blies die Kerze mit dem ersten Versuch aus. Luke klatschte und ich lief rot an. „Lass das, das ist albern.“

Luke schien meinen Kommentar zu ignorieren. „Was hast du dir gewünscht?“

„Das darf man doch nicht verraten, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung.“

„Natürlich geht er in Erfüllung! Ich bin dein Freund, ich habe ein Recht darauf zu wissen, wie du dich in deinem Inneren fühlst“, witzelte er, während er ein Stück Kuchen abschnitt, es auf einen Pappteller hievte und mir reichte. Sein belustigter Tonfall machte mich verrückt. Mir war so gar nicht nach guter Laune zumute.

Mürrisch nahm ich den Kuchen entgegen. „Müssen wir darüber reden? Ich würde meinen Kuchen gerne in Ruhe essen.“

Er kicherte nur, doch er sagte nichts mehr. Schweigend biss ich eine Ecke meines Stückes ab.

„Und, schmeckt er dir?“

„Ja, tut er. Ich wusste gar nicht, dass du backen kannst.“

„Ich auch nicht. Ich bin froh, dass er essbar ist und ich uns nicht vergiftet habe.“ Er brach in Gelächter aus. Luke war bekannt dafür, seine eigenen Witze besonders gut zu finden.

Während ich schweigend meinen Kuchen aß, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass er mich beobachtete. „Was ist?“, frage ich mit vollem Mund.

Er schüttelte nur lachend den Kopf. „Ich kann immer noch nicht verstehen, wie du nicht 18 sein möchtest.“ Luke war drei Monate vor mir volljährig geworden. Ich war auf seine Party eingeladen gewesen und dort waren wir zusammengekommen.

„Es geht mir nicht um die Zahl…“

„Worum dann?“, unterbrach er mich.

Ich seufzte. „Um alles, was mit dieser Zahl verbunden ist. Führerschein, Eherecht, volle Strafmündigkeit…“

„Du hast doch nicht etwa vor, kriminell zu werden, oder?“ Luke lachte. Beschämt schaute ich zur Seite. Ich hatte das Gefühl, er wollte mich gar nicht verstehen.

„Natürlich nicht. Aber von nun an bin ich für mein Leben selbst verantwortlich. Was ist, wenn ich noch nicht soweit bin?“

„Du bist soweit, Riley. Du bist der reifste Mensch, den ich kenne.“

„Dann kennst du mich aber nicht besonders gut“, schnaubte ich verächtlich. Sofort spürte ich, dass ich ihn gekränkt hatte. Ich warf ihm einen unsicheren Blick zu und sah, dass er mich bestürzt musterte. Ich bereute, was mir herausgerutscht war. Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht was.

Vorsichtig rückte Luke ein bisschen näher und legte mir eine Hand auf das Knie, während ich mir ein Gänseblümchen um den Finger wickelte. „Ich versuche ja, dich besser kennenzulernen, doch bei jeder Frage, die ich stelle, verschließt du mehr von dir.“

Ich wusste, er erwartete eine Antwort von mir, doch ich wusste keine. Ich sagte nichts, sondern lehnte mich nur vor und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Entschuldigen fiel mir nicht leicht. Dies war meine Art, es auszudrücken.

Zu meinem Erstaunen grinste er. „Weißt du was? Es ist Zeit für dein Geschenk. Augen zu, Liebling“, sagte er und stand von der Decke auf, noch bevor ich meine Augen schließen konnte. Nach einiger Zeit spürte ich ein kleines Päckchen in meinen Händen.

„Augen auf.“ Als ich ihn wieder ansah, strahlte er über das ganze Gesicht. „Pack schon aus.“

Ich schüttelte den Kopf. Der Kloß in meinem Hals schwoll weiter an.

„Los, mach schon!“

„Ich kann nicht.“

„Wieso nicht?“

„Vielleicht weil ich dich nicht darum gebeten habe, mir etwas zu schenken! Ich habe nicht darum gebeten, Geburtstag zu haben!“ Mir stieg die ganze Sache zu Kopf. Ich verspürte einen einschnürenden Druck auf meinen ganzen Körper. Egal, wie sehr ich es versuchte: Alles was Luke tat, erinnerte mich an das Älterwerden. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen. Sie ließen sich nicht aufhalten.

Zornig sprang ich auf und stieß dabei den Picknickkorb um, der neben mir stand. „Du verstehst es nicht! Es wird nie wieder so sein, wie es war oder jetzt ist! Ich komme dem Tod Sekunde zu Sekunde näher und ich möchte nicht feiern, dass schon wieder ein weiteres Jahr vergangen ist!“ Ich stürmte davon. Doch nach ein paar Schritten machte ich kehrt. Die Flasche Wodka stand neben Luke. „Gib das her!“, brüllte ich, ohne ihm in die Augen zu sehen, und stampfte weiter. Ich lief bis zur entgegengesetzten Seite des Hügels und ließ mich dort im Gras nieder. Ich nahm einen gierigen Schluck und kippte mir die Hälfte auf die Brust. Ich schämte mich vor mir selbst, aber so handeln Menschen nun mal, wenn sie mit ihren Ängsten konfrontiert werden: Sie schreien und trinken, um zu vergessen.

Rücklinks streckte ich mich auf dem trockenen Boden aus. Inzwischen war die Sonne untergegangen und die ersten Sterne funkelten am Firmament. Während ich versuchte, sie zu zählen, wünschte ich mir, ich könnte einer von ihnen werden.

Irgendwann hörte ich ein Rascheln hinter mir und danach Schritte, die auf mich zukamen. Kurz darauf erschien Lukes Kopf in meinem Blickfeld. Er sagte nichts, sondern setzte sich nur seufzend neben mich. Die Stille zwischen uns war unangenehm, nicht so wie sonst. Ich wusste nicht, ob ich etwas zu ihm sagen sollte, und wenn ja, was. Also starrte ich weiter in den Himmel.

Schließlich räusperte Luke sich. „Du hast also Angst vor dem Älterwerden“, stellte er fest.

Ich schluckte hart, doch nickte letztendlich. Dann wurde es wieder still. Nach einer Weile seufzte er erneut und legte sich ächzend neben mich ins Gras. Unsere Schultern berührten sich und er griff nach meiner Hand, die ich mit seiner verschränkte. „Kennst du dich mit Sternenbildern aus?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Das da“, sagte er und hob den Arm Richtung Norden, „ist der Große Wagen. Das hast du bestimmt schon mal gesehen. Aber eigentlich ist der Große Wagen gar kein Sternenbild. Eigentlich gehört er nämlich zu einer anderen Konstellation, dem Großen Bären. Siehst du die drei Sterne weiter unten? Das soll das Vorderbein sein, glaube ich. Und das da ist dann das Hinterbein.“ Er ließ seinen Arm wieder sinken. „Weißt du, Sterne sind mehrere Millionen Jahre alt. Wir alle bestehen aus Sternenstaub und wenn wir sterben, werden wir wieder zu welchem. So ist das Leben. Jedes Lebewesen stirbt einmal. So ist es nun mal.“ Er drehte sich auf die Seite, stützte seinen Kopf auf seinen Arm und sah mich an. „Aber du hast dein ganzes Leben doch noch vor dir! Du bist 18 Jahre alt! Du hast die Schule bald hinter dir. Jetzt folgt die beste Zeit deines Lebens! Die Zeit, in der du endlich zu dir selbst findest, in der du dich verwirklichen kannst. Die stehen alle Türen offen!“

„Aber das ist gar nicht so leicht, wenn man die ganze Zeit im Hinterkopf hat, dass das Leben endlich ist. Ich habe den Druck, jede Sekunde auszukosten. Und wenn ich auch nur einmal meine Zeit verschwende, bereue ich es. Weil ich weiß, dass mir nichts geschenkt wird. Ich werde arbeiten und einen Job machen müssen, der mich nicht erfüllt, aber getan werden muss, um Geld anzuschaffen. Einmal geblinzelt und schon werde ich dreißig sein. Und dann werde ich Mitte vierzig und irgendwann bin ich zu alt, um das alles hier noch Leben zu nennen. Dann ist es nur noch ein Überleben.“ Meine Stimme brach. Ich war den Tränen nahe. Sanft drückte Luke meine Hand

„Riley, denk nicht so viel nach. Dein Ziel sollte es nicht sein ein langes, sondern ein erfülltes Leben geführt zu haben. Das geht aber nicht, wenn du dir über jede einzelne Sekunde den Kopf zerbrichst. Wer sagt denn, dass deine Jugend mit 18 vorbei ist? Wer sagt dir, wie du dein Leben zu leben hast? Du hast nun die Wahl! Du hast nun die Chance, dein Leben nach deinen Vorstellungen zu gestalten. Lass sie dir nicht entgehen.“

Luke erhob sich. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich meiner Freundin nun gerne dabei zusehen, wie sie ihr unglaublich tolles Geburtstagsgeschenk auspackt, für das ihr Freund sein halbes Erspartes hingeblättert hat“, witzelte er wieder und hielt mir seine Hand hin. Meine Glieder drückten schwer in den Boden. Auf einmal fragte ich mich, wie ich die ganze Zeit über nur so einen pessimistischen Blick auf das Ganze haben konnte. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ich suchte im Sternenhimmel nach dem Großen Wagen, fand das Vorderbein des Großen Bären, dann sein Hinterbein, und ich wusste, dass Luke immer für mich da sein würde.

