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Vorfahrt für die Jugend

Das Tor zum Glück

Der folgende Text stammt aus der Feder von Lisbeth Riedel (Foto). Im Rahmen des Schreibwettbewerbs „Wanted: Junge Autor*inn*en“, initiiert von der Stiftung Herzogtum Lauenburg, belegte sie damit den dritten Platz in der Altersgruppe der Zwölf- bis 16-Jährigen.

Hallo, mein Name ist Einstein. Aber ich habe noch viele andere Namen. Einer der schlimmsten ist „Schnuckelchen“! Wer nennt einen ehrwürdigen Goldhamster schon Schnuckelchen? Ach, ihr wusstet nicht, dass ich ein Hamster bin? Naja, jetzt schon. Ich wohnte im Norden Afghanistans in einer fünfköpfigen Menschenfamilie, die mir treu ergeben war. Hä? Warum lacht ihr? Natürlich waren sie mir treu ergeben. Immerhin kümmerten sie sich um mich, seit ich denken konnte. Mein Leben war perfekt: morgens ausschlafen, kuscheln, fressen, Mittagsschlaf, fressen, kuscheln, kuscheln, kuscheln, schlafen. Perfekt! Bis mich Mali, die Älteste der Familie, ein 13 oder 14-jähriges Mädchen mit schwarzen Haaren, auf mein Futter warten ließ. Ich roch den Geruch des Essens der vom Basar in der Nähe zu mir herüberschwebte. Mein Magen knurrte.

Ahhhhhh! Ich schrak zusammen. Vor lauter Hunger hatte ich den Jüngsten der Familie übersehen! Dreijährig, klein und selten dumm. Er packte mich und hob mich hoch. Hilfe! Polizei! Überfall! „Wau wau!“, rief der Knirps. Ok … Drei Jahre alt und kann noch nicht mal den Unterschied zwischen einem räudigen Köter und einem ehrwürdigem Hamster wie mir erkennen? Ein weiterer Beweis, dass wir Hamster klüger sind als Menschen. Zum Glück kam in diesem Moment Mali ins Zimmer und rettete mich aus den Klauen ihres Bruders. Mann, war ich froh sie zu sehen! Obwohl ich eigentlich sauer auf sie hätte sein müssen, weil sie mein Fressen vergessen hatte. Sie schickte ihren Bruder fort und setzte mich zurück in meinen Käfig. Aber etwas war anders als sonst. Sie wirkte heute so seltsam und ernst. Zum Glück fing sie bald an zu reden. Sie hatte ja keine Ahnung, dass ich sie verstand. „Weißt du, Hamsti, irgendwie ist jetzt alles anders als früher.“ Hä? Das verstand ich nicht. Was meinte sie nur? „Mein Vater hat gestern mit mir gesprochen.“ Na und? Das ist doch normal! „Er sagte, ich sei jetzt erwachsen.“ Also bitte. Das Kind war erst dreizehn oder vierzehn. Ein Alter, in dem Hamster übrigens schon längst erwachsen sind. „Er meint, ich müsse heiraten! Ich weiß, jedes Mädchen muss irgendwann heiraten, aber ich hab den Typen noch nie gesehen. Wie soll ich den dann lieben? Aber Papa lässt da nicht mit sich reden! In zwei Monaten soll die Hochzeit stattfinden, und dann soll ich zu ihm ziehen! Ich fühl mich so schlecht!“ Ok … Ich wusste, dass es in Afghanistan und vielen anderen Ländern Sitte ist, Mädchen sehr früh zu verheiraten. Im Unterbewusstsein wusste ich auch, dass Mali früher oder später heiraten musste, aber darüber hatte ich bisher noch nicht nachgedacht. Ich überlegte, welche Folgen das für mich haben könnte, und nach einigem Hin und Her hatte ich eine Liste im Kopf:

  1. Malis Futterdienst war beendet. Mich würde jemand anderes füttern (hoffentlich nicht Malis Monster von einem Bruder).
  2. Es gab einen weniger, der Lärm machte (positiv).
  3. Ich hatte mehr Platz in Malis Zimmer (vorausgesetzt, die lassen mich aus meinem Käfig).

Alles in allem war die Hochzeit also gar nicht so schlimm. Von mir aus konnte Mali ruhig heiraten. Drastische Nebenwirkungen gab es für mich ja nicht. Später stellte sich heraus, dass es doch Nebenwirkungen für mich gab. Sogar ganz gewaltige!

