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Nördlich der A24

Auf der Flucht

Mit einem Ballon wollte Jan Hübler Ende der 80er Jahre den Eisernen Vorhang überwinden. Über seinen Fluchtversuch aus der ehemaligen DDR berichtet er am Donnerstag, 17. Oktober, im Augustinum Mölln. Veranstaltungsbeginn ist um 19.30 Uhr.

Hübler und seine Ehefrau waren die letzten, die sich an solch einen Fluchtversuch wagten. Als sie sich an die Arbeit machten, ahnten sie nicht, dass der SED-Staat bald Geschichte sein würde.

Was bedeutete es für ein junges Ehepaar, kurz vor der politischen Wende 1989 in zwei Jahren in einer kleinen Wohnung in Dresden 480 Bettlaken zu einem Heißluftballon zusammenzunähen, um in den Westen zu fliehen?

Den dramatischen Verlauf der Bauphase mit allen Ängsten und Gefahren, Problemen und Emotionen schildert Reisejournalist Hübler in einem packenden autobiografischen Bericht. In seinen Vortrag lässt Hübler alte Fotos und Zitate von Zeitgenossen einfließen. Hinzukommt die Einspielung von DDR-Rockmusik.

Vortrag Jan Hübler, 17. Oktober, Augustinum, Sterleyer Straße 44, Mölln, 19.30 Uhr

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Auf den Spuren von Hans Brandt

Wachtürme und kilometerlange, mit Stacheldraht versehene Zäune, an denen Soldaten entlang patrouillieren – so sah er aus, der eiserne Vorhang, der die Bundesrepublik einst von einem Staat Namens DDR trennte. Im Hier und Jetzt kann man sich das kaum noch vorstellen. Auch Lothar Obst nicht. 30 Jahre nach dem Mauerfall sind die finsteren Utensilien des DDR-Grenzregimes verschwunden. „Die Grenze“, sagt Obst, „existiert für mich nicht mehr.“ Heute heißt der einstige Todesstreifen „Grünes Band“ und ist Lebensraum für zahllose Tiere und Pflanzen.

Dass über die Grenze mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes Gras gewachsen ist, damit kann Obst gut leben. Dass dies nicht mit der politischen Erinnerung geschieht, daran arbeitet er. Zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung hat er mit der Stiftung Herzogtum Lauenburg am Sonnabend, 26. Oktober, eine Busfahrt zu Fluchtorten an der ehemaligen Grenze organisiert. „Wir treffen uns vor allem mit Betroffenen und Zeitzeugen aus dem Osten“, erklärt Obst. „Deren Sichtweise wollen wir zeigen.“

Ein Halt liegt an der B 208 in Mustin. Dort gelang am 28. Januar 1982 Hans Brandt – schwerverletzt – die Flucht. Der 37-Jährige hatte sich mit Hilfe eines Straßenschildes unter dem Grenzsignalzaun durchgezwängt und dann beim Überwinden eines weiteren die Selbstschussanlagen ausgelöst. Er überlebte, weil ihn ein Bundesgrenzschutz-Suchtrupp fand und ins DRK Krankenhaus Ratzeburg brachte. Was dann weiter geschah, verrät auf der Exkursion unter anderem der ehemalige Verwaltungschef des Krankenhauses.

An einen weiteren Fluchtversuch im Kreis nach 1982 kann sich Obst, der seit 1981 in der Region zu Hause ist, nicht erinnern. Die Grenze war aber auch so stets präsent. „Als Bürger der BRD hat sie uns ausgesperrt.“ Gleichwohl waren Reisen in die DDR möglich. Obst selbst erinnert sich an eine Tour nach Wismar und Ludwigslust, die er damals mit dem Heimat- und Geschichtsverein unternahm. Der bürokratische Aufwand dafür sei ziemlich groß gewesen. Man habe vorab die Personalien angeben und noch vor der Einreise Zählkarten ausfüllen müssen. Vor Ort habe man sich dann nicht frei bewegen können. „Wir hatten immer einen Reisebegleiter dabei.“

Auch sozioökomisch hatte die Grenze folgen: Abgeschnitten vom ehemaligen Osten eines deutschen Gesamtstaates war der Kreis Herzogtum Lauenburg Zonenrandgebiet und wurde finanziell gesondert gefördert. Eine Maßnahme, die bei der Ansiedlung von Unternehmen, beim Sportplatzbau und bei der Gestaltung des kulturellen Lebens helfen sollte. Aber um westdeutsche Belange soll es bei der Bustour entlang der Grenze nicht gehen. Vielmehr ist es mit Blick auf den 30. Jahrestag zum Mauerfall sein Ansinnen die Menschen zu würdigen, die das DDR-Regime zum Einsturz gebracht haben. „Ich möchte keine Jubelfeier aus westdeutscher Sicht“, so Obst.