Dann ergriff ich seine Hand, zog mich an ihm hoch und war bereit, mir die letzte Chance, den Rest meines 18. Geburtstages zu genießen, nicht entgehen zu lassen.

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Vorfahrt für die Jugend

410

Der folgende Text trägt den Titel „410“ und stammt aus der Feder von Dennis Tschernich (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, erhielt er für seinen Beitrag in der Altersgruppe der 17- bis 23-Jährigen eine Auszeichnung.

Tropfenweise tropfte der Schweiß von meiner Stirn, Die Dunkelheit, die mich wie eine Schale umzog, wurde von einem starken Lichtstrahl durchbrochen. Diese Gegend kam mir sehr bekannt vor, es sah nach einem Tunnelausgang aus… bin ich… ? Mein eigener, starker Atemzug zerstörte die Illusion, ich saß in meinem Zimmer vor dem Computer. Ich konnte es fühlen, wie mein Körper das Bilden von Schweiß einstellte, die negativen Gedanken, die als Auslöser dafür dienten, waren in Kürze vergessen. Was für welche waren das? Worum ging es da? Auf diese Fragen konnte ich mir keine Antworten geben, bräuchte ich auch nicht, das einzige, was ich in dem Moment wollte, war Wasser. Beim Aufstehen gelang es mir, meinen alten Holzstuhl umzukippen und damit eine Glasflasche zu zerschlagen. „Scheiße…“ , murrte ich in die Nässe unter mir,

. seit wann steht die…?“. Plötzlich taucht der Kopfschmerz auf, rasch durchlief es alle meine Hirnzellen und verging genauso schnell, wie es auftauchte. Ich konnte es mir nicht leisten, weiter Zeit zu verlieren, schnell driftete ich durch die Dunkelheit, die in meiner ganzen Wohnung herrschte, in die Küche. Als hätte sie auf mich gewartet, stand eine Plastikflasche mit Wasser auf dem Küchentisch. Während ich meinen Durst löschte, wurden meine Gedanken etwas klarer; alles, was mich bis jetzt nicht interessiert hatte und ich in Frage gestellt hatte, bekam nun plötzlich einen gewissen Platz in meinen Gedanken. Mein Handy, das sich in meiner Hosentasche befand, konnte mir die ersten zwei Fragen beantworten. „2. Februar, 2:47″. Weitere Fragen waren leider schwerer, alleine dadurch, dass ich sie nicht in Worte fassen konnte, ich konnte sie nur mit Angst und Verlust verbinden… vielleicht ist es auch besser so. Dem Gedankenflug konnte ich nicht länger folgen, ich wurde durch das laute Magenknurren in die Realität zurückgerissen.

Ich schaute einen Moment in den Kühlschrank, der leer war wie eine Wüste. Ich schaute ihn so an, als ob er ein Mensch war, ein Freund sogar, der mich verraten hatte. Meine Aufgabe war klar: ich musste mir etwas kaufen gehen. Ich machte mich auf den Weg zu einem 24-Uhr-Laden, der in der Nähe meiner Wohnung lag. Schon bereit angezogen, stand ich im Flur, einem schmalen, langen Flur. Ich beobachtete mich selbst im Spiegel, durch den Lichtmangel konnte ich mein eigenes Aussehen nicht wirklich beurteilen, aber ich konnte mir genau vorstellen, wie ich in dem Moment aussah. Spontan versuchte ich mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal draußen oder überhaupt einfach nur aus der Wohnung herausgekommen war. Ich wusste einfach nur, dass ich nicht immer so war, ich hatte mehrere Freunde, ich ging auch in eine Universität, ich hatte auch eine…. Mein Bauch knurrte wieder, ich packte meinen Schlüssel in die Jackentasche, machte die Tür auf und sah das Treppenhaus, welches mit alten Fliesen ausgelegt war, ein schwaches Licht schien von einer Straßenlampe in das Treppenhaus, was mir zeigte, wo der Ausgang war. Ich drehte mich um, um die Tür zu schließen, hob meinen Kopf hoch und sah eine Gestalt. Eine Gestalt, genau so groß wie ich, stand ein paar Meter von mir entfernt; in dieser Sekunde war mein Kopf absolut leer, ich stand wie eine Eisskulptur und schaute dieses Wesen an. War es vielleicht nur meine Fantasie? Ein Dieb? Wie war er dann in meine Wohnung hineingekommen? Langsam reduzierte die Gestalt den Abstand zwischen uns immer mehr und mehr, ich schmiss die Wohnungstür mit voller Kraft zu und rannte aus dem Haus.

„Wie konnte ich nur es vergessen!?“ , mein Schrei durchdrang alle Häuser in der Nähe, doch keiner hörte ihn. Mein Handy lag genau da, wo ich es gelassen hatte, bei mir zuhause auf dem Küchentisch. Ich fühlte mich hilflos, ohne weiter zu denken folgte ich meinem Anfangsplan weiter, ich ging zu dem Laden. Der Schnee knirschte unter meinen Füßen, die großen Schneewehen reflektieren das gelbe Straßenlampenlicht, die Atmosphäre beruhigte mich ein bisschen, ich hatte mich von dem Geschehenen innerlich entfernt.

In der Ferne konnte man den Laden schon gut erkennen, er war klein und stand allein, vielleicht damit er nicht von den großen Wohnhäusern verdeckt würde.

Erst jetzt bemerkte ich, wie meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schon vor der Eingangstür bekam ich Kopfschmerzen, ich konnte mich nicht im Laden orientieren, ich merkte, wie die Gänge immer schmaler wurden, sie wollten mich zerdrücken, sie…

„Hi“ , eine zarte Stimme, die ich schon kannte, beruhigte mich in der Sekunde. Ich schaute sie an, eine Figur aus meinem alten Leben, blonde Haare mit einem Zopf, eigentlich ein strahlendes Gesicht, welches mich mit Leid anschaute, und ein schöner Name, den ich schon lange vergessen hatte.

„Alles ok bei dir?“ ,sie ging rasch auf mich zu.

„Ja, alles gut…“ Ich vergrößerte den Abstand zwischen uns.

„Na… bist du aus deiner Höhle raus?“, an der Aussprache konnte man erkennen, wie sie im Gespräch mit mir verzweifelt passende Worte suchte.

„Ja, ich… wollte mir was zum Essen kaufen“, ich wollte nach Hilfe suchen, aber ich traute ihr nicht, ich fühlte, dass sie daran Schuld war, was aus mir geworden war.

Ich saß in einer U-Bahnstation, draußen war es zu kalt, ich wagte mich nicht, wieder nach Hause zu gehen und in dem Laden wollte ich auch nicht bleiben. Mein Plan war es, auf den Tag zu warten, falls bei mir zuhause doch irgendwelche Diebe waren, müssten sie dann schon längst weg sein, und falls es doch keine Diebe waren…. „Sowas kann nicht existieren, es ist von Natur aus unmöglich! Gestalten, die sich einfach so im Raum bilden, pah!“

Ich bekam Gänsehaut. Ich versuchte, mich nochmal an diese Gestalt zu erinnern, aber ich hörte sofort damit auf. War die Angst davor zu groß? Ja. Ich versuchte, ein bisschen zu schlafen, um mich zu beruhigen, aber es gelang mir nicht, ich lag einfach so auf einer Bank, mit geschlossenen Augen und plante meine Invasion weiter.

9:37

Erschrocken sprang ich von der Bank auf, ein weiterer schrecklicher Traum besuchte meinen Kopf, der Inhalt blieb vor mir verdeckt, nur Gefühle, starke, wilde Gefühle zeigten sich offen. Ich schaute mich um und sah die U-Bahnstation, aber keine Menschen. Die Station war leer, absolut leer. Ich konnte mich nicht an den Wochentag erinnern, aber es war mir bewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich wollte mich nicht weiter mit dieser Frage beschäftigen, ich verließ die Station und ging in Richtung meiner Wohnung .