Zwei Monate später

Uuuuaaah! Wer störte mich da beim Schlafen? Was soll der Lärm? Ach so. Mali und ihre Mutter standen im Zimmer. Mali in einem weißen Kleid. Ihre Mutter legte ihr aufgeregt einen Schleier über den Kopf. Mali lächelte gequält, während ihr Kopf verschwand. Hatte ich was verpasst? Ach nein, stimmt ja! Heute war Malis Hochzeit! Als die beiden endlich das Zimmer verließen, konnte ich wieder schlafen. Von der Trauung und der Hochzeitsfeier bekam ich also nichts mit. Ich war auch nicht scharf drauf! Höchstens auf die Hochzeitstorte wäre ich eventuell scharf gewesen. Aber wer nahm schon einen Hamster mit zu einer Hochzeit? Während die Feier stattfand, richtete ich mich auf die nächsten Jahre ohne Mali ein. Umso erstaunter war ich dann, als Mali spät abends ins Zimmer stürmte und rief: „Ich hätte dich fast vergessen! Du kommst doch mit! Du bist schließlich mein Hamster!“ Was? Das war doch wohl ein Witz! Doch mir blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn schon hatte sie meinen Käfig gepackt und rannte mit ihrer Mutter zu einem bereitstehenden Auto und wir fuhren los. Ich schaute zurück zu dem Haus, das immer kleiner wurde. Das Haus in dem ich aufgewachsen war und mein ganzes Leben verbracht hatte. Auf einmal bekam ich eine riesige Wut auf Malis Eltern und die des Ehemannes. Denn ich wusste, dass in meiner Heimat die Eltern bestimmen, wer wen heiratet. Aber in diesem Moment konnte ich nichts anderes tun, als zu warten. Als wir angekommen waren, erwartete uns ein vierzigjähriger dicker Mann mit schlechten Zähnen. Vielleicht der Vater vom Bräutigam. Aber ich wurde bitter enttäuscht, denn es war Malis Ehemann! Glaubt mir, unter dem Begriff ‚Traumtyp‘ stellte ich mir was anderes vor!

Einige Zeit später

Die letzte Zeit war ein Alptraum. Ein mindestens ebenso großer wie Malis Ehemann selbst! Auch wenn Mali am Anfang nur meine Bedienstete war, langsam machte ich mir wirklich Sorgen um sie! Diese ganze Misere kam eigentlich daher, dass Malis Mann ein Trinker war. Spät abends, wenn sich Mali schlafen legen wollte, kam er nach Hause und war betrunken. Deshalb konnte Mali nicht mehr richtig schlafen. Sie war mittlerweile total verändert: Früher war sie ein fröhliches, fleißiges Mädchen gewesen – doch nun? Es schien, als hätte das Leben für sie keinen Sinn mehr. Sie hatte dunkle Augenringe und weinte oft und viel. Entweder aus Müdigkeit, einfach so, oder weil ihr Mann sie schlug. Und er schlug sie oft. Meist, wenn er betrunken war. Wenn Mali vor Schmerz laut aufschluchzte, ging mir das durch Mark und Bein.

Weil Mali und ihr Mann sich kaum um mich kümmerten (der Mann war sich zu fein dafür und Mali hatte ohnehin zu viel zu tun), lief ich frei in der Gegend herum. Auf einem meiner Streifzüge fand ich etwas, was unser Leben verändern könnte. Womit ich Mali helfen könnte! Beflügelt von dieser Entdeckung rannte ich heimwärts. Als ich angekommen war, rief ich aufgeregt: „Mali, Mali, du musst sofort mitkommen!“ Ich gestikulierte wild: „Ich hab etwas entdeckt! Ein Helfershaus! Da kannst du hin! Die werden dir helfen! Komm jetzt!“ Doch sie tätschelte mir nur den Kopf und sagte: „Ach, ist unser kleiner Ausreißer wieder aufgetaucht. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“ Stimmt ja: Menschen können unsere Sprache nicht verstehen! Außerdem war Malis Mann zu Hause. Schlechtes Timing also. In den nächsten Tagen bot sich leider auch keine Gelegenheit, Mali zum Helfershaus zu bringen. Und so hatte ich Zeit, einen Plan zu entwickeln: Mali besaß ein sehr schönes Medaillon, das ihr sehr viel bedeutete. Dieses Medaillon war der Schlüssel zum Erfolg! Am folgenden Nachmittag packte ich das Medaillon mit den Zähnen und zog es möglichst auffällig an Mali vorbei. Natürlich sprang sie sofort auf und wollte mir die Kette wegnehmen, aber darauf hatte ich nur gewartet. Ich flitzte los durch die Stadt, über den Basar, Richtung Helfershaus. Als ich das Tor erreicht hatte, legte ich die Kette davor und wartete auf Mali. Da kam sie, nahm die Kette und wollte wieder verschwinden, doch dann stockte sie. „Jugendschutzzentrum“, las sie langsam. Eine Frau kam aus dem Tor. „Kann ich dir helfen?“, fragte sie Mali. „Wolltest du zu uns?“ „Ja, äh, nein! Mein Hamster hat mich hergeführt. Wo bin ich hier?“ „Dein Hamster? Interessant! Na ja. Du bist hier vor dem Tor zum Jugendschutzzentrum. Wir helfen Kindern, die in Not sind.“ „In Not? Allen Kindern in Not?“ „Ja, allen, denen wir helfen können. Brauchst du auch Hilfe?“ „ Ja, vielleicht“, murmelte Mali. „Komm erst mal herein. Wir trinken eine Tasse Tee und du kannst mir alles erzählen. Ich heiße Jasza. Ich bin hier Sozialarbeiterin. Deinen kleinen Freund kannst du übrigens mitnehmen.“ Und Mali nahm mich auf ihre Schulter und ging hinter Jasza her. Durch das Tor zum Glück!