Exkursion „Fluchtorte an der Grenze zum Kreis Herzogtum Lauenburg“, 26. Oktober, Abfahrt in Mölln vom Quellenhof (8 Uhr) und vom ZOB (8.15 Uhr), Abfahrt in Ratzeburg vom Marktplatz (8.45 Uhr). Anmeldungen unter Tel. 04542/87000 oder info@stiftung-herzogtum.de. Begleitet wird die Tour von der Wissenschaftlerin Dr. Sandra Pingel-Schliemann (Beckendorf). Getränke und Imbiss gibt es am Bus. Die Rückkehr ist gegen 17 Uhr in Mölln, anschließend in Ratzeburg geplant.

https://kulturportal-herzogtum.de/2019/10/14/ddr-zeitzeugengespraech-stadthauptmannshof-moelln/
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Nördlich der A24

Rübergemacht

Auf einer Strecke von 86 km trennte zwischen 1949 und 1989 die innerdeutsche Demarkationslinie den Kreis Herzogtum Lauenburg vom benachbarten Mecklenburg. Wie viele Ostdeutsche wagten in diesem Abschnitt die Flucht? Wie war diese Grenze gesichert? Diesen und weiteren Fragen geht die Politikwissenschaftlerin Dr. Sandra Pingel-Schliemann am Freitag, 25. Oktober, im Kreismuseum Ratzeburg nach. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Der Vortrag ist eine gute Vorbereitung auf die am 26. Oktober folgende Bus-Exkursion zu Fluchtorten in der Region.  

Für Sicherung des hochgerüsteten Todesstreifens waren die Grenzregimenter 6 in Schönberg und 8 in Grabow zuständig. Trotz Wachtürmen, Minen, Streckmetallzaun und Selbstschussanlagen kam es immer wieder zu Fluchtversuchen; teils erfolgreich, teils mit tödlichem Ausgang.

Viele Fälle blieben im Dunkeln, vom Bundesgrenzschutz (BGS) im Westen nicht bemerkt und im Osten von der Staatssicherheit streng geheim gehalten. Erst die Auswertung der Akten der früheren Stasi-Bezirksverwaltung Schwerin brachte Licht in dieses dunkle Kapitel. Die Referentin hat dazu 2014 die erste wissenschaftliche Abhandlung zu Fluchten und Opfern an der Grenze zwischen Ostsee und Elbe vorgelegt. Die Busfahrt am folgenden Tag ist als Ergänzung gedacht.

Der Vortrag gehört zur von der Stiftung Herzogtum Lauenburg veranstalteten Reihe „30 Jahre Grenzöffnung“.

„Fluchten und Opfer an der Grenze zum Kreis“, Vortrag, Reihe „30 Jahre Grenzöffnung“, 25. Oktober, Rokokosaal, Kreismuseum, Domhof 12, Ratzeburg, 19.30 Uhr, freier Eintritt

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Vorfahrt für die Jugend

Das Eis

Unter dem Motto „Wanted: Junge Autor*inn*en“ beteiligten sich 2019 zahlreiche Kinder und Jugendliche am von der Stiftung Herzogtum Lauenburg ins Leben gerufenen Schreibwettbewerb. Bereits im April wurden die besten Beiträge ausgezeichnet. Insgesamt sieben Preisträger gab es in den Alterskategorien der Sechs- bis Elfjährigen, der Zwölf- bis 16-Jährigen und der 17- bis 23-Jährigen. Die Gewinnertexte können Sie auf Kulturportal-Herzogtum.de lesen. Nach Magdalena Franz‘ Geschichte „Die alte Schreibmaschine“, Maya Fausts „Herbstzauber“ und Zoe Schreblowskis „Helenas Reise nach Atenia“ folgt nun der Prosatext „Das Eis“ von Thies Paap, mit dem er den Wettbewerb der Zwölf- bis 16-Jährigen für sich entschied.

Das Eis

Ich starre aus dem Fenster. Davor tobt ein Sturm, so stark das die Bäume brechen. Der Schnee in seinen Böen peitscht jeden aus, der dort draußen steht. Äste bersten unter seiner Last. Wieder ist die Scheibe von meinem Atem total beschlagen. Binnen Sekunden ist mein Hauch zu einer feinen und fragilen Eisschicht gefroren. Und mit jedem Hauch legt sich auch eine Schicht Eis auf meine Augen. Mit jeder Schicht verschwimmt die meine Sicht auf die Welt. Der Sturm vor meiner Scheibe wiegt sich in seinem eigenem Tackt und schwingt sich zu immer neuer Stärke und Wildheit auf. Seine Böen sind voll von Schnee und Eis, sie türmen sich immer weiter zu riesigen Wellen auf. Wie Projektile schlagen sie gegen die Scheibe. Sie bilden eine weitere Schicht du Eis, nur das ich sie nie brechen können werde. Die Scheibe ist nun so trüb vom Eis, dass ich davor nichts mehr erkennen kann. Auch über meine Augen legt sich schleichend eine Schicht Eis, von den Rändern kommt sie gekrochen bis sie alles bedeckt. Und plötzlich, von jetzt auf gleich, bin ich komplett blind, allein und kalt. Diese Kälte beginnt mich zu umschließen, und dann bin ich in ihr gefangen. Ich kämpfe dagegen an, Sekunde für Sekunde, Stunde um Stunde, Tag für Tag, von Woche zu Woche, Monat für Monat. Und dabei weiß ich das alles nichts nützt und ich spüre mit jeder Sekunde wie mein Geist immer weiter erlahmt. Nach einigen Monaten des Kampfes ist meine Kraft restlos aufgebraucht, und ich spiele schon mit dem Gedanken dem langsamen Tod der Kälte von mir ausgehend ein Ende zu machen. Aber dann stößt ganz plötzlich eine Nadel aus Eis in Mein Herz und ich werde Teil des Sturms. Als Eiskristall wirble ich nun hin und her und der Sturm wird immer stärker, wächst solange bis nur noch weiß zu sehen ist, löscht alle Lichter des Lebens.