Tagsüber schien in dem Treppenhaus das Sonnenlicht, man konnte kaum eine Fläche finden, wo Schatten war. Ich stand vor meiner Tür, an der Wand fehlte eine Fliese, da sie nun ihren Platz auf dem Boden gefunden hatte. „Wahrscheinlich ist sie abgegangen, als ich die Tür zuknallte.“, dachte ich. Ich fand es irgendwie lustig, keine Ahnung wieso, ich suchte vielleicht nach Ausreden, nicht die Tür aufzumachen, ich versuchte, die Zeit hinauszuzögern . Nach einigen Minuten war ich bereit, ich steckte den Schlüssen ins Schloss, drehte ihn einmal nach rechts, riss die Tür auf und sprang zurück. „Ich bin so dämlich.“ dieser Satz erschien in meinem Kopf, vor ein paar Minuten hätte ich wahrscheinlich darüber gelacht, aber jetzt nicht, jetzt ging es mir praktisch um mein Leben, zumindest hatte ich so ein Gefühl. Der Flur… die Wohnung insgesamt war gut durch das Sonnenlicht beleuchtet, falls die Gestalt doch nur eine

Gedankeninterpretation war, konnte ich es gut nachvollziehen. Ich kroch langsam in die Wohnung hinein. Nichts war zu hören, ich schaute kurz nach links, in die Küche rein, mein Handy lag auf dem Tisch, ansonsten war alles normal, genauso, wie ich es gestern zurückgelassen hatte. Ich kroch zu meinem Ziel, dem Schlafzimmer.

Unaufgeräumtes Bett, ein Computertisch mit einem Computer, ziemlich viel Müll, alles wie immer. Ich ging erschöpft zur Tür, verschloss sie und stand eine Weile vorm Spiegel. Ich durchlebte alles nochmal gedanklich und kam zu der Schlussfolgerung, dass ich einen schlimmen Tag erlebt hatte, und trotzdem war ich froh, dass er so geendet hatte. Ich sah einen wochenlang nicht ausgeschlafenen, nicht geduschten und unrasierten jungen Mann im Spiegel, ich zog die Jacke aus und sagt zu mir: „Man, siehst du Scheiße aus…“

„Für mich bist du aber immer noch schön“.

Ich erstarrte zu Eis.

Eine sanfte Stimme erklang in meiner Wohnung, Schweiß floss von über meinen Rücken, ich war alleine und doch konnte ich die Stimme deutlich hören. Ich beobachtete in den Spiegel, wie sich ein Schatten hinter meinen Rücken bildeten, so dunkel, dass er sogar außerhalb seiner Grenze noch das Licht in sich zog, eine Art Hand zog sich aus dem Schatten heraus, je weiter sie von dem Schatten weg war, desto menschlicher sah sie aus. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht schreien, ich konnte nicht blinzeln, ich konnte meinen Körper nicht beherrschen, ich stand nur da und wartete darauf, was auf mich zukam. Bilder entstanden in meinem Kopf, als die Hand mich berührte, Bilder, die alle meine vorherigen Fragen erklärten, ich sah die schreckliche Wahrheit, sie umarmte mich, der Tag wurde zur Nacht, der letzte Sonnenstrahl verließ mich, alles war dunkel.

Meine Schale aus Dunkelheit wurde von einem Lichtstrahl durchbrochen, ich saß vorm Computer und atmete stark. „Es sah wie ein Tunnelausgang aus.     ich versuchte mich an den Traum zu erinnern, der mich so zum Schwitzen gebracht hatte, aber ich konnte es nicht. Nach dem Aufwachen hatte ich nur eines im Sinn, das Durstgefühl loszuwerden.

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Vorfahrt für die Jugend

„Beat and Dance”

Zum neunten Mal haben sich junge Akteure aus dem gesamten Herzogtum Lauenburg und darüber hinaus aufgemacht, um die Show „Beat and Dance“ im Schwarzenbeker Rathaussaal zu realisieren. Am Sonntag, 1. Juli, um 19 Uhr ist es endlich wieder so weit. Das pulsierende Netzwerk aus jungen Menschen die Singen, Tanzen, Ton bearbeiten, Filme drehen und Grafiken für diese Show erstellen, präsentieren nach einem dreiviertel Jahr harter Proben die Ergebnisse ihrer Arbeit. In Kooperation mit der Stiftung Herzogtum Lauenburg, der Hochschule für Musik und Theater Hamburg sowie dem Regisseur und Intendanten des Kultursommers am Kanal, Frank Düwel,  produziert die Jugendpflege in Schwarzenbek die Show.

In diesem Jahr steht Beat and Dance unter dem Motto; „Beginners in Love, Rhythm of my live“.  „Ich habe festgestellt, dass sich ganz allgemein ein Optimierungskult entwickelt hat. Nach dem Motto: Wenn ich mich gut ernähre, Sport treibe und wenn ich nur raffiniert und klug genug bin, habe ich Erfolg. Die Liebe ist die Antithese zur Optimierung. Die Liebe ist das Lebendige, Nichtkontrollierbare. Die Liebe ist das Medium, mit dem man seine Schwächen versöhnen kann“, beschreibt Frank Düwel, als Regisseur der Show den Gedanken, der ihn zur Auswahl des Themas bewogen hat. In der Diskussion mit den am Projekt teilnehmenden Kids, ist darüber hinaus das Thema Rhythmus als tragendes Element der Show hinzugekommen. Die Jugendlichen haben sich intensiv darüber Gedanken gemacht, dass das Leben in großen Teilen durchgetaktet ist und der pulsierende Rhythmus des Lebens den Menschen überall hin begleitet. Dieses Spannungsfeld zwischen der Liebe mit all ihren Begleiterscheinungen und dem Takt des Lebens, zieht sich als thematischer roter Faden durch die ganze Show. In diesem Jahr ist es darüber hinaus gelungen, drei Tanzkompanien mit mehr als 30 Tänzerinnen und Tänzern für die Aufführung zu gewinnen. Ein weiteres Highlight in diesem Jahr ist der Auftritt der Hamburger Opernsängerin Merlind Phol, die zusammen mit den Hip-Hoppern der Lauenburger G-Breaker, die Habanera aus der Oper Carmen performen wird. Der besondere Charme der Show kann jedoch nur entstehen, weil alle Teilnehmer sich als Einheit verstehen. Sie helfen und begleiten sich bei den Vorbereitungen und der Aufführung gegenseitig.

Stadtjugendpfleger Norbert Lütjens, der zusammen mit seinem Team die Show seit inzwischen neun Jahren produziert, berichtet davon, wie komplex das Projekt inzwischen geworden ist. In einem pulsierenden Netzwerk arbeiten annähernd 100 junge Menschen über ein dreiviertel Jahr miteinander, komponieren Musik, stellen visuelle Projektionen für einzelne Themen her, proben, arrangieren gemeinsam Showabläufe und müssen sich dafür verlässlich miteinander absprechen. Unterstützt durch professionelle Rahmenbedingungen bei der Inszenierung, der technischen Umsetzung oder dem Coaching der Akteure, entsteht so Jahr für Jahr eine unglaubliche Show, die sowohl bei den Teilnehmern als auch dem Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

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Vorfahrt für die Jugend

Gewebe

Der folgende Text stammt aus der Feder von Eva Schwecher (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, belegte sie damit den zweiten Platz in der Altersgruppe der Zwölf- bis 16-Jährigen.

„Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt“ (Arthur Schopenhauer)

Mein Name ist Olivia, von den anderen werde ich nicht gesehen, denn ich passe nicht in ihr System. Ich bin eine Gefahr, denn ich fliege noch frei herum. Die anderen sind Fliegen, die im großen Netz der Spinne gefangen sind. Ich bin eine Libelle, doch sie ahnen nicht, dass ich mich wandeln kann, ich kann, wie sie, eine Maske tragen. Ich kann, wie sie, ein Teil des Netzes werden, aber die Spinne wird niemals überhandnehmen. Die Spinne, sie webt immer weiter und weiter. Immer mehr Fliegen werden dem sich ausbreitenden Netz untenvorfen. Das Netz ist dicht gewebt. Jeder, der einmal Kontakt mit diesem aufgenommen hat, wird für immer verschluckt, in die Welt der Masken. In die Welt der Verlogenheit. In die Welt der Leistung.

Das System hält uns in Schach. Doch, merken Sie nicht, dass es uns verändert? Merken Sie nicht, dass jeder von uns die passende Maske zu jeder Situation parat hat? Damit wir ausnahmslos jedem gefallen. Das Rasieren der Augenbrauen…halten Sie das nur für ein Phänomen der sich selbstfindenden Jugend? Oder gar als Assimilierungsversuch? Nein. ..ein Hilfeschrei muss nicht laut sein, ein Hilfeschrei darf keine Gewalt erfordern. Das Rasieren der Augenbrauen ist ein Hilfeschrei der heutigen Generation gegen das System! Ein letzter Aufschrei, bevor der tiefschwarze Stift an der Stelle angesetzt wird. Bevor aus den bogenförmigen, vollen Augenbrauen ein massiver schwarzer Strich gezogen wird. Denn dann, dann ist alles verloren. Mit dem Aufschlagen jeder Zeitschrift, mit dem Betreten jedes Fitnessstudios nähre ich mich dem gigantischen Gewebe des Spinnennetzes. Ich werde mich zuerst in eine Fliege und dann in eine Spinne verwandeln, um herauszufinden, was sie bewegt, was sie C zum Netz zieht.