Epilog

Wenn mich jemand fragen würde: „Haben diese Ereignisse dich verändert?“, würde ich sagen: Ja, das haben sie! Früher war Mali für mich nur meine Bedienstete. Ich hatte alles, was ich brauchte, und deshalb war es mir nie in den Sinn gekommen, dass es anderen Lebewesen nicht so gut gehen könnte wie mir. Erst Malis Geschichte hat diese Einbildung verdrängt. Viele Menschen und Hamster sind so wie ich: Sie sind weder absichtlich ignorant noch wollen sie so sein. Und deshalb sollten sie etwas von der Gewalt gegen Frauen und Kinder in vielen Ländern hören. Damit sie etwas ändern können. Denn Mali ist kein Einzelfall. Und nicht alle haben so viel Glück wie sie. Apropos: Mali ist mittlerweile sogar Klassenbeste! Sie darf wieder die Schule besuchen, lebt im Jugendschutzzentrum und hat ihre Lebensfreude wieder.

Lisbeth Riedel

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Nördlich der A24

Besuch von Volker Jänig

Zu einem besonderen Chorkonzert lädt Kantor Thimo Neumann am Sonntag, 25. März, um 18 Uhr in die St. Nicolai-Kirche Mölln ein: Die MarienKantorei  aus Lemgo  singt unter der Leitung von Neumann`s Vorvorgänger Volker Jänig.

Volker Jänig, der in der Zeit von 1998 bis 2010  als Kreiskantor in Mölln wirkte, präsentiert mit seinem Chor Werke aus verschiedenen Jahrhunderten. Zu hören sind Stücke zum Thema Passion. Unter anderem handelt es sich um Werke von Johannes Brahms, Hugo Distler und Marcel Poulenc.

Die MarienKantorei mit etwa 35 Sängerinnen und Sängern ist ein A-Capella-Chor, der wöchentlich probt. Professionelle Stimmbildung begleitet die Proben. Die Kantorei unternimmt rund alle zwei Jahre eine größere Reise. 2015 war das Ensemble in den USA. Das Repertoire des Chores umfasst alle Epochen von der Renaissance über die Bach-Motetten bis hin zu Kompositionen der Moderne.

Foto: Silke Roschewski

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Vorfahrt für die Jugend

Kein Leben ohne Upps

Das Upps ist da. In der Aula der Grundschule Breitenfelde sitzen die Kinder auf Bänken und beobachten, wie es köchelt, dampft und regnet. Upps ist die Hauptfigur in dem Stück des Lübecker Wassermarionetten Theaters, das Anna und Wolf Malten an diesem Morgen aufführen. Upps – das Wasser, gespielt von Wolf, hat sich in ein sprechendes Wesen verwandelt. Es bringt Anna mit seiner Wandelbarkeit immer wieder zum Staunen. Es zeigt, dass es Lebewesen gibt – wie beispielsweise Quallen –, die nur aus Upps bestehen und dass der Dreck in den Meeren die Quallen gefährdet. Und dass eine Dusche ohne Wasser eine reichlich trockene Angelegenheit ist.

Wolf Malten kommt bei seinem Spiel ohne erhobenen Zeigefinger aus. „Wir wollen die Kinder zum Nachdenken anregen“, sagt er, der auch der Verfasser des Stücks mit dem Titel „H2 upps“ ist. Um dem Nachwuchs die Bedeutung des Wassers nahezubringen, tingelt das Ehepaar – wenn es nicht gerade an seinen festen Spielort aktiv ist – über die Dörfer. Vier Vorstellungen an einem Tag sind die Regel. In Breitenfelde sind es drei. Hinzukommen drei Stunden, die sie für den Aufbau der Bühne benötigen. Der Aufwand zeigt, dass hier zwei „Überzeugungstäter“ am Werk sind.

Der Lohn sind die begeisterten Kinder, die dem Stück mit Feuereifer folgen und sich immer wieder mit Zwischenrufen zu Wort melden, und die die entscheidende Erkenntnis mit nach Hause nehmen: „Wenn wir gut zu Upps sind, wird Upps auch gut zu uns sein.“ (kp)

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Nördlich der A24

„Musikalische Gedanken über Leben und Tod“

Mit der „Hamburger Ratsmusik“ startet am Sonnabend, 3. März, in der St. Nicolai-Kirche die von Kantor Thimo Neumann erstmals organisierte Konzertreihe „1. Möllner Meisterkonzerte“. Das international bekannte Ensemble spielt unter dem Titel „Deth –Life – Musikalische Gedanken über Leben und Tod“ Kompositionen aus der Zeit der Renaissance und des Barock. Konzertbeginn ist um 18 Uhr.

Die „Hamburger Ratsmusik“, ein Ensemble mit 500-jähriger Geschichte, tritt in verschiedenen Besetzungen auf: In Mölln präsentiert es sich als Duo. Simone Eckert und Ulrich Wedemeier bringen die Viola da Gamba und die Theorbe zum Einsatz. Sie laden zum kreativen Dialog zwischen Tradition und Gegenwart – von Alter Musik und lebendiger Interpretation. Hamburgs kühle Brise sorgt bis heute für allzeit frischen musikalischen Wind.