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Aus der Stiftung

Verein Duvenseer Moor mit Blunck-Umweltpreis ausgezeichnet

Die Stiftung Herzogtum Lauenburg hat den Verein Duvenseer Moor mit dem Blunck-Umweltpreis 2019 ausgezeichnet. Deren mehr als 300 Mitglieder kümmern sich seit September 2017 um die Renaturierung des Duvenseer Moores. Ratzeburgs Ex-Bürgermeister Rainer Voß, der die Laudatio hielt, zeigte sich beeindruckt von der „Tatkraft“ des Vereins. Dessen Engagement sei „vorbildlich“, so Voß. Der Verein übernehme Verantwortung für den Naturschutz, leiste Überzeugungsarbeit vor Ort und sorge damit in der Bevölkerung für eine nachhaltige Akzeptanz der Schutzmaßnahmen.

„Das Geld fließt in die Finanzierung der von uns bereits angelegten Wanderwege und der installierten Aussichtsplattform“, freute sich der Vereinsvorsitzende Gerd Vogler, der den Scheck über 3.000 Euro samt Eule und Urkunde im Viehhaus Segrahn in Empfang nahm. Vogler sieht in dem Preis auch die Bestätigung dafür, dass Naturschutz direkt und unmittelbar vor Ort funktionieren kann.

Ursprünglich hatte das Land Schleswig-Holstein das Duvenseer Moor als Naturschutzgebiet ausweisen wollen. Doch der ehemalige Umweltminister Robert Habeck (Grüne) hatte das Ausweisungsverfahren nach Diskussionen für ein Jahr ruhen und damit den Menschen vor Ort die Initiative überlassen. In der Folge des „Duvenseer Kompromisses“ entstand der Verein Duvenseer Moor, der sich um eine Fläche von rund 250 Hektar kümmert. Hinzu kommen mittlerweile 17 Hektar Blühstreifen. 

Im Zuge der Blunck-Umweltpreisverleihung vergab die Stiftung Herzogtum Lauenburg zum dritten Mal den Jugendumweltpreis. Ausgezeichnet wurde die Grundschule Nusse für ihr Projekt „Jugendwaldspiele in Kinderhand“ (700 Euro). Die Schüler der vierten Klassen übernehmen dort die Gestaltung und Umsetzung der alljährlichen Jugendwaldspiele. Auszeichnungen erhielten zudem die Grundschule Breitenfelde mit ihrem Schulteichprojekt (300 Euro) und das Gymnasium Schwarzenbek mit dem Engagement „Gegen schlechte Luft“ im Klassenzimmer (300 Euro).

Den Blunck-Umweltpreis gibt es seit 1985. Erste Preisträger waren die Umweltfreunde Witzeeze. Seitdem haben diverse Einzelpersonen, aber auch Institutionen, Gruppen und Vereine wie der NABU Mölln (2017), Natur Plus e. V. (Panten), die Umweltfreunde Gülzow, sechs Landwirte aus Bälau sowie die Gemeinden Lankau und Kollow die Auszeichnung erhalten.

Über die Vergabe des Preises entscheidet eine Jury, der Thomas Neumann vom WWF als Vorsitzender, Klaus Schlie, Präsident der Stiftung Herzogtum Lauenburg, Wolfgang Engelmann, Vizepräsident der Stiftung Herzogtum Lauenburg, und Barbara Denker von der Arbeitsgemeinschaft Geo-Botanik angehören.

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„Tag des Flüchtlings“

„Menschen & Rechte sind unteilbar“ – unter dieser Überschrift steht der bundesweite Tag des Flüchtlings am Freitag, 27. September. Daran beteiligt ist auch die Evangelisch-Lutherische Kirche. In der Ratzeburger St. Petri-Kirche steht beispielsweise am Freitag um 18 Uhr eine Andacht auf dem Programm. Um 19 Uhr startet dann im Lydia-Café, Am Markt 7, eine Gesprächsrund. Zudem ist in St. Petri eine von Pro Asyl gestaltete Plakatausstellung zu sehen.

Das Motto „Menschen & Rechte sind unteilbar“ verleihe dem Tenor der interkulturellen Wochen ‚Zusammen leben-zusammenwachsen!‘ „pointiert Nachdruck“, sagt Elisabeth Hartmann-Runge, Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. Das Motto stellt zudem einen Bezug zum Grundgesetz her, das in diesem Jahr 70. Jahre alt wird.

Beteiligt an den Veranstaltungen sind Teamer aus der Evangelischen Jugend in St. Petri (Ratzeburg), Jugenddiakon Mark Heming sowie das Team des Veranstaltungscafés Lydia unter der Leitung von Christine Nolze. Die Leitung hat die Flüchtlingsbeauftragte des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Lübeck Lauenburg, Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge.