Phase I

4. Semester Psychologie. Ich betrete den von Schweiß durchtränkten Raum. Konzentration liegt in der Luft. Die Fliegen tragen alte ihre Masken, die sich in ihrem Motiv ähneln. Auch der Professor, die Spinne, trägt eine Maske. So makellos ohne einen winzigen Fehler in der DNA. Denn jeder minimale Fehler könnte dafür sorgen, dass das Gewebe eine kleine Zelle, welche sich verändert hat und nicht zu den anderen passt, ausstößt. Sie wird vom Gewebe selber bekämpft und schließlich verdaut, von den Fliegen im Netz.

Mein Blick gleitet zwischen die Menge. Heute beginnt mein Experiment. Heute werde ich meinem Ziel näherkommen. Der Raum hat so eine hohe Luftfeuchtigkeit, dass sich der Schweiß der anderen auf mir absetzt. Oder ist das mein eigener?

Ich setzte mich in die erste Reihe. Ich trage auch eine Maske. Mein Ausschnitt viel zu tief, meine Kleidung viet zu auffällig, die ersten schauen rüber. Der Look, ein Teil meiner Maske. Die Maske sitzt tiefer in mir, als mir lieb ist. Alles für das Experiment, alles nur, um das Gewebe zu verstehen.

Die Vorlesung beginnt. Das monotone Geräusch der schreibenden Stifte setzt ein. Mein Körper zittert im Takt. Ich höre die Stimme trüb, wie durch ein Milchglas, verschwommen und blass. Ich konzentriere mich nur auf das Aufrechterhalten der Maske. Wie halten sie es nur aus? Mich kratzt die widerwärtige Darstellung einer anderen Persönlichkeit in Form einer Maske so sehr, dass ich sie von mir reißen und dabei laut brüllen will. Doch dazu kommt es nicht. Denn mein Körper hat die Maske schon längst aufgenommen. Besser als ich dachte, schneller als ich denken konnte. Mein Körper führt alle Bedürfnisse dieser Maske aus. Ich hatte das Gefühl, nicht ich selber zu sein. Aus dem Widerstreben wurden eine hartnäckige Motivation und ein Gefühl, das ich nicht deuten konnte. Etwas ganz Neues, Dunkles und Unbekanntes. Dieses Unbekannte trieb mich immer weiter, näher, enger an das Netz. Ich hörte das C Klappen der Stühle und nahm Bewegung war. Ich fühlte mich wie in Trance, nur fokussiert auf mein Experiment. Ich war plötzlich so naiv, so infantil. Noch gestern konnte ich über jeden meiner Kommilitonen Aussagen treffen, die sie tief in ihrem Inneren verstaut hatten. Jetzt aber war ich entwaffnet, wie fremdgesteuert.

Langsam und graziös schritt ich zum Professorenpult. Zum Pult der Spinne. Ich hatte es schon öfter beobachtet, wie es die anderen machten. Die Haare warf ich gekonnt nach hinten, die Brust raus und strich mit meiner Zunge wie in Zeitlupe an meiner Unterlippe entlang. Ich blieb vor ihm stehen und das erste Mal hatte ich das Gefühl, wahrgenommen zu werden. Doch ich täuschte mich. Nicht ich wurde wahrgenommen, sondern meine Maske. Die Maske, eine perfekte Illusion meiner selbst.

Auf einmal lief alles wie in einem Hollywoodfilm. Wenn man das auf der Leinwand betrachten würde, spielte es sich sicherlich in Zeitlupe ab. Alle 14-jährigen Mädchen würden in dem Moment ihre Popcorntüte zur Seite stellen und mit voller Erwartung und offenem Mund auf den Professor starren, der sich aus irgendeinem Grund die c Erlaubnis nahm, mich von unten nach oben zu mustern, um dann schlussendlich an einer Stelle zu verweilen. Das waren aber nicht meine Augen.

 

Phase 2

3 Uhr morgens. Stickige Luft. Partykeller. Ich will hier raus, doch meine Maske lebt von Momenten wie diesen. Zu viele Menschen, doch von Platzangst keine Spur. Es gehört dazu, es ist das Experiment, du willst doch maximale Authentizität…dann spüre ich die Maske wieder, wie sie sich immer weiter in mein so unschuldiges, prüdes Fleisch bohrt. Ich werde ganz anders wahrgenommen, besser gesagt, ich werde wahrgenommen. Es folgen Kommentare, dann Bewegungen und Andeutungen in dieser stürmischen Nacht, wie ich sie noch nie erlebt habe.

Die Maske hat mich mittlerweile fast komplett eingenommen. Wie ein Parasit hat sie sich in meinem Körper verbreitet. Ich muss mich nicht mehr verstellen, denn es fühlt sich an, wie gewollt. Es ist erschreckend, wie schnell man Teil des Netzes wird, wie schnell man ein Teil dieses riesigen Gewebes werden kann. Noch letzte Woche würde mich niemand von den Fliegen auf so eine Veranstaltung einladen, doch jetzt bin ich hier, mitten auf der größten Party des Jahres. Langsam fand ich Gefallen daran. Aufmerksamkeit ist ein sehr verlockendes Gut. Doch ich musste mich zusammenreißen, wieder in den Sinn rufen, dass es ein Experiment ist. Am erschreckendsten wahr wohl, dass ich zu zweifeln begann. Was, wenn es bei all den Fliegen genauso anfing? Was, wenn sie sich alle zuerst gegen das System verschwört haben, aber hineingezogen wurden? Was, wenn ich auch nicht mehr rauskomme? War ich nun auch eine von ihnen? Das konnte nicht sein, mich packte die Wut. Jetzt auf einmal sprang die Maske wie ein Eiswürfel aus seiner Form heraus. Ich wusste nun, was zu tun war.

Ich atmete tief aus und drückte auf die alte Klingel mit der Aufschrift „Eichmann“. Die Tür öffnete sich und vor mir stand ein groß gewachsener Mann, Ende 30, der mir bereitwillig die Tür offenhielt. Ich schüttelte seine Hand und betrat seine Wohnung. Die Decke war sehr hoch, doch die Wohnung war nur sehr spärlich eingerichtet. Auffallend waren die vielen Bilder an den Wänden von einem kleinen Mädchen. Während einer Diskussion über meine Arbeit legte ich meine Hand auf seine, beugte mich vor und strich mit meiner Oberlippe über sein Ohr. Ich nuschelte dann noch etwas wie: „Natürlich ist das trivial, ich werde es ausführen, Herr Dr. Eichmann“. Seine Reaktion war zuerst sehr abweisend, erst so, als ob nichts geschehen war. Doch in seinen Augen entdeckte ich mehr als nur die Begierde auf ein psychologisches Phänomen aus den Lehrbüchern. In diesem Moment verstand ich, dass es kein Zurück gibt. Ich musste mein Experiment fortführen, ich musste ihn verführen. Ich musste die Spinne mit ihren eigenen Waffen schlagen. Ich legte meinen Finger auf seine Lippen und erklärte ihm, dass dies niemand anders erfahren würde. Dass das eine Sache zwischen uns beiden wäre. Endlich konnte ich das anwenden, was ich in diesen Zeitschriften des Gewebes sah. All dies wirkte bei der Spinne, die das Netz leitete. Wie C eine Gebrauchsanleitung konnte ich die Schritte einfach abspulen und erreichte das gewünschte Ergebnis.

Ich habe den Spieß umgedreht. Nun hing Josef Eichmann in meinem Netz und ich war die Spinne, die ihn kontrollierte. Wir würden uns bei ihm treffen, um meine Bachelorarbeit zu besprechen. Doch er wusste nicht, dass er ein Teil eines größeren Experimentes war. Ich muss nur seine Schwachstelle finden, dann würde ich meinen Plan fortsetzen können.

So vergingen Tage, Wochen, Monate. Ich war gefangen in meinem eigenen Versuch. Der Versuch bildete sein eigenes Gewebe. Ich konnte nicht flüchten, doch ich fühlte mich hilflos. Ich hatte längst alles bewiesen, meinen Bachelor mit 1,2 abgeschlossen.

und wollte nur weg. Weg von diesem Ort und dem furchtbaren Experiment, welches ich dokumentieren würde, um die Fliegen in ihrem Kampf gegen das Gewebe zu unterstützen. Doch Josef…pardon, Herr Dr. Eichmann wollte mich nicht gehen lassen. Ganz im Gegenteil. Er war der Meinung, wir konnten ein gemeinsames Leben beginnen. Irgendwo abgeschieden, weit weg, wo uns niemand sieht oder kennt. Ein Ort, an dem seine Frau ihn nicht finden konnte.