Die Anfänge der Hamburger Ratsmusik reichen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Nach dem Grundsatz „Gott zu Ehren und Hamburg zur Lust, Ergötzlichkeit und Nutz“ leistete sich die Stadt ein Eliteensemble von acht Ratsmusikern, das vielen fürstlichen Hofkapellen Konkurrenz machen konnte. Seine erste Blüte erreichte das Ensemble im 17. und 18. Jahrhundert unter Musikern wie William Brade, Johann Schop, Georg Philipp Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach. Das Ensemble spielt heute noch in unterschiedlichen Besetzungen im In- und Ausland.

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Nördlich der A24

Angela W. Röders spielt „Rose“

Die Lebensgeschichte einer in der Ukraine geborenen Jüdin erzählt und verkörpert die Schauspielerin Angela W. Röders am Donnerstag, 1. März, in der Maria-Magdalenen-Kirche. Grundlage ihres Auftritts ist das von Martin Sherman geschriebene Ein-Personen-Stück „Rose“. Die Heldin hält Totenwache für ein palästinensisches Mädchen, das von ihrem fanatischen Enkel erschossen worden ist. Die schreckliche Gegenwart ruft Erinnerungen in ihr wach. Sie erzählt von ihrer alten Heimat und von Amerika, ihrer neuen, von der Fluchtodyssee, die sie zwischenzeitlich in das ersehnte Palästina führte, von schmerzlichen Verlusten, Liebe und Entscheidungen, die zum Neuanfang für ein Miteinander ohne Hass und Vergeltung führten. Veranstaltungsbeginn ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei

Der Hamburger Schauspielerin Angela W. Röders liegt das Solostück ob seiner Aussagekraft und seiner Botschaft sehr am Herzen. Als sie gefragt wurde, ob sie es sich vorstellen könne, „Rose“ in der besonderen Atmosphäre einer alten Dorfkirche aufzuführen, sagte sie sofort zu. Ein Mustiner Freundeskreis hatte diese Idee aufgeworfen und den Kontakt zum Verein Miteinander leben gesucht, ob dieser im Rahmen des Projektes „Zugänge schaffen“ eine solche Aufführung unterstützen könnte. „Wir sind sehr dankbar über diese Initiative, liegt sie doch genau im Fokus unserer Arbeitsgruppe „Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft“ und ihres präventiven Konzeptes „Begegnungen und Austausch mit jüdischem Leben schaffen. Von daher unterstützen wir sehr gern und freuen uns auch auf ein ungewöhnliches Theaterereignis an einem ungewöhnlichen Ort“, so Mark Sauer, Vorsitzender des Vereins Miteinander leben.

Der Verein Miteinander leben setzt sich seit 2016 in dem Modellprojekt „Zugänge schaffen“ dafür ein, jüdisches Leben und jüdische Themen möglichst niederschwellig den Menschen nahezubringen.

 

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Nördlich der A24

„Till konnte die Dummheit der kleinen Leute nicht ertragen“

Manfred Sahm, Mitglied des Niederdeutsch-Beirats der Stiftung Herzogtum Lauenburg, hat die Abenteuer des Till Eulenspiegel ins heutige Plattdeutsch übersetzt. Der 74-Jährige lebt mit seiner Frau in Mölln. Vor diesem Hintergrund erscheint seine literarische Arbeit über den berühmten Volksnarren irgendwie logisch. Ist sie aber nicht: Sahm, pensionierter Kriminalbeamter, hat die meiste Zeit seines Lebens in anderen Städten verbracht. Geboren und aufgewachsen ist er in Kiel. Gelebt hat er zudem in Eckernförde, Ratzeburg, Lübeck und Hamburg. Mölln ist erst seit fünf Jahren seine Heimat.

Das Kulturportal sprach mit ihm über die Entstehung des Buches, über das Leben des Till Eulenspiegel, der um 1300 sein Unwesen nicht nur in Mölln und Umgebung getrieben haben soll, und den Spaß, andere zu veräppeln.

Kulturportal: Herr Sahm, können Sie sich daran erinnern, wann Sie das erste Mal von Till Eulenspiegel gehört haben?

Manfred Sahm: Da war ich noch ein Kind. Meine Mutter und ich waren damals zu Besuch in Mölln. Ich weiß noch, dass wir uns den Brunnen auf dem Marktplatz angesehen haben. Das nächste Mal bin ich ihm dann begegnet, als meine Frau und ich nach Mölln gezogen sind. Ein Kollege hat mir erzählt, dass er Mitglied in der Eulenspiegel-Gilde ist und mich gefragt, ob ich ihn nicht mal zu einem Treffen begleiten wolle. Ich bejahte und bin dann dabeigeblieben. So kam es, dass ich mich irgendwann gefragt habe: Was steckt dahinter?

KP: Und haben Sie eine Antwort?

Sahm: Wenn man sich mit Till beschäftigt, stößt man automatisch auf die Frage: Hat er gelebt?

KP: Hat er?

Sahm: Ich habe mir diverse Doktorarbeiten besorgt und bin zu dem Schluss gekommen: Ja, er hat gelebt. Davon sind auch die meisten Wissenschaftler überzeugt. Ich auch, denn wenn er nicht gelebt hätte, hätte er ja auch nicht in Mölln beerdigt werden können. Eine ganz andere Frage ist, ob er die 96 Abenteuer, die ihm zugeschrieben werden, alle erlebt hat: Nein, hat er nicht. Der Autor hatte von anderen Schreibern – wie es damals üblich war – Geschichten übernommen.