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Der Tausendsassa

Wer Klaus Irmscher mal beim Musizieren erlebt hat, weiß: Der Mann lässt sich nicht so leicht in ein Genre fassen. Der Liedermacher ist ein Mann mit Humor, ein musikalischer Tausendsassa, der stets bereit ist, Neuland zu betreten. Und er brennt für das, was er da macht, wie sich im Interview mit Kulturportal-Herzogum.de zeigt. Vermutlich kann er gar nicht anders. Mehrfach während des Gesprächs springt er auf, um zur Gitarre zu greifen und die Statements über sein Schaffen musikalisch zu untermauern.

Kulturportal-Herzogtum.de: Wie musikalisch war der kleine Klaus Irmscher?

Klaus Irmscher: Der kleine Klaus bekam von der Tochter unserer Vermieterin Schlager beigebracht. Sie war elf, ich zwei. Ich soll die Lieder auswendig gekonnt haben und habe gern vor mich hingesungen. Meine Mutter wohnte mit mir damals zur Untermiete bei einer Familie in Hamburg-Bahrenfeld. Mutter war schon während des Krieges von Sachsen nach Hamburg gekommen und hatte dort eine Lehre als Krankenschwester gemacht.

KP: Die Irmschers sind also keine Möllner Familie?

Irmscher: Nein. Mein Großvater hatte in Sachsen eine Nähmaschinenfabrik. Nachdem er in der DDR enteignet worden war, gingen er und meine Großmutter in den Westen – nach Hamburg, wo ja meine Mutter schon war. Mit einem Meister aus seinem sächischen Betrieb baute er in Mölln eine Neuauflage seiner Fabrik auf. Ich kam im Juli 52 mit knapp drei Jahren hierher.

KP: Den späteren Liedermacher lese ich da noch nicht raus…

Irmscher: Ich hätte den Betrieb übernehmen sollen, aber das ist es nicht geworden. Mein Großvater konnte mir kein unternehmerisches Denken vermitteln. Durch ihn hatte ich aber mit Sprachen zu tun. Schon früh hat er versucht mir Spanisch beizubringen. Als Dreikäsehoch soll ich besser auf Spanisch als auf Deutsch von 1 bis 20 gezählt haben. Großvater sprach Französisch, Englisch und Spanisch.

KP: Der Weg von den Sprachen, die man spricht, zum Texten und zum Spiel mit Wörtern ist aber noch mal etwas ganz anderes…

Irmscher: Den Drang zum Dichten hatte ich schon immer. Schon in der Realschule habe ich mir irgendwelchen Blödsinn ausgedacht.

KP: Und die Musik – Sie schreiben ja nicht nur die Texte, sie komponieren ja auch die Musik. Wie sind Sie dazu gekommen?

Irmscher: Das ging mit 13 los. Ich habe bei den Pfadfindern Gitarre gelernt. In der Pfadfinderbeatband war ich Rhythmus-Gitarrist.

KP: Besaßen Sie ein eigenes Instrument? So eine Gitarre ist ja nicht ganz billig…

Irmscher: Zuerst habe ich mir eine Gruppengitarre geliehen. Als meine Mutter sah, dass das ernsthaft war, hat sie mir 40 Mark gegeben. 20 Mark habe ich mit Ferienarbeit verdient. Mit dem Geld habe ich mir die Gitarre vom großen Bruder eines Klassenkameraden gekauft.

KP: Sie wurden also zu Hause unterstützt?

Irmscher: Ja. Meine Mutter hat mir signalisiert, dass sie das gut findet. Sie war Fan von Georg Kreisler*, mochte Kabarett und hörte sich gerne satirische Sendungen im NDR an. Die Beatles fand sie gut – aber das hat sie mir erst später gesagt.

KP: Viele Sprachen, Freude am Dichten und eine humorvolle Mutter – ein bisschen was wurde dem Liedermacher denn doch in die Wiege gelegt…

Irmscher: In unserer Familie hatten wir den Hang zur Komik. Es wurde gerne gelacht. Aber aktiv Musik gemacht hat keiner.

KP: Wie ging es weiter mit der musikalischen Karriere?

Irmscher: Als der Bandleader der Pfadfinderband zum Bund musste, war das das Ende der Band. Von ´65 bis ´68 habe ich dann Sologitarre in einer Ratzeburger Band gespielt.

KP: Erinnern Sie sich noch an die Musik?

Irmscher: Das war so die Rock- und Popmusik, die damals „in“ war –Beatles, Rolling Stones, Searchers. Eigene Stücke konnte ich kaum einbringen. Wir spielten zum Tanz auf, und das Publikum wollte die angesagten Hits hören. Meine eigenen Songs waren musikalisch im damaligen Stil. Das erste Lied, das ich schrieb, klang ein bisschen nach „Let’s Dance“ von Chris Montez. Textlich waren das Fingerübungen, teilweise mit Tagebuch-Charakter – überwiegend auf Englisch. Auf Deutsch schrieb ich erst in München.

KP: Sie gingen nach München?

Irmscher: 1970 war ich dort – um Wirtschaftsingenieur zu studieren. Die Fabrik meines Großvaters hing da immer noch in der Luft. In München gab es Kleinkunstbühnen wie die „KEKK“, auf denen man sich als Solist mit was Eigenem stellen konnte.

KP: Sie haben gerade gesagt, dass ihre ersten Texte „eher Tagebuchcharakter hatten“? Wie wichtig ist Ihnen der Text? Ist er wichtiger als die Musik?