Phase 3

Die Maske hatte sich entzündet und mein Fieber stieg stetig. Ich wusste nicht, wie ich sie aus der Haut bekommen konnte. Sie war irgendwo tief im Fleisch verankert, ich konnte an diese Stelle nicht rankommen. Ich versuchte oberflächlich zu kratzen, doch es gelang mir nicht. Mein ganzer Körper stand unter Strom. Depressionen. Emotionsausbrüche. Heulattacken. Was ich tat, war eine erzwungene Persönlichkeitsspaltung. Ich sollte wissen, dass dies auf Dauer niemals funktionieren konnte, doch meine Sucht nach diesem Experiment überwog zu diesem Zeitpunkt.

Als ich nun ein wiederholtes Mal Herr Dr. Eichmanns Wohnung betrat, konnte ich seinen Geruch schon erahnen. Doch diesmal nahm ich seinen Geruch als widerwärtig, aufdringlich wahr. Mein ganzer Körper sträubte sich innerlich dagegen. Die Maske versuchte krampfhaft aus dem Körper hinauszugleiten, doch sie blieb an den entzündeten Stellen hängen und es schmerzte noch einen Ticken mehr. Ich konnte es nicht länger durchhalten. Mir kamen die Tränen. Ich sah keinen anderen Lösungsweg. Es konnte nur diesen einen Weg geben, diese Maske loszuwerden. Ich betrat die Küche, in der Herr Dr. Eichmann stand. Ich strich ihm behutsam über den Rücken, entschuldigte mich und stach mit einem Küchenmesser in seinen Bauch. Nicht nur einmal, sondern erschreckend oft. Ich konnte meine ganze Wut auslassen. Ich konnte nun endlich das Gewebe verlassen, konnte frei sein, unabhängig. Meine Entzündungen lösten sich, mein Fieber verschwand. Mein Name ist Olivia, von den anderen werde ich nicht gesehen, denn ich passe nicht in ihr System.

Eva Schwecher

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Verrückte Typen mit Taschen voller Bock

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Der Countdown läuft: Am kommenden Sonnabend, 12. Mai, steigt die dritte Auflage des Pegasus-Open-Air-Festivals. Headliner sind „Fuck Art, Let´s Dance!“. Auch wenn ihr derber Sprachgebrauch es nahelegt, die vier Hamburger Jungs beißen nicht. Im Gepäck haben sie deshalb ihren Post-Bedroom-Kellerwave, mit dem sie „ihrer Verachtung für Konventionen Ausdruck“ verleihen.

Wer mit diesem Begriff nichts anfangen kann, dem sei gesagt, dass „Fuck Art, Let´s Dance!“ in der Tradition der Independent-Musik stehen. Angetrieben von Schlagzeug und Bass geben melodiöse Gitarren und Keyboard den Ton an. Da drüber liegt die sanfte Stimme von Sänger Nico Cham. Mit dieser Formation will die Band erst sich selbst und dann das Publikum in Ekstase versetzen. Ihr Motto dabei: „Tanz, als ob die Welt dir zusieht und bereite dich auf ihren Untergang vor.“

Für weiteren musikalischen Stoff am neuen Festivalstandort – am Ziegelsee 1 in Mölln – sorgen die Bands „B104“, „The Gums“, „Enlaced By Tempest“, „Backbord“, „Monkeys on Moon“, die Lokalmatadore von „About Blank“ und die Songschreiberin „Smalltownsnitch“.

Mächtig Dampf unterm Kessel entfachen wollen „B104!“. Oder wie sie es ausdrücken, dem Publikum ihren „Pop-Punk gewaltig hinter die Ohren hauen“. Die fünf jungen Männer aus Rehna (Mecklenburg-Vorpommern) bezeichnen sich selbst als „verrückte Typen mit den Taschen voller Bock“.

The Gums“ aus Freiburg bewegen sich musikalisch zwischen der legendären Punkband „Ramones“ und dem Sound von Skate- und Pop-Formationen. Das heißt im Klartext: Die Jungs fabrizieren primitive Kompositionen für komplizierte Menschen.

Auf krachende Gitarren dürfen sich die Pegasus-Festival-Besucher beimAuftritt von „Enlaced By Tempest“ freuen. Die Lübecker haben sich dem Heavy Metal – der Musik von „Metallica“ und „Iron Maiden“ – verschrieben.

„Monkey´s on Moon“ kommen wie „Fuck Art, Let´s Dance“ aus Hamburg. Die sechsköpfige Truppe gibt es seit 2016. Ihr rockiger Sound hat ihnen diverse Auftritte und tausendfache Streams auf Spotify beschert.

Ordentlich zur Sache geht es bei „Backbord“. Die Texte des Lübecker Trios sind deutschsprachig. Ihre Musik ist ein Mix aus progressivem Rock und Elementen des Punk.

Zu „About Blank“ muss man eigentlich nicht mehr viel sagen. Die Möllner Band spielte schon 2016 und 2017 auf dem Festival. Für all jene, die es noch nicht mitbekommen haben: Can, Flo und Lenni lassen sich bei ihrer Musik von Pop, Grunge, Punk, Reggae, Blues und Rock inspirieren.

Sanftere Töne schlägt „Smalltownsnitch“ an. Die 20-jährige Sängerin aus Hamburg, die ihre Songs allesamt selbst schreibt, widmet sich aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen.

Mehr Infos unter https://www.pegasus-open-air.de/ und bei Facebook unter https://www.facebook.com/pegasusopenair/ und https://www.facebook.com/events/2012037268812247/.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_video link=“https://www.youtube.com/watch?v=ILjGWNbmjxI“][/vc_column][/vc_row]

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Vorfahrt für die Jugend

„Wollen der Live-Band-Kultur eine Bühne geben“

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Florian Klein und Max Lachetta sind Mitglieder des Jugendbeirates der Stiftung Herzogtum Lauenburg – der Kultur-Community. Das Gremium organisiert ehrenamtlich Konzerte, Poetry Slams und Lesungen für junge Leute. Ein seit 2016 wiederkehrender Höhepunkt im Veranstaltungskalender ist das Pegasus-Open-Air-Festival. Ein musikalisches Ereignis, bei dem mehrere Bands live unter freiem Himmel auftreten. Die dritte Auflage steht am 12. Mai auf dem Programm. Erstmals findet das Festival in unmittelbarer Nachbarschaft zur Möllner Jugendherberge, Am Ziegelsee 1, statt (Mehr zum Umzug unter https://kulturportal-herzogtum.de/2018/04/06/pegasus-open-air-festival-zieht-um/). Das Kulturportal sprach mit Florian und Max über ihre Motivation, Live-Musik im Jahr 2018 und den Arbeitsaufwand für ein Open-Air-Festival.

Kulturportal: Florian – Max – in diesem Jahr veranstaltet die Kultur-Community zum dritten Mal das Pegasus-Open-Air-Festival. Eine Veranstaltung, die alles andere als eine Kleinigkeit ist. Wie ist es dazu gekommen, dass ihr euch an so eine große Sache gewagt habt?

Florian Klein: Die Idee ist 2014 gereift, als wir die Kultur-Community gegründet haben. Als wir unsere Arbeit begannen, war die Frage: Was machen wir mit den Fördergeldern für Jugendkultur, die uns von der Stiftung Herzogtum Lauenburg zur Verfügung gestellt werden? Ein Mitglied der Community schlug vor, ein „Wacken“ in Mölln zu veranstalten. Zunächst wurde das verworfen. Wir wollten erst einmal darüber nachdenken, was Jugendkultur überhaupt für uns ist. Am Ende war es der Wunsch von vielen, ein Festival auf die Beine zu stellen.

KP: Pegasus-Open-Air-Festival. Ein ungewöhnlicher Name…

Florian: Name und Logo sind eine Hommage an das Kreiswappenpferd. Bei uns spannt der Pegasus die Flügel, um durchzustarten. Das Festival hat fliegen gelernt. Wir geben junger Musik die Chance, sich zu verbreiten.

KP: Stichwort Musik. Habt ihr euch so etwas wie Leitlinien gegeben, wie euer Festival aussehen soll?

Max Lachetta: Wir wollen die Jugendkultur beziehungsweise die jungen Musiker im Kreis fördern. Deshalb ist ein Großteil der Bands, die bei uns am Start sind, immer aus der Region.

Florian: Live-Musik wird ja gerne für tot erklärt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dieser Art von Kultur eine Bühne zu geben. Zwar gibt es in Schleswig-Holstein und Umgebung einige große Festivals, aber der Kreis Herzogtum Lauenburg ist da eher ein weißer Fleck. Wir wollen aber auch ein politisches Statement geben – für Demokratie und gegen jede Form von Radikalismus.