KP: Wie kommt es überhaupt, dass wir diese Abenteuer heute noch kennen?

Sahm: Sie wurden aufgeschrieben. Der erste, der dies tat, war Hermann Bote. Bote, Zollschreiber von Beruf, konnte kein Latein und verfasste die Geschichten in niedersächsischer Sprache – also in Plattdeutsch. Dieser Text ist leider verloren gegangen. Er diente aber offensichtlich als Vorlage für die Fassung des Franziskanermönchs Dr. Thomas Murner.

KP: Was sagen uns die Geschichten heute über Till als Person?

Sahm: Dass er ein Mann niederer Herkunft war. Er hat mit Mutter und Vater auf dem Lande gelebt. Die Mutter wollte, dass er etwas lernt. Till hatte anderes im Sinn: Schon als Knabe war er zu Scherzen aufgelegt. Im Dorf hat er die Kinder veräppelt, hinter dem Rücken des Vaters seinen Mors – Hintern – gezeigt. „Alle sagen, dass ich ein Schelm bin“, stellt er seinem Vater gegenüber fest, so als wundere er sich selbst darüber.

KP: Wie würden Sie Till von seiner Persönlichkeit her charakterisieren?

Sahm: Er war ein Individuum, das sich nicht angepasst hat. Sympathisch war er sicherlich nicht. Dafür hat er viel zu viele Leute geärgert.

KP: Konnte so einer in der mittelalterlichen Ständegesellschaft überhaupt überleben? Mit seinen Streichen hat er ja wohl kein Geld verdient?

Sahm: Er hat sich die Lebensumstände damals zu Nutze gemacht und ist wie ein wandernder Geselle über Land gezogen. Er hat einfach behauptet, dass er Kürschner, Stubenheizer oder Tischler ist. Sogar als Turmbläser hat er sich verdingt oder als Arzt und Professor ausgegeben. Deshalb dürfte er auch nicht in Narrenkleidung umhergezogen sein. Darin hätte er die Rolle des Handwerkers oder Künstlers schlecht spielen können.

KP: Waren wenigstens die Auftraggeber vor seinen Scherzen sicher?

Sahm: Nein, auch sie hat er genarrt. Gerne hat er sie dafür beim Wort genommen. Einmal hat ein Schneider zu ihm gesagt: Mach aus diesem Stoff einen Wolf – also eine Jacke. Woraufhin Till den Stoff zerschnitten hat.

KP: Das klingt, als wäre niemand vor ihm sicher gewesen?

Sahm: Till war ein Volksnarr. Er hat Schabernack mit Hochstehenden, Pfaffen und Handwerksmeistern getrieben. Er hat Herbergswirte hochgenommen. Kleine Leute hat er geärgert, weil er ihre grenzenlose Dummheit nicht ertragen konnte.

KP: Herr Sahm, Hand aufs Herz – jetzt, wo ihr plattdeutscher Till Eulenspiegel hier vor uns liegt: Würden Sie auch gerne gelegentlich die Rolle des Narren spielen?

Sahm: Früher habe ich schon Scherze mit anderen getrieben. Allerdings so, dass niemand Schaden davon hat. Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem man solche Streiche nicht mehr macht.

KP: Dafür bringen Sie nun den niederdeutschen Lesern, Tills „Spijööken un Aventüern“ nahe. Wie kam es überhaupt, dass sie sich diesem Projekt verschrieben haben?

Sahm: Nachdem ich von Botes Fassung auf „Neddersässisch“ gelesen hatte, fand ich, das wäre doch was: Den Eulenspiegel komplett ins Niederdeutsch von heute zu übertragen.

KP: Botes Fassung ist ja – wie Sie sagten – verloren gegangen. Auf welcher Version basiert Ihre Übersetzung?

Sahm: Ich habe mich an der Reclam-Übersetzung von Murners mittelhochdeutschem Till gehalten. Ich habe mich bemüht, möglichst textgetreu zu sein. Allerdings handelt es sich nicht um eine reine Wort-für-Wort-Übersetzung. Hier und da musste ich auch mal etwas umschreiben.

KP: Ich würde sagen, es hat sich gelohnt. Hic fuit, Herr Sahm. Vielen Dank für das Gespräch.

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Südlich der A24

„Die Teppichfabrik ist Vergangenheit und Zukunft“

Renate Lefeldt lebt seit 17 Jahren in Geesthacht. Als Vertreterin der Grünen sitzt die pensionierte Lehrerin in diversen Ausschüssen der Geesthachter Ratsversammlung. Obendrein engagiert sie sich für einen kulturellen Aufbruch der Kommune an der Elbe. Lefeldt ist Mitbegründerin und Sprecherin der Gruppe „Geesthachter Kulturvisionen“. Eine von mehreren Mitstreiterinnen und Mitstreitern an ihrer Seite ist Gundel Wilhelm. Sie arbeitete, bis sie in den Ruhestand ging für die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS), heute Helmholtz-Zentrum. Wilhelm zog vor 55 Jahren nach Geesthacht. Das Kulturportal unterhielt sich mit beiden Frauen über die Ziele ihrer Gruppe.