Irmscher: Beides ist mir wichtig. Text und Musik sind zwei Seiten derselben Sache. Wenn mir bei einem Lied die Melodie noch nicht gefällt, habe ich das Gefühl, ich habe das Thema emotional noch nicht verdaut. Oder ich habe eine achteckige Emotion, dass ich nur einen Rap schreiben kann.

KP: Stichwort Rap – wie sind Sie zu dieser eher jungen Kunstform gekommen?

Irmscher: Die Raps kommen einfach zu mir. Es ist ein Ausdrucksmittel für mich. Mit der Szene habe ich überhaupt nichts zu tun. 1983, als ich meinen ersten Rap schrieb, sagte ein Freund zu mir: Das ist ein Rap. Ich habe damals fünf Mal nachfragen müssen, bis ich mir das Wort merken konnte.

KP: Wenn man sich ihr Werk anschaut, sticht vor allem die Vielfältigkeit ins Auge. Wo sehen Sie die Grundlagen Ihres Schaffens?

Irmscher: Ich erzähle gerne Geschichten. Die Musik suche ich mir passend zum Thema. Dafür kämme ich schon mal meine Plattensammlung durch. Aufs Erzählen bin ich in Irland gekommen. Dort habe ich mich mit irischen Songs vollgesogen. Außerdem habe ich einen Liedermacher aus der dominikanischen Republik für mich entdeckt: Juan Luis Guerra – vom erotischen Liebeslied über Politsongs bis zum Gebetslied singt der alles. Seine Musik gefiel mir so gut, dass ich mir 2000 ein spanischsprachiges Programm erarbeitete.

KP: Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Irmscher: Wenn ich etwas freiweg mache, ist das schon sehr vom Folk beeinflusst. Manchmal ist es auch rockig. Ich versuche immer ein wenig lautmalerisch zu komponieren.

KP: Wie kommen Sie zu Ihren Geschichten? Gibt es da eine Agenda, die Sie verfolgen?

Irmscher: Ich singe über Dinge, die mich so beschäftigen, dass ich darüber einen Kommentar abgeben muss – und das ist schon von meinen Einstellungen beeinflusst. Auch fange ich an zu dichten, wenn ich von etwas sehr ergriffen bin – wenn mir das Herz aufgeht.

KP: Herr Irmscher, ich danke für das Gespräch.

*Georg Franz Kreisler (1922-2011), in Wien geborener Komponist, Sänger und Dichter.

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Pfiffiger Songschreiber mit Herz

Hamburg, Mölln, München, Zwickau, Flensburg und seit ein paar Jahren wieder Mölln. Klaus Irmscher hat den einen oder anderen Umzug in seinem Leben hinter sich. Er, ein Ur-Möllner, der Kindheit und Jugend in der Stadt verbrachte, weiß, wovon er spricht, wenn er heute sagt, das Lauenburgische sei seine Heimat. Er fühle sich hier verwurzelt, fühle sich hier am Wohlsten. Die Lauenburger mag er wegen ihrer Offenheit und ihrem Elan, Dinge anzupacken.

Wohl auch dank seiner beruflichen Wanderjahre ist ihm diese Liebe zur Heimat so bewusst geworden. Es ist eine Liebe des offenen Ohres und der offenen Türen, eine Liebe, die nicht ausschließt, sondern einschließt und immerzu auf der Suche ist. Da erscheint es nahezu logisch, dass er in einem Nebensatz erklärt, er habe mit Mitte 60 noch angefangen, Persisch zu lernen. Wegen seiner persischen Freunde.

Wie es ist, sich fremd zu fühlen, musste ihm niemand beibringen. Als Spross einer sächsischen Migrantenfamilie wurde dem jungen Irmscher gesagt, dass er um Gottes Willen nicht sächseln solle. „Sonst wäre ich als Flüchtling aufgefallen.“

Die offenen Türen des Klaus Irmscher machen es möglich als Fremder zweieinhalb Stunden in seinem Wohnzimmer in der Hammaburgstraße zu sitzen und mit ihm über seine Lieben und sein Leben zu plaudern. Über seine Verluste und seine Krisen. Denn der Weg, zu dem begabten und einfallsreichen Songschreiber, der er heute ist, war nicht nur rein geografisch weit. Der pfiffige Umgang mit Worten und textlichen Versatzstücken in allen erdenklichen Sprachen brauchte Zeit und auch eine gewisse Frustrationstoleranz.

Als er in den 80er Jahren in eine berufliche Krise geriet und arbeitslos wurde, gesellte sich eine Schaffenskrise dazu. Seine Texte hätten nicht den nötigen Witz und die nötige Tiefe gehabt, um das Publikum zu begeistern, erinnert er sich an diese Zeit. Am Ende habe er sich nicht einmal mehr selbst begeistern können.

Irmscher legte die Gitarre beiseite.