Max: Bei uns ist jeder willkommen. Auch ältere Musikliebhaber. Ich betone das, weil wir festgestellt haben, dass das Format auch Familien und Junggebliebene anspricht.

Florian: Man merkt, dass Live-Formate wie Festivals oder Club-Konzerte weniger geworden sind.

Max: Auf den Kreis bezogen ist da kaum noch etwas. Ab und an gibt es in kleinerem Rahmen Konzerte.

KP: Das klingt dramatisch.

Florian: Früher waren bei der Rocknight im Jugendzentrum Taktlos in Mölln bis zu 300 Leute dabei. Da ist man aus dem Kreis hingepilgert. Heute ist man froh, wenn 30 Besucher kommen. Es gibt auch weniger Bands als früher.

Max: Damals haben auch andere Jugendzentren Rock-Night-Formate angeboten. Das Korona in Schwarzenbek macht jetzt stattdessen Sofaabende. Die Ausgehkultur hat sich in den letzten Jahren geändert. Diejenigen, die früher zu den Rock-Nights gegangen sind, leben heute in der Großstadt. Die jüngere Generation ist nicht so sehr auf Live-Musik aus und fährt lieber in den Club.

Florian: Vor ein paar Jahren gab es in der Region auch mehr Diskotheken. Heute ist es nur noch eine. Mit dem Pegasus-Open-Air-Festival stemmen wir uns gegen den Trend. Wir wollen zeigen: Hier ist was los. Auch abseits der Clubs und der großen Festivals kann es gute Live-Musik geben.

KP: So ein Festival zu organisieren, stelle ich mir alles andere als einfach vor. Insbesondere wenn man keinerlei Erfahrung mit solchen Veranstaltungen hat. Wie war das bei euch? Musstet ihr viel Lehrgeld zahlen?

Max: Beim ersten Mal herrschte nach drei Stunden Lebensmittelknappheit, weil alles, was wir an Verpflegung angeboten hatten, ausverkauft war.

Florian: Die Absperrung des Backstage-Bereichs war verbesserungswürdig.

Max: Das war ein kleiner Zaun, über den man klettern konnte.

Florian: Ein weiteres Problem waren die vielen Fremdgetränke. Heute haben unsere Ordner da einen Blick drauf. Ansonsten lief alles. Auch mit den Bands.

Max: Die Resonanz war gut – bei den Musikern und den Zuschauern. Das war Motivation für uns, weiter zu machen.

Florian: Wir waren wirklich überrascht, wie stark das Format angenommen wurde. Bei schönstem Wetter hatten sich 1.000 Leute im Möllner Kurpark versammelt.

KP: Wie viel Arbeit steckt ihr in die Organisation?

Florian: Erst einmal muss man sagen, dass wir das Glück haben, auf viele freiwillige Helfer bauen zu können. Die Stadtjugendpflege und Streetwork Mölln etwa stehen uns mit Rat, Tat und Geräten zur Seite. Zum Beispiel, wenn wir ein Auto brauchen, um die Technik zur Bühne zu bringen.

KP: Dennoch dürfte der Aufwand für euch groß genug sein – oder?

Florian: Pro Person kann man mit 200 Vorbereitungsstunden rechnen. Und je näher das Festival rückt, desto stressiger wird es.

Max: Ich habe mich in diesem Jahr zum Beispiel um die Angebote für die Bühne gekümmert. Auf dem Gelände an der Jugendherberge, wo das Pegasus-Festival in diesem Jahr erstmals stattfindet, gibt es ja – anders als im Kurpark – keine festverankerte Bühne. Das hat unheimlich viel Zeit in Anspruch genommen. Man kann nie richtig abschalten, weil einem ständig neue Ideen kommen. Täglich schreibt man zwei bis drei Mails.

Florian: Seit letztem Jahr machen wir auch ein Wochenendtreffen. Wir sitzen dann von Sonnabendmittag bis Sonntagabend zusammen und planen.

Max: Außerdem haben wir andere Jugendorganisationen wie den Jugendbeirat Mölln miteingespannt. Anregungen von außen kann man immer gut gebrauchen.

Florian: Zumal wir wegen des neuen Veranstaltungsgeländes vieles neu planen mussten. Max hat die Bühne gerade erwähnt. Ein anderes Thema sind die sanitären Anlagen.

KP: Kommen wir auf das Wesentliche des Festivals – die Musik – zu sprechen. Auf welche Bands dürfen sich die Pegasus-Besucher freuen?

Max: Unser absoluter Headliner ist „Fuck Art, let´s Dance!“. Eine Indie-Pop-Band, die überregional bekannt ist. Viele von uns haben sie schon auf anderen Festivals gesehen. Insgesamt sind acht Bands dabei, die Hälfte davon kommt aus der Region.

KP: Welche Musikstile sind neben Indie-Pop noch vertreten?

Max: Eine Metalband ist dabei.

Florian: Pop, Punk, Rock. Wir haben uns auf keine Richtung festgelegt. Die Bands verzichten übrigens auf einen Großteil der Gagen. Deshalb können wir das Pegasus-Open-Air-Festival auch umsonst und draußen anbieten.

KP: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg am 12. Mai!

Foto: kulturportal-herzogtum.de

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Vorfahrt für die Jugend

Pegasus-Open-Air-Festival zieht um

Das Pegasus-Open-Air-Festival erfreut sich großer Beliebtheit. Mehr als 1.000 Besucherinnen und Besucher lockte die Veranstaltung bei der Premiere 2016 und im Jahr darauf an. Mittlerweile ist auch die Musikszene auf das Ereignis aufmerksam geworden. „In diesem Jahr hatten wir mehr als 200 Bands, die sich für einen Auftritt beworben haben“, sagt Florian Klein, Mitglied der Kultur-Community. Angesichts solcher Zahlen träumen er und seine Mitstreiter davon, das Ein-Tages-Festival in ein Zwei-Tages-Festival zu verwandeln.

Die gute Nachricht: Die Voraussetzungen dafür sind schon mal gegeben. Das Pegasus-Open-Air-Festival findet in diesem Jahr erstmals am Ziegelsee 1, in Mölln, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Jugendherberge statt.

„Am Ziegelsee können wir uns individuell einrichten“ sagt Klein. Erstmals könne man ein professionelleres Equipment wie eine veränderbare Bühne auffahren. Das sei im Kurpark, Veranstaltungsort der ersten beiden Auflagen des Festivals, nicht möglich gewesen. Dort sei man, was die Größe, aber auch die Deckenlast anbelange, eingeschränkt gewesen.

Zudem habe das Publikum auf dem Gelände jetzt freie Sicht auf die Bühne. Auch sei eine Vergrößerung der Fläche dank des angrenzenden Bolzplatzes denkbar, zählt Klein weitere Vorzüge des neuen Standortes auf.

Das Pegasus-Open-Air-Festival steigt am Sonnabend, 12. Mai, mit acht Live-Acts. Los geht es ab 14 Uhr. Für die An- und Abreise hat die Kultur-Community einen Shuttleservice eingerichtet. Die Busse pendeln zwischen Bahnhof und Festivalgelände. Es kann sich also niemand verlaufen. Mehr Infos unter https://www.pegasus-open-air.de/ und bei Facebook unter https://www.facebook.com/pegasusopenair/ und https://www.facebook.com/events/2012037268812247/.

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Im Bann der sprachbegabten Jugend

Im Saal ist es mucksmäuschenstill. Die Leute wollen wissen, wie die Geschichte ausgeht. Gebannt folgen sie der Stimme Gwendolin Fähsers, die die Erzählung vorträgt, als wäre sie selbst in das Badehaus des Benno Petersen geschlüpft. Benno Petersen, der an der Brutalität seines Vaters leidet, der sich freut, wenn Schläge unter Wasser erfolgen, weil sie dann gedämpft sind. Nachwuchsschriftstellerin Anneke Maurer hat diese Geschichte geschrieben. Sie ist – was die junge Frau in diesem Moment noch nicht weiß – in der Alterskategorie der Zwölf- bis 16-Jährigen die Gewinnerin des von der Stiftung Herzogtum Lauenburgs initiierten Wettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“. Als Preis winken ihr ein hochwertiger Gutschein, die kostenlosen Teilnahme an einer Schreibwerkstatt und dieser Abend im Amtsrichterhaus Schwarzenbek, an dem die besten Texte von der Theaterpädagogin Fähser und Schauspieler Thomas Pohle dem Publikum vorgestellt werden.

Fähser nähert sich dem Ende der Geschichte. Benno Petersen liegt jetzt zusammengerollt auf den kalten Fliesen. Immer noch hängen die Zuhörer an den Lippen der Theaterpädagogin. Nach wie vor ist es mucksmäuschenstill im Saal. Ein Beleg auch für die Qualität des Textes. Andernfalls wäre es mit der Ruhe wohl längst vorbei.