Kulturportal: Frau Lefeldt, wie kam es überhaupt zur Gründung der Gruppe?

Renate Lefeldt: Da muss ich ein wenig ausholen. Während des Landtagswahlkampfes hatten wir uns als Grüne entschlossen, das Thema Kultur auf die Tagesordnung zu setzen und zu der Veranstaltung „Kultur im Dialog“ ins SmuX eingeladen. Die Resonanz war überraschend gut. Es wurde sehr lebhaft diskutiert. Ich schlug deshalb vor – falls das Interesse bestünde –, den Dialog fortzusetzen. Dafür konnten sich die Teilnehmer in eine Liste eintragen.

KP: Was hat Sie und Ihre Mitstreiter so bewegt, dass Sie sich jetzt regelmäßig treffen?

Gundel Wilhelm: Anfangs ging es nur um die Teppichfabrik und wie wir das Areal nutzen können, um das Image Geesthachts über die Kultur aufzuwerten.

KP: Ist das Image der Stadt so schlecht?

Wilhelm: Das Geesthacht-Image könnte besser sein. Das hat auch mit diesem Gelände zu tun. Während des Zweiten Weltkrieges schufteten dort in einer Munitionsfabrik 20.000 Zwangsarbeiter. Die Menschen wurden schlecht behandelt, waren unterversorgt.

KP: Diese Geschehnisse liegen immerhin mehr als 70 Jahre zurück. Sind die wirklich noch so präsent?

Wilhelm: Wir wollen zu unserer Vergangenheit stehen. Aber die Gruppe, das muss ich zugeben, ist da durchaus gespalten. Die eine Seite ist stark auf die Vergangenheit fixiert, die andere blickt mehr in die Zukunft.

Lefeldt: Ich persönlich wünsche mir ein Kulturkonzept für die Stadt, in der auch die Vergangenheit ihren Platz hat. Im Übrigen gibt es bei uns noch eine dritte Gruppe, die sich nur für Teppichfabrik interessiert.

Wilhelm: Die Teppichfabrik ist Vergangenheit und Zukunft!

KP: Frau Lefeldt, Sie sagten gerade, dass Sie sich ein Kulturkonzept für Geesthacht wünschen. Fehlt es der Stadt an Strukturen?

Lefeldt: Auf jeden Fall. Die Stelle des Kulturdezernenten wurde vor Jahren gestrichen. Wir brauchen aber einen Kulturverantwortlichen, einen Kulturetat – und ein Kulturkonzept.

KP: Und ist das alles in Sicht?

Lefeldt: Einen Etat gibt es bereits. Ein Kulturverantwortlicher soll kommen. In der Gruppe haben wir über die Entwicklung eines Kulturkonzeptes nachgedacht. Aber ganz ehrlich: Wenn man sich die Konzepte anderer Städte ansieht und den Arbeitsaufwand, den das bedeutet, ist das für uns nicht zu schaffen. Diese Aufgabe ist im Rathaus besser aufgehoben.

KP: Finden Sie dort Gehör?

Lefeldt: Ja, unbedingt. Wenn Bürgermeister Schulze kann, nimmt er an unseren Sitzungen teil…

Wilhelm: Er ist sehr engagiert…

Lefeldt: …und aufgeschlossen, wenn es um unsere Vorschläge und Ideen geht.

KP: Apropos Ideen. Was plant Ihre Gruppe aktuell, um den Kulturstandort Geesthacht zu stärken? Was wird aus der Teppichfabrik?

Lefeldt: Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie da der Stand ist. Der Insolvenzverwalter verlangt 3 Millionen Euro…

Wilhelm: … und ist nicht kooperationsbereit. Es wird gepokert. Das Ganze steht auf des Messers Schneide.

KP: Angenommen Sie könnten einen Teil der denkmalgeschützten Gebäude für die Kultur nutzen, was würden Sie machen?

Lefeldt: Es gibt in Geesthacht viele kleine Museen und Vereine wie das Heimatmuseum, das Geesthacht Museum, den Heimat- und Geschichtsverein oder den Förderkreis Industriemuseum, die man dort unter einem Dach unterbringen könnte.

Wilhelm: Ich weiß von drei Privatleuten, die ihre Sammlungen zur Verfügung stellen würden. Allerdings nur, wenn deren Ausstellungen Hand und Fuß haben.

Lefeldt: Ein weiterer Vorschlag ist es, ein Kultur- und Begegnungszentrum mit Proberäumen für Bands und Ateliers für Künstler zu etablieren. Aber das alles liegt für mich derzeit in weiter Ferne und ist bei unseren letzten Treffen auch nicht Thema gewesen.

KP: Was war denn Thema?

Lefeldt: Wie wir das Image von Geesthacht aufwerten können und wie wir Leben in die City bringen. In der Adventszeit hat Frank Kaldenbach in der Fußgängerzone erstmals einen Weihnachtsmarkt organisiert, der gut angenommen wurde und dieses Jahr wiederholt werden soll. Am 9. Juni plant die Stadt mit unserer Unterstützung eine große Kulturnacht mit Lesungen, Musik – auch für Kinder, Vorträgen und Sketchen.