Sein Comeback feierte er 1994. Er besann sich auf Songs wie den „Fusch-Fusch-Man“, ein Lied, das seine Erfahrungen als Arbeitsvermittler aufs Korn nimmt. Auf Lieder, die Geschichten erzählen, ohne den erhobenen Zeigefinger gleich mitzuliefern. Das gefiel ihm und es gefiel dem Publikum. Die Krise war passé. Freude, Kreativität und Motivation waren zurück. Wenn sich all das auch noch mit Können verbindet, strahlt das natürlich zurück. In den 90er Jahren erriet ein kubanischer „Hotelmann“ seine Musikalität. Kurz darauf stand er mit ihm auf der Bühne, um ein bayerisches Volkslied und „Ba-Ba-Banküberfall“ anzustimmen. In den 2000ern tourte er als Mitglied von „Liederjan“ durch Deutschland. 2016 erhielt er schließlich den Kulturpreis der Stiftung Herzogtum Lauenburg.

https://kulturportal-herzogtum.de/2019/09/09/tausendsassa-interview-klaus-irmscher-moelln/
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„Leeven un nich spöken“

In den kommenden Wochen steht Klaus Irmscher wieder an diversen Orten auf der Bühne. Im Kreis Herzogtum Lauenburg tritt er am Mittwoch, 18. September, im Rahmen des „Plattdüütschen Harvst“ im Möllner Stadthauptmannshof auf. Der Liedermacher schöpft aus seinem Repertoire niederdeutsche Lieder. Inge Pusback liefert die passenden Geschichten dazu. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr.

Das nächste Konzert in der Region – ebenfalls mit Inge Pusback als lesende Mitstreiterin – steigt dann am Sonnabend, 9. November, in der Kutscherscheune (Groß Zecher). Dort spielt und singt Klaus Irmscher Lieder seiner aktuellen CD „Leeven un nich spöken“. Das Album enthält insgesamt zwölf Stücke, die mal rockig und mal folkig daherkommen. Wie so oft schlägt sich der Liedermacher dabei mit Alltagsproblemen herum. Etwa wenn er darüber klagt, wie schwierig es ist für seinen „Huulbessen“ (Staubsauger) Beutel zu bekommen. Oder wie schwer es ihm fällt, wenn er auf Reisen ist, sich in Geduld zu üben und vom Alltagsstress herunterzukommen („Schalt af!“).

Klaus Irmscher beim „Plattdüütschen Harvst“, 18. September, Stadthauptmannshof, Hauptstraße 150, Mölln, 19.30 Uhr

Klaus Irmscher-Konzert, „Leven un nicht spöken“, 9. November, Kutscherscheune, Lindenallee 15, Groß Zecher, 19.30 Uhr

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Vorfahrt für die Jugend

„Helenas Reise nach Atenia“

Unter dem Motto „Wanted: Junge Autor*inn*en“ beteiligten sich 2019 zahlreiche Kinder und Jugendliche am von der Stiftung Herzogtum Lauenburg ins Leben gerufenen Schreibwettbewerb. Bereits im April wurden die besten Beiträge ausgezeichnet. Insgesamt sieben Preisträger gab es in den Alterskategorien der Sechs- bis Elfjährigen, der Zwölf- bis 16-Jährigen und der 17- bis 23-Jährigen. Die Gewinnertexte können Sie jetzt auf Kulturportal-Herzogtum.de lesen. Auf Magdalena Franz‘ Siegergeschichte „Die alte Schreibmaschine“ und Maya Fausts Gedicht „Herbstzauber“ folgt nun mit Zoe Schreblowskis Beitrag „Helenas Reise nach Atenia“. Sie ist die dritte und letzte Preisträgerin der Sechs-bis Elfjährigen.

„Helenas Reise nach Atenia“

In der Nacht wurde Helena von einem Geräusch geweckt. Es klopfte an der Tür ihres Krankenhauszimmers. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Die Tür ging auf und herein kam eine große, bleiche Frau mit stechendem Blick. Helena wollte schreien, doch ihr Hals war wie zugeschnürt. „Hab keine Angst, ich tue dir nichts“, sagte die Frau. „Ich wurde aus Atenaria geschickt, dem Land der Freiheit.“ Helena sah sie zweifelnd an. Sie glaubte nicht an Zauberei und schon gar nicht an andere Welten, wo es angeblich Fabelwesen gab. Die Besucherin schien Helenas Gedanken gelesen zu haben, denn sie sagte: „Es ist normal, dass du nicht an Atenaria glaubst, denn es liegt weit weg. Noch nie war ein Mensch dort, aber das wird sich bald ändern.“

Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach: „Atenaria wird seit einiger Zeit von der bösen Königin Ramona angegriffen. Wir können sie nur besiegen, wenn wir ihr die Uhr der Zeit wegnehmen. Denn mit dieser Uhr kann sie die Zeit anhalten, wann immer sie will. Dann kann sich keiner mehr bewegen, außer ihr Menschen, denn ihr seid unabhängig von der Zeituhr, und Ramonas Wachen.“ Helena sah sie entgeistert an. „Und was bist du, wenn du kein Mensch bist?“, fragte sie. „Eine Fee“, erklärte die Frau. „Ich heiße übrigens Winigunda.“