Auch den nachfolgenden Erzählungen folgt das Publikum geradezu andächtig. Die Geschichten der sprachbegabten Jugend ziehen es in den Bann. Leni Nörenberg etwa, die in der Alterskategorie der Sechs- bis Elfjährigen gewonnen hat, zerrt die Zuhörer direkt in einen fürchterlichen Alptraum hinein. Bei Maria Schröder, die in der Alterskategorie der 17- bis 23-Jährigen die Nase vorn hat, startet das „Kopfkino“ – wie Vorleserin Fähser es ausdrückt. Ein Ehepaar besucht mit seinen Kindern die demente Oma. Mit flotten Dialogen gelingt es der Nachwuchsautorin ein mitreißendes familiäres Panorama zu entfalten.

Die Qualität der Siegergeschichten wie auch einiger anderer Wettbewerbsbeiträge sei erstaunlich gewesen, so das einmütige Urteil der Jury, der der Verleger Wolf-Rüdiger Osborn, die Journalistin Gabriele Heise, die Schulrätin Kathrin Thomas, der Redakteur Florian Grombein (Lübecker Nachrichten) sowie Jörg-Rüdiger Geschke, Vorstandsmitglied der Stiftung Herzogtum Lauenburg, angehören. Insgesamt musste das Gremium 50 Wettbewerbsbeiträge bewerten. Neben den drei Siegern erhalten Steffen Stiehler, Jana Burmeister, Lisbeth Riedel, Eva Schwecher, Anabel Puth und Dennis Tschernich eine Auszeichnung. Auch deren Texte bekommt das Publikum im nahezu vollbesetzten Amtsrichterhaus zu hören.

„Für das Schreiben brauchen Sie Talent und das haben Sie bewiesen“, hat Verleger Osburg die Nachwuchsschriftsteller zum Start in den Abend gelobt. Die Texte hätten die Jury „berührt“, „teilweise auch erschüttert“. Osburg macht aber auch klar, dass die Schriftstellerei nicht immer nur eitel Sonnenschein ist. „Das Schreiben ist harte Arbeit und die können Sie sich nicht ersparen.“

 

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Badehaus

In den kommenden Wochen veröffentlicht die Stiftung Herzogtum Lauenburg die neun von der Jury ausgezeichneten Texte. Hier nun die Geschichte von Anneke Maurer, die in der Altersgruppe der Zwölf- bis 16-Jährigen die Nase vorn hatte.

Ich weine und versuche dabei, so viel Flüssigkeit aus meinem Körper zu pressen, dass ein Schwimmbad in unserem Haus entsteht.

Ich heiße Benno Petersen und sitze mit Schnorchel auf dem Toilettensitz, ich habe mich im Badezimmer eingeschlossen, aber das Schlüsselloch ist groß genug für jedes

Geräusch, es saugt die Luft vom Wohnzimmer auf, trägt jedes Wummern und Wimmern bis in meine Ohrmuschel.

Mein Gehirn ist selbst voller Wasser, eine Waschmaschine, alles wird herumgewirbelt, aber nichts sauberer, nur alles gerät durcheinander und am Ende sehe ich mich nur noch mit den Händen an den Ohren auf den kalten blauen Fliesen.

Petersen – klingt nach einer zufriedenen, stereotypischen Familie, Mutter — Vater — Kind, manchmal möchte ich herausschreien: WARUM SIEHT UNS KEINER? WARUM HELFT IHR UNS DENN NICHT?

Aber ich habe Angst davor, dass uns geholfen wird, weil ich fürchte, was danach geschieht.

Im Wasser ist die Welt viel leiser. Eine flüssige Luft, die dich umschließt und nur dich.

Und alles darum herum ist außen. Und blass.

Die Schläge sind gedämpft, die Schreie nur ein fernes Blubbern. Gedämpft, gedämpft, ein Schlag wie auf Fell und dann kann ich endlich die Hände von den Ohren nehmen und wenn Wasser in die Gehörgänge eindringt, erscheint alles nur noch ferner, und selbst wenn das Gehirn dabei zu schimmeln anfängt, ist das nicht schlimm.

Im Wasser ist die Welt viel leichter.

Die Hand, die ausholt, die auftrifft Haut auf Haut, das Wasser bremst Schwung, Schlag und Schmerz. Ein Akt der Zeitlupe in einem Haus voll H20.

Ich heiße Benno Petersen, aber ich wünschte, es wäre nicht so. Ich wünschte, ich wäre Leon Hagen oder Paul aus der C, jeder, nur nicht der Junge auf dem Toilettensitz, der sich einen Schnorchel in den Mund steckt, um sich selbst ans Atmen zu erinnern.

Ich wünsche mir, dass mein Vater ertrinkt in dem Schwimmbad aus meinen eigenen Tränen.

Durch den Wasservorhang vor meinen Augen erinnert der blaugekachelte Badezimmerboden beinahe an Schwimmbadfliesen und ich gebe mich der Illusion hin.

Die Linie des Gürtels, beinahe Anmut, beinahe Schönheit, wie sie im Wasser Schlangentänze zieht, diese unglaubliche Faszination des Harmlosen.

Irgendwann sind die Tränen dann wirklich eine Allergie, vom Chlor, und ich brauche mich in der Schule nicht wegen der roten Augen zu schämen vor Leons und Pauls, die doch alle zusammen keine, keine Ahnung haben.

Ich schwimme vorbei an meinem Bett, dem Kleiderschrank. In die Küche, durchs Wohnzimmer, es macht den Eindruck einer Erinnerung, bloß eine angehaltene Welt, denn nun ist alles vorbei, alles still, das ist bloß ein Schwimmbad.

Ich springe vom Badewannenrand. Mein Körper, wie er das Wasser zu beiden Seiten verdrängt, mein Geist meinen Vater und meine Mutter, die uns keine Hilfe holt.

Dann bin da nur ich, eine nackte Seele, aber das Gefühl vom Wasser auf der Haut ist viel zu befreiend, um mich der Nacktheit zu schämen.

Ich schlage auf. Dann schlage ich auf den kalten blauen Fliesen auf, die mich treffen, wie die Erkenntnis, dass zwischen meinem Vater und mir nur Sauerstoff liegt, der viel zu schnell verbraucht ist und dann liegt da nichts mehr, bis auf mich, auf den kalten Fliesen, zusammengerollt, in einer Pfütze aus Wasser und Salz und mit viel zu bunter Haut; nackt, zitternd, aber nicht vor Kälte.

Ich heiße Benno Petersen und ich muss weitaus mehr trinken, um ein Schwimmbad zu weinen.

 

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Das Tor zum Glück

Der folgende Text stammt aus der Feder von Lisbeth Riedel (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, belegte sie damit den dritten Platz in der Altersgruppe der Zwölf- bis 16-Jährigen.

Hallo, mein Name ist Einstein. Aber ich habe noch viele andere Namen. Einer der schlimmsten ist „Schnuckelchen“! Wer nennt einen ehrwürdigen Goldhamster schon Schnuckelchen? Ach, ihr wusstet nicht, dass ich ein Hamster bin? Naja, jetzt schon. Ich wohnte im Norden Afghanistans in einer fünfköpfigen Menschenfamilie, die mir treu ergeben war. Hä? Warum lacht ihr? Natürlich waren sie mir treu ergeben. Immerhin kümmerten sie sich um mich, seit ich denken konnte. Mein Leben war perfekt: morgens ausschlafen, kuscheln, fressen, Mittagsschlaf, fressen, kuscheln, kuscheln, kuscheln, schlafen. Perfekt! Bis mich Mali, die Älteste der Familie, ein 13 oder 14-jähriges Mädchen mit schwarzen Haaren, auf mein Futter warten ließ. Ich roch den Geruch des Essens der vom Basar in der Nähe zu mir herüberschwebte. Mein Magen knurrte.