Wilhelm: Die Veranstaltungen finden alle citynah statt, sind also fußläufig zu erreichen.

Lefeldt: Solche Events sind natürlich erst ein Anfang. Um das Image der Stadt zu verbessern und die Stadt überregional bekannter zu machen, werden wir noch einiges tun müssen.

Mehr zum Thema lesen Sie unter:

https://kulturportal-herzogtum.de/2018/01/31/kulturaufbruch-in-der-wachsenden-stadt/

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Nördlich der A24

Von wegen hier ist nichts los!

Von wegen auf dem Land ist nichts los! Wer Augen und Ohren im Kreis offenhält, trifft hier und da immer wieder auf interessante Veranstaltungsorte und Einrichtungen, in denen Künstler ihr Können zeigen. Wie etwa das Heubodentheater von Gwendolin Fähser, das umgeben von Wald und Wiesen zwischen Ritzerau und Duvensee liegt.

Klar, nicht in jedem Ort gibt es jemanden, der gewillt ist, regelmäßig Kulturveranstaltungen auf die Beine zu stellen. Aber Gwendolin Fähser zeigt, dass es und wie es gehen kann. Davon geträumt, Konzerte, Lesungen und Aufführungen zu organisieren, hat die Theaterpädagogin schon immer. Dass der Traum heute Wirklichkeit ist, geht auf ihr Engagement beim KulturSommer zurück. „Hans-Jürgen Rumpf kam 2006 auf mich zu und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, mitzumachen“, erinnert sich die Theaterpädagogin.

Es war der erste Schritt auf dem Weg zum ständigen Veranstaltungsort. Heute hat das Forstgehöft, in dem Gwendolin Fähser mit ihrem Mann lebt, mit dem Heuboden und dem Wintersalon gleich zwei Veranstaltungsräume. „Den Heuboden haben wir übrigens der Arbeit von zwei Wandergesellen zu verdanken“, sagt Gwendolin Fähser. „Die kamen damals hier bei uns vorbei und fragten nach Quartier und Arbeit und wir sagten: Baut uns mal den Heuboden zu einen Veranstaltungsraum um!“

Zu den Räumen gesellten sich die Erfahrungen für die Organisation von Veranstaltungen. Beispielsweise, dass im Vorfeld zu prüfen ist, ob bei der Verwertungsgesellschaft Wort oder bei der GEMA Gebühren anfallen. Dabei konnte sie im Übrigen auf die Unterstützung der Stiftung Herzogtum Lauenburg zählen. „Die Stiftung hat das mit der GEMA immer für mich geklärt. Soweit ich mich erinnere, musste nie etwas gezahlt werden.“

Gwendolin Fähser weiß heute, worauf es ankommt. Das gilt auch für die Programmgestaltung. „An einem besonderen Ort erwartet das Publikum auch ein ‚besonderes‘ Programm. Gleichzeitig sollte es aber so gefächert sein, dass es eine Vielzahl von Kulturinteressierten anspricht“, so ihre Maßgabe. Dieser ist sie auch bei der Organisation ihrer Veranstaltungsreihe „Kulturbrise“ gefolgt, die im Februar im Wintersalon auf dem Programm steht. Zum Auftakt am Sonntag, 4. Februar, ist das Duo „Way Out South“ zu Gast. Dahinter verbergen sich die Sängerin Natascha Roth und der Gitarrist James Scholfield. Sie spielen eine bunte Mischung aus Jazz, Bossa Nova und weiteren Musikstilen. Eine Woche später – am 11. Februar – betritt die Theater-Pädagogin Fähser dann selbst die Bühne. Sie liest aus einem Roman des dänischen Schriftstellers Jörn Riel, der vom abenteuerlichen Leben in der Arktis erzählt. Musikalisch begleitet wird sie dabei von dem Cellisten Peter Köhler. Den Abschluss bildet dann am Sonntag, 25. Februar, eine märchenhafte Hommage an das Leben der Maria Sibylla Merian. Sandy Sanne und Alexander Weber von der Theaterimkerei präsentieren mit ihren Figuren in Tanz und Musik die Begegnung der Naturforscherin Merian mit Raupen und Schmetterlingen.

Die Veranstaltungen beginnen jeweils um 17 Uhr. Kartenreservierungen unter Tel. 04543-7026 oder per Mail unter gwen.faehser@posteo.de.

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Vorfahrt für die Jugend

Nachwuchsschriftsteller vor!

Der Countdown läuft: Noch bis zum 15. Februar können sich Nachwuchsschriftsteller beim von der Stiftung Herzogtum Lauenburg initiierten Literaturwettbewerb für „Junge Autor*inn*en“ anmelden. Teilnahmeberechtigt sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Alter zwischen sechs und 23 Jahren. Also, Nachwuchsschriftsteller vor!

Was die Textformen angeht, so ist erlaubt, was Spaß macht: Zulässig sind Kurzgeschichten, Essays, Prosa, Lyrik, Slam- und Songtexte – ja, sogar kleine Theaterstücke. Es gibt lediglich zwei Auflagen: Die Texte müssen in Arial, Schriftgröße 12, vorliegen und dürfen die Länge von vier DIN-A4-Seiten nicht überschreiten.