Sie sah sich vorsichtig um, bevor sie weiterredete: „Unsere Königin Sarah hat entschieden, dass du nach Atenaria kommen sollst.“ Einen Moment war es still im Zimmer. „Wieso?“, brachte Helena schließlich hervor. Winigunda setzte sich auf Helenas Bettkante, so als ob sie sich schon ewig kannten. „Du musst wissen, dass deine Mutter eine Wächterin von Königin Sarah war, bevor sie Atenaria verlassen hat.“ „Aber was hat das mit mir zu tun?“, fragte Helena trotzig. Winigunda deutete auf ihre Kette und sagte: „Nur mit diesem Anhänger kann man nach Atenaria gelangen.“ Erst jetzt fiel Helena auf, dass an der Kette der Frau genau der gleiche auffällige Anhänger hing wie an ihrer eigenen. Er hatte die Form eines Halbmondes und war mit kleinen Steinen besetzt, die im Licht, das durch die Fenster fiel, funkelten. Helena hatte ihn von ihrer Mutter geschenkt bekommen, bevor sie gestorben war. Von da an hatte sie das Schmuckstück immer getragen. Helena schossen Tränen in die Augen. Schnell wischte sie sie weg. Winigunda strich ihr über den Kopf und sagte: „Sei nicht traurig, deiner Mutter geht es jetzt gut.“ Helena schluckte. Sie musste daran denken, dass ihre Mutter ihr früher oft Geschichten aus einer fernen Welt erzählt hatte. Sie hatte sich immer gefragt, woher ihre Mutter diese Geschichten alle kannte. Jetzt wusste sie, dass sie ihr von Atenaria erzählt hatte.

Winigunda fuhr fort: „Da in Atenaria keine Menschen geboren werden, hat niemand von euch so eine Kette – außer dir. Denn du hast die Kette ja von deiner toten Mutter geerbt. Sie war die einzige Fee, die in die Menschenwelt gegangen ist, um dort zu leben.“ Helena nickte. „Die Sache hat nur einen Haken.“ Winigunda klang jetzt unsicher. „Du musst sterben, damit du nach Atenaria kommen kannst.“ Nun war es heraus. Helena starrte sie an. Dann fing sie wieder an zu weinen. Winigunda versuchte, Helena zu trösten. „Sieh mal“, sagte sie, „in Atenaria ist es doch schön.“ Aber sie wusste selbst, dass das nicht überzeugend klang. Denn seit Ramona dort herrschte, war Atenaria ein einziges Schlachtfeld. Nach einer Weile wischte Helena sich mit dem Handrücken über die Augen. Im nächsten Moment fing sie wieder an zu schluchzen. Sie musste daran denken, wie traurig ihr Papa sein würde, wenn sie nicht mehr da wäre. Er war so verzweifelt gewesen, als ihre Mutter starb. Helena holte tief Luft. „Ich komme mit“, hörte sie sich sagen. Im nächsten Augenblick bereute sie ihre Entscheidung schon. Aber jetzt war es zu spät.

Auf einmal hatte sie Angst, unheimliche Angst. Sie fühlte, wie sie aus ihrem Körper hinausschlüpfen konnte. Es war ein komisches Gefühl, aber es ging. Sie verließ ihren Körper und überquerte eine unsichtbare Grenze. Auf einmal stand sie auf einem Weg. Winigunda war neben ihr. Die Sonne schien von einem blauen Himmel, die Luft war klar und roch salzig. Helena ließ ihren Blick schweifen. In einiger Entfernung erkannte sie einen See. Von dort her wehte eine kühle Brise. Weiter hinten erhob sich ein Hügel. Ganz oben stand ein Schloss, dahinter erstreckte sich ein Wald. Das Schloss war verziert mit Türmen und Fahnen, die im Wind wehten. Helena hatte es die Sprache verschlagen. Noch nie zuvor hatte sie etwas so Schönes gesehen.

Viel Zeit zum Staunen blieb ihr allerdings nicht, denn Winigunda drängte zum Aufbruch. „Komm“, sagte sie, „wir müssen schnell zum Schloss. Königin Sarah wartet schon auf dich.“ Bald erreichten sie die Schlossmauer. Winigunda klopfte an ein großes, hölzernes Tor. Es schwang von selbst auf und sie traten in eine große Halle ein. Von hier gingen mehrere Türen ab. Winigunda lief zielstrebig auf eine Tür zu und öffnete sie. Dahinter befand sich ein langer Korridor. Am Ende des Korridors klopfte Winigunda an eine weitere Tür, bevor sie eintrat.

Sie kamen in einen geräumigen Saal. In einem Kachelofen prasselte ein warmes Feuer. Vor dem Ofen saß eine Frau in einem langen, roten Gewand. Sie lächelte Helena an und sagte: „Ich habe mir schon gedacht, dass ihr bald kommen werdet.“ „Setzt euch“, sagte sie und deutete auf zwei Stühle. Die Königin musterte Helena aufmerksam. „Du kommst ganz nach deiner Mutter“, stellte sie fest. „Ein Jammer, dass sie weggegangen ist.“ Sie seufzte tief. Auf einmal kam eine mächtige Eule durch das offene Fenster geflogen und landete auf dem Tisch. „Das ist Nachtauge“, sagte Königin Sarah. „Sie soll dir gehören. Du wirst sehen, Eulen sind in vielen Dingen sehr nützlich.“ Sie schaute Nachtauge an, die ungeduldig von einem Bein aufs andere trippelte. Der Vogel hüpfte zu Sarah hinüber und ließ einen Brief in ihren Schoß fallen. Dann hopste die Eule zu Helena und sah sie mit ihren großen Augen an. Helena streckte ihre Hand aus und berührte vorsichtig ihr Gefieder.

