Trotz Pandemie hat sich die Stiftung Herzogtum Lauenburg entschlossen, auch 2021 einen KulturSommer am Kanal durchzuführen. Für Frank Düwel, Intendant des Festivals, war und ist dieser Auftrag eine echte Herausforderung: Er muss Kunstpräsentationen, Theateraufführungen und Konzerte so planen, dass sie sich je nach Inzidenzlage justieren lassen. Ein Kraftakt. Aber im Interview mit Kulturportal-Herzogtum.de stellt sich schnell heraus, dass die Freude, endlich wieder arbeiten zu können, diese Anstrengungen letztendlich in den Schatten stellen.
Kulturportal-Herzogtum.de: Herr Düwel, das Motto des diesjährigen KulturSommers lautet „Am Ufer – die Freiheit“. Wie konkret ist in den zurückliegenden Monaten der abstrakte Begriff „Freiheit“ für Sie geworden?
Frank Düwel: Ich hätte nie gedacht, dass ich die Freiheit und ihren Verlust mal in dieser Art und Weise spüren würde. Vor allen Dingen auch die Notwendigkeit für die Freiheit – für meine persönliche Freiheit, aber auch für die Freiheit der Kunst.
KP: Was genau haben Sie vermisst?
Düwel: Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es ein Privileg ist, in Zeiten einer Pandemie in Deutschland zu leben. – Was ich vorher noch nie so empfunden habe, ist die Tatsache, dass unsere Freiheit so fragil ist. Und ich habe festgestellt, dass Freiheit nicht nur ein politischer Begriff ist, sondern auch ein Begriff der Seele. Persönlich habe ich zunächst gar nicht gemerkt, wie sehr ich darunter leide, dass ich meinen Beruf nicht ausüben kann. Als ich dann endlich wieder inszenieren durfte und mit Darstellerinnen und Darstellern arbeiten konnte, habe ich gemerkt, dass diese Arbeit ein Teil meiner Identität ist. Aber wie gesagt: Ich möchte mich überhaupt nicht beklagen.
KP: Ich höre da raus, dass Sie insbesondere das Miteinander mit den Menschen vermisst haben.
Düwel: Ja, und ich habe lange gedacht, ich könnte das über den Verstand – über meinen Intellekt klären. Das ist zum Teil auch möglich und nötig. Aber was diese Veränderung mit der Seele macht, das ist etwas, was man ganz ehrlich mit sich neu besprechen muss. Das habe ich vor allen Dingen in der Kunst gemerkt – im Gespräch mit den Künstlerinnen und Künstlern. Es ist wichtig, dass man sich darüber verständigt, wie es einem gerade geht und wie man sich fühlt, damit man dann über Kunst sprechen kann, um nicht in irgendeinen Aktionismus gegen die Pandemie zu verfallen.
KP: Dass die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen etwas mit dem Kopf machen, spüre ich auch. Aber für mich ist es ein diffuses Gefühl, was ich nicht so richtig greifen kann. Wie erleben Sie das?
Düwel: Ich habe letztens in einer Probe gesessen. Da gab es ein Duett von Monteverdi und alle, die da waren, haben auf einmal angefangen zu weinen. Aus dieser Reaktion lese ich zwei Aspekte heraus: Erstens durften wir endlich wieder proben, aber da schwang auch eine gewisse Melancholie mit. Man merkte, was für eine Last alle mit sich herumtragen. Alle versuchen mit Vernunft und Höflichkeit klarzukommen. Was ja auch super ist, wie die Leute das schaffen – aber auf einmal weinten alle. Ich bin mir sicher, ohne die Pandemie wären wir nie an diesen Punkt gekommen.
KP: Als Sie das Motto „Am Ufer – die Freiheit“ formulierten, hatten Sie da schon einen so klaren Blick auf die Situation?
Düwel: Nein. Ich dehne den Begriff des Ufers immer sehr gerne aus. Ich finde es sehr spannend, damit zu arbeiten. Wir alle sitzen immer an irgendeiner Kante, an irgendeinem Ufer, an irgendeinem Übergang. Und den Blick hinüber – in die Ferne zu richten, ist sozusagen eine Selbstermächtigung zur Freiheit. Und ich finde Kunst ist ein ganz toller Moment, sich Freiheit zu verschaffen. Man schaut in ein Bild, hört in Musik hinein oder sieht sich ein Theaterstück an. Und in dem Moment, wo man die Freiheit des Schauens, des Hörens und des Sehens genießt, verändert sich auch die eigene Position. Mit dem aktiven Nutzen der Freiheit ändert sich der eigene Standpunkt – also das Ufer. Wegen der Pandemie kommen wir jetzt aber an einen ganz anderen Punkt. Auf einmal haben wir eine Sehnsucht nach Vertrautem – nach Ritualen und nach Tradition. Und ich merke, dass das gerade ein wichtiger Aspekt ist. Indem wir jetzt den KulturSommer machen, rücken das Publikum und die Künstlerinnen und Künstler so dicht zusammen wie noch nie. Alle haben eine große Sehnsucht, sich zu begegnen.