Wer will, kann für seinen Text sogar die Hilfe von Hannah Rau bekommen. Hannah Rau ist eine von landesweit 60 Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittlern, die von der Mercator Stiftung unterstützt werden. Die Lübeckerin, die sich als „Wortwerkerin“ bezeichnet, möchte die jungen Leute motivieren, „alles zu äußern, alles rauszulassen“.

Die Einsendungen unter dem Stichwort „Junge Autor*inn*en“ gehen an die Stiftung Herzogtum Lauenburg, Stadthauptmannshof, Hauptstraße 150, 23879 Mölln. Wer will, kann seinen Text auch per Mail an info@stiftung-herzogtum.de schicken.

Die besten Texte werden der Öffentlichkeit im Rahmen von zwei Finalveranstaltungen vorgestellt. Den Gewinnern winken Preise von bis zu 100 Euro sowie Buchgutscheine und Karten für Konzerte und Theatervorstellungen. Weitere Informationen zum Wettbewerb gibt es unter stiftung-herzogtum.de/wp-content/uploads/2016/11/Junge-AutorInnen-A3-Stiftung.pdf oder unter Tel. 04542-87000.

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Südlich der A24

Kulturaufbruch für die wachsende Stadt

Geesthacht hat ein schlechtes Image. Mit dieser Aussage wird schnell konfrontiert, wer mit Einheimischen über die Stadt an der Elbe ins Gespräch kommt. Die Gründe liegen für viele in der Vergangenheit. Geesthacht ist ein alter Industriestandort. Hier stellte Alfred Nobel Dynamit her, hier ließen die Nazis Zwangsarbeiter Waffen produzieren, hier steht das Atomkraftwerk Krümmel.

In diesen Tagen zeigt sich, dass ausgerechnet die Vergangenheit, Kräfte freigesetzt hat, sich von dem schlechten Image zu befreien. Den Stein des Anstoßes hatte die Gruppe „Geesthachter Kulturvisionen“ mit der von ihr angeregten Diskussion um die alte Teppichfabrik, die auf dem Gelände des alten Industriegebietes liegt, geliefert. Zwar ist die Nutzung von Räumlichkeiten an der Düneberger Straße aktuell kein Thema, aber längst haben die Gespräche eine Eigendynamik entwickelt. Es geht um die ganz großen Fragen: Was macht Geesthacht lebenswert? Wie lässt sich das Leben in der Stadt attraktiver gestalten? Was für ein Kulturangebot braucht es dafür?

Bei Bürgermeister Olaf Schulze läuft die Gruppe mit ihren Fragen und Anregungen offene Türen ein. Das Stadtoberhaupt hat im vergangenen Jahr den Kulturaufbruch ausgerufen. „Geesthacht ist eine wachsende Stadt“, sagt er. Um noch mehr Menschen anzulocken, brauche es auch ein entsprechendes, kulturelles Angebot. Passend dazu hat die Kommune den Posten für Veranstaltungen in diesem Jahr um 5.000 auf jetzt 15.000 Euro erhöht. 2018 gebe die Stadt insgesamt 50.000 Euro für die Kultur aus, so Schulze. Darüber hinaus solle eine weitere Stelle im Bereich des Stadt- und Kulturmanagements geschaffen werden. Über die Jobbeschreibung werde allerdings noch diskutiert.

Von einer Stelle profitiert Geesthacht schon jetzt: Die Rede ist von Tourismusmanager Frank Kaldenbach. Der gebürtige Westfale ist ein alter Hase in seinem Beruf. Das schlechte Image der Stadt hat ihn nicht geschreckt, als er im Juli 2017 seinen Job antrat. „In Deutschland kämpft man immer mit dem Image“, erklärt er nüchtern. Er selbst sei begeistert gewesen, als er sich das erste Mal in Geesthacht umsah. Die Fußgängerzone, in der es keinen Leerstand gebe, findet Kaldenbach „hervorragend“. Dort hat er im Dezember einen Weihnachtsmarkt organisiert – eine Premiere für Geesthacht. Am 9. Juni plant er nun mit Unterstützung der Gruppe „Geesthachter Kulturvisionen“ in der Innenstadt eine Kulturnacht. Zudem stehen in der Zeit vom 30. Mai bis 22. August alle 14 Tage Konzerte am Hafen auf dem Programm. „Hier“, ist er überzeugt, „kann man was bewegen.“

Diese Aussage, die klingt wie ein Motto, dürfte dem Bürgermeister gefallen. Vielleicht würde er angesichts erster Fortschritte das Wörtchen „kann“ streichen. Weitere Fortschritte – auch in anderen Bereichen – sollen folgen. Schulze schwebt beispielsweise eine Imagekampagne in den S- und U-Bahnen Hamburgs vor. Und dann gilt es noch ein besonders dickes Brett zu bohren. Geesthacht mit seinen 30.000 Einwohnern hat keinen Bahnhof.  „Wir sind die einzige Kommune dieser Größenordnung, die nicht an das Schienennetz angeschlossen ist“, sagt er. Das soll sich ändern. Eine Machbarkeitsstudie ist in Auftrag gegeben. Das Ergebnis steht noch aus.