Auf einmal stupste Helena jemand von der Seite an. Es war Winigunda. „Komm“, sagte sie, „ich zeige dir jetzt, wo du schläfst.“ Sie verabschiedeten sich von Sarah, und Winigunda führte sie in ein kleines Gemach. Helena hatte sich gerade aufs Bett gesetzt, als die Tür aufging und ein Mann hereingestürmt kam. „Ramona plant einen Angriff!“, japste er. „Wir treffen uns in der großen Halle. Alle müssen informiert werden.“ Und schon rannte er wieder hinaus. Helena hörte noch, wie er den Flur entlanglief und eine weitere Tür öffnete.

In der Halle war es laut. Helena entdeckte Sarah und kämpfte sich zu ihr durch. „Da bist du ja!“ Sarah klang erleichtert. „Hör gut zu, ich erkläre dir, was du machen musst. Ramona kommt von Westen. Wenn sie die Zeituhr umgedreht hat, werden wir alle erstarren. Du musst Ramona die Uhr wegnehmen und sie wieder umdrehen. Dann bringst du die Zeituhr ins Schloss.“ „Aber wie soll ich ihr die Zeituhr wegnehmen?“, fragte Helena. „Du wirst schon einen Weg finden“, erwiderte Sarah.

Auf einmal erstarrten alle um sie herum. Helena erschrak so sehr, dass sie nach hinten stolperte und mit Winigunda zusammenstieß, die einfach umfiel. Helena rannte zum Tor und öffnete es. Sie stockte. Vor ihr standen zwei riesige Gestalten, die sie fies angrinsten. „Soso, damit will Sarah Atenaria also retten!“, sagte die eine Wache und lachte. „Mit einem kleinen, hilflosen Mädchen!“ Die Wächter kamen drohend auf Helena zu. „Komm mit!“, befahl der eine. „Ramona wird sich freuen.“ Helena rührte sich nicht. „Du hast es nicht anders gewollt“, sagte der andere. Ein Netz fiel auf Helena herab. Im letzten Moment konnte sie sich wegducken. Doch da schoss schon das zweite Netz auf sie zu. Diesmal war Helena nicht schell genug. Das Netz schloss sich fest um sie.

Die beiden lachten, hoben Helena hoch und trugen sie zu einem großen Stein, der vor dem Schloss lag. Davor stand eine Frau. Das war bestimmt Ramona, vermutete Helena. Die Wachen ließen Helena vor ihr ins Gras fallen. „Wer ist das?“, fragte Ramona. „Majestät, das Mädchen kam aus dem Schloss und …“ „Aber wo ist Sarah?“, unterbrach sie den Wächter. „Majestät, sie ist noch im Schloss.“ „Dann holt sie!“, knirschte Ramona. Als die Wächter im Schloss verschwunden waren, wandte sie sich an Helena: „Was machst du hier?“ Helena antwortete nicht. Sie starrte gebannt auf die Uhr, die Ramona in der Hand hielt. „Na schön“, sagte Ramona. „Das hier ist die Uhr der Zeit. Wenn sie kaputtgeht, bleibt die Zeit für immer stehen. Sarah ist eine tapfere Frau. Aber das hilft ihr jetzt auch nicht weiter.“ Sie grinste böse und kam mit ihrem Gesicht ganz dicht an Helenas Gesicht heran. „Lass dir eines gesagt sein“, flüsterte Ramona, „es gibt kein Gut oder Böse, es gibt nur die Macht.“

Sie holte weit aus und schleuderte die Uhr der Zeit in hohem Bogen weg. Helena blieb fast das Herz stehen. Sie sah, wie die Uhr immer tiefer fiel. Auf einmal ertönte ein lauter Schrei. Nachtauge kam im Sturzflug angebraust. Gerade noch rechtzeitig umfassten ihre Krallen die Uhr. Helena konnte ihre Augen nicht von Nachtauge wenden, die nun zu ihr geflogen kam. Die Eule packte ihr Netz und hob Helena hoch. Immer höher und höher flogen sie, bis sie schließlich auf einer Außenplattform des Schlosses landeten. Nachtauge gab ihr die Uhr und Helena drehte sie schnell um.

Ungläubig starrte Helena auf den Tisch. Vor ihr standen Schüsseln mit Suppe, Teller mit Fleisch und Kuchen, und da lag auch die Uhr der Zeit. Helena konnte immer noch nicht glauben, dass sie Ramona wirklich besiegt hatten. Sie saß neben Sarah und Winigunda. Beide sahen äußerst zufrieden aus. „Sarah, kann ich dich mal was fragen?“, begann Helena. „Was denn?“, fragte die Königin. „Warum konnte sich Nachtauge eigentlich auch bewegen?“, wollte Helena wissen. „Das kann ich …“

Plötzlich schreckte Helena aus ihrem Traum hoch. Mit zitternder Hand tastete sie nach dem Knopf ihrer Nachttischlampe. Das Licht ging an. Alles war wie vorher. Erleichtert atmete sie auf und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Morgen würde ihr Vater sie aus dem Krankenhaus abholen. Da fiel ihr Blick auf den Nachttisch. Dort lag eine Kette mit einem Anhänger. Er hatte die Form eines Halbmonds und war mit Steinen besetzt, die im Licht funkelten.