Ahhhhhh! Ich schrak zusammen. Vor lauter Hunger hatte ich den Jüngsten der Familie übersehen! Dreijährig, klein und selten dumm. Er packte mich und hob mich hoch. Hilfe! Polizei! Überfall! „Wau wau!“, rief der Knirps. Ok … Drei Jahre alt und kann noch nicht mal den Unterschied zwischen einem räudigen Köter und einem ehrwürdigem Hamster wie mir erkennen? Ein weiterer Beweis, dass wir Hamster klüger sind als Menschen. Zum Glück kam in diesem Moment Mali ins Zimmer und rettete mich aus den Klauen ihres Bruders. Mann, war ich froh sie zu sehen! Obwohl ich eigentlich sauer auf sie hätte sein müssen, weil sie mein Fressen vergessen hatte. Sie schickte ihren Bruder fort und setzte mich zurück in meinen Käfig. Aber etwas war anders als sonst. Sie wirkte heute so seltsam und ernst. Zum Glück fing sie bald an zu reden. Sie hatte ja keine Ahnung, dass ich sie verstand. „Weißt du, Hamsti, irgendwie ist jetzt alles anders als früher.“ Hä? Das verstand ich nicht. Was meinte sie nur? „Mein Vater hat gestern mit mir gesprochen.“ Na und? Das ist doch normal! „Er sagte, ich sei jetzt erwachsen.“ Also bitte. Das Kind war erst dreizehn oder vierzehn. Ein Alter, in dem Hamster übrigens schon längst erwachsen sind. „Er meint, ich müsse heiraten! Ich weiß, jedes Mädchen muss irgendwann heiraten, aber ich hab den Typen noch nie gesehen. Wie soll ich den dann lieben? Aber Papa lässt da nicht mit sich reden! In zwei Monaten soll die Hochzeit stattfinden, und dann soll ich zu ihm ziehen! Ich fühl mich so schlecht!“ Ok … Ich wusste, dass es in Afghanistan und vielen anderen Ländern Sitte ist, Mädchen sehr früh zu verheiraten. Im Unterbewusstsein wusste ich auch, dass Mali früher oder später heiraten musste, aber darüber hatte ich bisher noch nicht nachgedacht. Ich überlegte, welche Folgen das für mich haben könnte, und nach einigem Hin und Her hatte ich eine Liste im Kopf:

  1. Malis Futterdienst war beendet. Mich würde jemand anderes füttern (hoffentlich nicht Malis Monster von einem Bruder).
  2. Es gab einen weniger, der Lärm machte (positiv).
  3. Ich hatte mehr Platz in Malis Zimmer (vorausgesetzt, die lassen mich aus meinem Käfig).

Alles in allem war die Hochzeit also gar nicht so schlimm. Von mir aus konnte Mali ruhig heiraten. Drastische Nebenwirkungen gab es für mich ja nicht. Später stellte sich heraus, dass es doch Nebenwirkungen für mich gab. Sogar ganz gewaltige!

Zwei Monate später

Uuuuaaah! Wer störte mich da beim Schlafen? Was soll der Lärm? Ach so. Mali und ihre Mutter standen im Zimmer. Mali in einem weißen Kleid. Ihre Mutter legte ihr aufgeregt einen Schleier über den Kopf. Mali lächelte gequält, während ihr Kopf verschwand. Hatte ich was verpasst? Ach nein, stimmt ja! Heute war Malis Hochzeit! Als die beiden endlich das Zimmer verließen, konnte ich wieder schlafen. Von der Trauung und der Hochzeitsfeier bekam ich also nichts mit. Ich war auch nicht scharf drauf! Höchstens auf die Hochzeitstorte wäre ich eventuell scharf gewesen. Aber wer nahm schon einen Hamster mit zu einer Hochzeit? Während die Feier stattfand, richtete ich mich auf die nächsten Jahre ohne Mali ein. Umso erstaunter war ich dann, als Mali spät abends ins Zimmer stürmte und rief: „Ich hätte dich fast vergessen! Du kommst doch mit! Du bist schließlich mein Hamster!“ Was? Das war doch wohl ein Witz! Doch mir blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn schon hatte sie meinen Käfig gepackt und rannte mit ihrer Mutter zu einem bereitstehenden Auto und wir fuhren los. Ich schaute zurück zu dem Haus, das immer kleiner wurde. Das Haus in dem ich aufgewachsen war und mein ganzes Leben verbracht hatte. Auf einmal bekam ich eine riesige Wut auf Malis Eltern und die des Ehemannes. Denn ich wusste, dass in meiner Heimat die Eltern bestimmen, wer wen heiratet. Aber in diesem Moment konnte ich nichts anderes tun, als zu warten. Als wir angekommen waren, erwartete uns ein vierzigjähriger dicker Mann mit schlechten Zähnen. Vielleicht der Vater vom Bräutigam. Aber ich wurde bitter enttäuscht, denn es war Malis Ehemann! Glaubt mir, unter dem Begriff ‚Traumtyp‘ stellte ich mir was anderes vor!

Einige Zeit später

Die letzte Zeit war ein Alptraum. Ein mindestens ebenso großer wie Malis Ehemann selbst! Auch wenn Mali am Anfang nur meine Bedienstete war, langsam machte ich mir wirklich Sorgen um sie! Diese ganze Misere kam eigentlich daher, dass Malis Mann ein Trinker war. Spät abends, wenn sich Mali schlafen legen wollte, kam er nach Hause und war betrunken. Deshalb konnte Mali nicht mehr richtig schlafen. Sie war mittlerweile total verändert: Früher war sie ein fröhliches, fleißiges Mädchen gewesen – doch nun? Es schien, als hätte das Leben für sie keinen Sinn mehr. Sie hatte dunkle Augenringe und weinte oft und viel. Entweder aus Müdigkeit, einfach so, oder weil ihr Mann sie schlug. Und er schlug sie oft. Meist, wenn er betrunken war. Wenn Mali vor Schmerz laut aufschluchzte, ging mir das durch Mark und Bein.

Weil Mali und ihr Mann sich kaum um mich kümmerten (der Mann war sich zu fein dafür und Mali hatte ohnehin zu viel zu tun), lief ich frei in der Gegend herum. Auf einem meiner Streifzüge fand ich etwas, was unser Leben verändern könnte. Womit ich Mali helfen könnte! Beflügelt von dieser Entdeckung rannte ich heimwärts. Als ich angekommen war, rief ich aufgeregt: „Mali, Mali, du musst sofort mitkommen!“ Ich gestikulierte wild: „Ich hab etwas entdeckt! Ein Helfershaus! Da kannst du hin! Die werden dir helfen! Komm jetzt!“ Doch sie tätschelte mir nur den Kopf und sagte: „Ach, ist unser kleiner Ausreißer wieder aufgetaucht. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“ Stimmt ja: Menschen können unsere Sprache nicht verstehen! Außerdem war Malis Mann zu Hause. Schlechtes Timing also. In den nächsten Tagen bot sich leider auch keine Gelegenheit, Mali zum Helfershaus zu bringen. Und so hatte ich Zeit, einen Plan zu entwickeln: Mali besaß ein sehr schönes Medaillon, das ihr sehr viel bedeutete. Dieses Medaillon war der Schlüssel zum Erfolg! Am folgenden Nachmittag packte ich das Medaillon mit den Zähnen und zog es möglichst auffällig an Mali vorbei. Natürlich sprang sie sofort auf und wollte mir die Kette wegnehmen, aber darauf hatte ich nur gewartet. Ich flitzte los durch die Stadt, über den Basar, Richtung Helfershaus. Als ich das Tor erreicht hatte, legte ich die Kette davor und wartete auf Mali. Da kam sie, nahm die Kette und wollte wieder verschwinden, doch dann stockte sie. „Jugendschutzzentrum“, las sie langsam. Eine Frau kam aus dem Tor. „Kann ich dir helfen?“, fragte sie Mali. „Wolltest du zu uns?“ „Ja, äh, nein! Mein Hamster hat mich hergeführt. Wo bin ich hier?“ „Dein Hamster? Interessant! Na ja. Du bist hier vor dem Tor zum Jugendschutzzentrum. Wir helfen Kindern, die in Not sind.“ „In Not? Allen Kindern in Not?“ „Ja, allen, denen wir helfen können. Brauchst du auch Hilfe?“ „ Ja, vielleicht“, murmelte Mali. „Komm erst mal herein. Wir trinken eine Tasse Tee und du kannst mir alles erzählen. Ich heiße Jasza. Ich bin hier Sozialarbeiterin. Deinen kleinen Freund kannst du übrigens mitnehmen.“ Und Mali nahm mich auf ihre Schulter und ging hinter Jasza her. Durch das Tor zum Glück!

Epilog

Wenn mich jemand fragen würde: „Haben diese Ereignisse dich verändert?“, würde ich sagen: Ja, das haben sie! Früher war Mali für mich nur meine Bedienstete. Ich hatte alles, was ich brauchte, und deshalb war es mir nie in den Sinn gekommen, dass es anderen Lebewesen nicht so gut gehen könnte wie mir. Erst Malis Geschichte hat diese Einbildung verdrängt. Viele Menschen und Hamster sind so wie ich: Sie sind weder absichtlich ignorant noch wollen sie so sein. Und deshalb sollten sie etwas von der Gewalt gegen Frauen und Kinder in vielen Ländern hören. Damit sie etwas ändern können. Denn Mali ist kein Einzelfall. Und nicht alle haben so viel Glück wie sie. Apropos: Mali ist mittlerweile sogar Klassenbeste! Sie darf wieder die Schule besuchen, lebt im Jugendschutzzentrum und hat ihre Lebensfreude wieder.

Lisbeth Riedel