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„Der Weg nach Bethlehem III“

Lothar Obst ist nicht nur in der antiken Geschichte bewandert, er ist auch ein Kenner des Neuen Testaments. Zuletzt hat er sich aus der Perspektive des Historikers intensiv mit diversen Fragen rund um die Geburt Christi befasst. Im Folgenden widmet er sich Bethlehem und Nazareth und der Reisezeit zwischen den beiden Orten zur Geburt Christi. Kulturportal-Herzogtum.de veröffentlicht den Text in mehreren Abschnitten. Hier lesen Abschnitt III.

Lothar Obst ist nicht nur in der antiken Geschichte bewandert, er ist auch ein Kenner des Neuen Testaments. Zuletzt hat er sich aus der Perspektive des Historikers intensiv mit diversen Fragen rund um die Geburt Christi befasst. Im Folgenden widmet er sich Bethlehem und Nazareth und der Reisezeit zwischen den beiden Orten zur Geburt Christi. Kulturportal-Herzogtum.de veröffentlicht den Text in mehreren Abschnitten. Hier lesen Abschnitt III. Zu Abschnitt II geht es hier.

Das antike Straßennetz als Pilgerwege für die jüdischen Wallfahrtsfeste

Den Ausbau des antiken Straßennetzes von Galiläa durch Samarien nach Judäa müssen wir nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Fernhandels von Syrien nach Ägypten, sondern auch im Rahmen der alljährlichen jüdischen Wallfahrtsfeste sehen. Im 23. Kapitel des Buches Leviticus des Pentateuchs beschreibt Mose die Gesetze über den Sabbat und die jährlichen Feste, welche im Einzelnen sind:

PASSAH (3. Mose 23,5-8)

Fest der ungesäuerten Brote

14. bis 22. Nisan (ca. März/April)

Erinnert an den Auszug der Israeliten aus Ägypten

SCHAWUOT (3. Mose 23,16-22)

Wochenfest

6. bis 7. Siwan (ca. Mai)

Erinnert an den Wiederempfang der zehn Gebote

ROSCH HA-SCHANA (3. Mose 23,23-25)

Neujahrsfest (Jahrestag der Schöpfung)

1.bis 2. Tischri (September)

Erinnert an die Erschaffung der Welt

(nach dem jüdischen Kalender am 6. Oktober 3761 v. Chr.)

JOM KIPPUR (3. Mose 23,26-32 und 16,29)

Versöhnungsfest (höchster jüdischer Feiertag)

10. Tischri (September)

SUKKOT (3. Mose 23,33-43)

Laubhüttenfest

15. bis 23. Tischri (September/Oktober)

Erinnert an die 40-jährige Wanderschaft der Israeliten durch die Wüste

Nach dem Buch Deuteronomium sind das Passahfest (5. Mose 16,1-8), das Wochenfest (5. Mose 16,9-12) und das Laubhüttenfest (5. Mose 16,13-15) zugleich Wallfahrtsfeste zum Tempel nach Jerusalem („Dreimal im Jahr soll alles, was männlich ist in deiner Mitte, vor dem Herrn, deinem Gott, erscheinen, an der Stätte, die der Herr erwählen wird“, vgl. 5. Mose 16,16). König Salomo ließ den ersten Tempel in einem Ausmaß von 30 m Länge, 10 m Breite und 15 m Höhe auf dem Tempelberg erbauen, der im Jahr 586 v. Chr. durch die Babylonier unter Nebukadnezar II. zerstört wurde. Es kam zur Entführung und Verbannung der hebräischen Oberschicht nach Babylon (sog. Babylonische Gefangenschaft). Nach der Rückkehr der Hebräer wurde unter dem persischen Statthalter Serubbabei 515 v. Chr. der Tempel wieder aufgebaut (Zweiter Tempel), der nach dem jüdisch-römischen Schriftsteller Flavius Josephus schon 145 m lang und 45 m breit und damit deutlich größer als der Tempel Salomos war. In den Jahren 167 bis 164 v. Chr. schändeten die Griechen den jüdischen Tempel, entfernten die Leuchter und stellten einen Altar für ihren Göttervater Zeus auf. Nach dem erfolgreichen Aufstand der Makkabäer und der Befreiung von den Griechen wurde der alte Tempelkult wiederhergestellt, der Zeus-Altar entfernt und nur noch ein siebenarmiger Leuchter (Menora) aufgestellt. An diese Einweihung des zweiten Tempels 164 v. Chr. (= im jüdischen Jahr 3597) erinnert das auch heute noch gefeierte Lichterfest CHANUKKA vom 25. Kislew bis 2. Tevet (ca. Dezember). König Herodes schließlich ließ in den Jahren 21 bis 19 v. Chr. das Plateau des Tempelberges deutlich erweitern. Der Herodianische Tempel war trapezförmig und hatte mit einer Gesamtfläche von ca. 140.000 Quadratmetern riesige Ausmaße (über 400 m x rund 300 m); davon steht heute nur noch ein kleiner Teil der westlichen Umrandungsmauer (Klagemauer).

Die jahrhundertelangen Wallfahrten zum Tempel nach Jerusalem brachten alljährlich Tausende jüdische Männer auf die Straßen und führten zu einem Ausbau des Wegenetzes nach Jerusalem, im Wesentlichen über eine Westroute entlang des Mittelmeeres, eine Ostroute entlang des Jordantales und eine dritte quasi Transitstrecke durch Samarien nach Judäa. Maria und Joseph dürften im Jahr 7/6 v.u.Z. genau diese Transitstrecke genutzt haben wie viele Jahre und Jahrhunderte vor ihnen Pilger zum Tempel nach Jerusalem zu den drei jüdischen Wallfahrtsfesten.