KP: In Zeiten ohne Pandemie wäre die Begegnung mit anderen selbstverständlich…
Düwel: Ich merke, dass es jetzt so ist, dass wir alle gemeinsam – also Künstler und Gäste – am gleichen Ufer sitzen und versuchen, die gleiche Freiheit zu erkennen. Da ist ein neues Bild entstanden. Das gleiche Motto erweckt eine andere Assoziation.
KP: Sie verzichten im Motto auf ein Verb. Stattdessen arbeiten Sie mit einem Gedankenstrich, der Spielraum für Interpretationen gibt. Die Freiheit erscheint als Sehnsuchtsort. Wie frei wird der KulturSommer am Kanal 2021?
Düwel: Er wird immer so frei sein, wie die Menschen, die ihn machen. Jeder Moment von gelungener Kunst schafft mehr Freiheit, als man es sich ausgemalt hat. Jeder Moment gelungener Musik oder das Erkennen in einem Bild hat das Potential unendlicher Freiheit. Das habe ich irgendwie schon immer geahnt. Aber jetzt haben wir eine große Verantwortung, diese Momente auch herzustellen. Das heißt: Wir müssen sehr umsichtig und sehr aufmerksam miteinander sein, um diese Momente der Kunst entstehen zu lassen. Als Freiheit, als Idee von Freiheit, aber auch als Trost. Trost und – wenn es gelingt – sogar als Humor. Ich gehe nochmal an den Anfang unseres Interviews. Ich glaube, dass wir es vom Verstand ganz gut hinkriegen. Und von der Disziplin. Aber unsere Seele braucht jetzt dringend Futter. Um das zu verarbeiten, was uns passiert. Unsere Seele ist überrumpelt. Taub. Gekränkt. Verletzt. Und die Kunst ist ein Medium, um der Seele sozusagen wieder Leben einzuhauchen.
KP: Was geht beziehungsweise was geht nicht in diesem KulturSommer?
Düwel: Zunächst einmal haben wir so geplant, dass wir im Wesentlichen draußen sind. Das ist schon mal entscheidend. Wie viele Menschen wir jeweils für die Veranstaltungen zulassen, können wir heute noch nicht festlegen. Vorbestellungen nehmen wir ab dem 25. Mai entgegen. Niemand ist im Moment sicher in der Art und Weise, wie er oder sie die Veranstaltung durchführt. Wir justieren Woche für Woche neu, wo wir stehen. Grandios daran ist, dass die Künstlerinnen und Künstler vom Kanu-Wander-Theater bis zum kleinsten offenen Atelier diesen Weg mit uns gehen. Dafür kann ich mich nur bedanken. Das ist eine enorme Leistung.
KP: Immerhin: Die Inzidenzen gehen momentan zurück und auch die Impfkampagne macht Hoffnung…
Düwel: Aktuell ist alles ständig in Bewegung. Für die Eröffnung am 5. Juni hieß es erst „Büchen erFahren“. Jetzt heißt es „Im Perspektivwechsel: „Büchen erFahren“. Wir haben an diesem Tag nur noch bildende Kunst und keine festen Gruppen mehr. Die Menschen können, wie es ihnen gefällt, von Kunstwerk zu Kunstwerk marschieren.
KP: Wie steht es um das weitere Programm?
Düwel: Wir haben beispielsweise 22 Konzerte geplant. Eine ganze Reihe davon machen wir mit der Kirche unter dem Motto „Klang im ewigen Garten“ auf Friedhöfen. Wir haben zum ersten Mal das Format „Gartenkonzerte für Kids“. Ein echter Hammer ist die deutsch-ukrainische Theaterproduktion „Ich will leben“ über das Schicksal der Dichterin Selma Meerbaum. Das ist ein Projekt der Bundeskulturstiftung anlässlich 1.700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland, das nach Geesthacht kommt und uns auf die Landkarte mit Köln und Düsseldorf bringt. Das ist ein wirkliches Geschenk. Wir haben die „Kunst am Wegesrand“ und die offenen Ateliers, das Kanu-Wander-Theater, das Shakespeares „Was ihr wollt“ inszeniert und in Geesthacht ermöglichen Studenten der Hochschule für Musik und Theater Hamburg im Rahmen ihrer Abschlussprüfung eine Begegnung mit Thomas Manns „Zauberberg“.
KP: Herr Düwel, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Die Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg ist Premiumpartner der Stiftung Herzogtum Lauenburg.