Auf die Idee kommt es an – sagt Ai Weiwei und er muss es wissen. Schließlich ist er ein international anerkannter Künstler. Im Zusammenspiel mit einer Baumarkt-Kette hat er jetzt ein Kunstwerk zum Nachbauen kreiert. Dafür braucht es ein paar Stangen, neonfarbene Jacken – und Kabelbinder. Gibt es alles vor Ort und ist „facile á faire“, wie die Franzosen sagen.
Die Idee dahinter? Ai Weiwei hat sie nicht verraten. Was
man sieht ist, dass die Jacken beim Aufstellen des Kunstwerkes in die Höhe schießen.
Sie leuchten orange-rot. Ein symbolisches Rettungsboot, das sich entfaltet?
Oder sollen die vielen herren- und frauenlosen Jacken an Menschen erinnern, die
verschwunden sind? Auf jeden Fall muss man Ai Weiwei unterstellen, dass hinter
seinem Kunstprodukt eine Portion Ethik steckt. Einer wie er, der seine Heimat
aus politischen Gründen verlassen musste, macht so etwas nicht ohne Hintersinn.
Dass es Betrachter gibt, die dennoch an der Sinnhaftigkeit eines solchen Objektes zweifeln, ist Ai Weiwei nicht anzukreiden. Das Zweifeln an sich hat die moderne Kunst schon vor Urzeiten gesät. Es hat Heerscharen von Kunstignoranten und Kunstmuffeln hervorgebracht, die bis heute erfolgreich Abstand zu unverständlichen Ismen – Dadaismus! Kubismus! – halten.
Doch das war gestern. Dank Ai Weiwei ist die moderne Kunst hier und heute in den Baumarkt – Ausdruck des Massenkonsums und Inbegriff von Praktikabilität und Nützlichkeit – umgezogen und mitten in der Gesellschaft angekommen. Wo alle hingehen, um Lösungen für den Alltag zu finden, kann es sich kein Mensch mehr erlauben, zu behaupten, er verstehe nur Bahnhof und mache deshalb einen Bogen um die Sache. Dank Ai Weiwei sind wir alle nun gezwungen, zu Experten zeitgenössischer Kunst zu werden. Für Künstler dürfte das eine tolle Nachricht sein. Die Frage ist, was das für den Baumarkt von morgen bedeutet.
„Jazz in Ratzeburg“ macht 2020 da weiter, wo der Verein 2019 aufgehört hat. Nach dem Gastspiel des virtuosen Pianisten Iiro Rantala gibt mit dem Emile Parisien Quartett am Sonnabend, 29. Februar, eine der besten französischen Jazz-Formationen der Gegenwart ihre Visitenkarte in der Stadtkirche St. Petri ab. Die Combo um den Sopransaxophonisten Emile Parisien stellt in Ratzeburg ihre aktuelle Platte „Double Screening“ vor. Konzertbeginn ist um 20 Uhr.
Emile Parisien gilt als ein Jazzvisionär, der sich auf innovative Art und Weise dem Sopransaxophon verschrieben hat. Dabei verknüpft er Elemente der Vergangenheit mit innovativen, zukunftsträchtigen Ideen. Emile Parisien ist ein Musiker, der den Jazz mit Leib und Seele lebt. Authentizität und Ehrlichkeit schwingen in jedem der von ihm erzeugten Töne mit.
Der Musiker liebt die dichte Struktur, aber auch griffige Pointen. Dabei klingen die Kompositionen stets nach ihrem Verfasser, obwohl dieser den Jazz aus einer Vielzahl verschiedener Quellen schöpft. Emilie Parisiens Musik ist ein furioser Mix aus Chanson, zeitgenössischer ernster Musik sowie französischer und nordafrikanischer Folklore.
Das neue, wieder im ursprünglichen Quartettformat aufgenommene Album „Double Screening“ sprüht vor Tempo und neuen Ideen. Dabei geht die Band nie den einfachen Weg. Die von der Combo und Emile Parisien stammenden Kompositionen erzeugen eine mitreißende Energie und besitzen anspruchsvolle Spannungsbögen. Grenzen zwischen Komposition und Improvisation verschwinden.
Neben wichtigen Jazzpreisen in Frankreich erhielt Emile Parisien 2015 in Deutschland für sein Album mit dem Akkordeonisten Vincent Peirani den Echo Jazz 2015 in der Kategorie „Bestes internationales Ensemble“. Für „Double Screening” gab es 2019 den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik.
Karten für das Konzert gibt es bei der Buchhandlung Weber, Herrenstraße 10, in Ratzeburg, erreichbar unter Tel. 0451-3449, sowie bei der Stiftung Herzogtum Lauenburg, Hauptstraße 150, in Mölln, erreichbar unter Tel. 04542-87 000. Vorreservierungen sind per Mail unter mail@jazzinratzeburg.de möglich.
Mit dem Film „Wendebilder – Fünf Fotos und ihre Geschichten“ und einem Beitrag über den „Mecklenburger Aufbruch“ erinnert das Grenzhus Schlagsdorf am Donnerstag, 27. Februar, an den Herbst 1989. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr.
Karoline Kleinerts Dokumentarstreifen
erzählt anhand von fünf Fotos aus dem Herbst 1989 über den Aufbruch aus einem
vormundschaftlichen Staat. Kaum jemand hätte das in der DDR für möglich
gehalten: Menschen demonstrieren für ihre Interessen, bemalen die Mauer im
Osten, Gefangene fordern ihre Rechte ein, Soldaten verweigern den Gehorsam und
Bürger entmilitarisieren die Gesellschaft.
Eine
Geschichte aus der Region erzählen dann Dr. Ulrike Petschulat und Holger
Marquardt. Beide waren an der Gründung und Entwicklung der unabhängigen
Wochenzeitung „Mecklenburger Aufbruch“ beteiligt. Am 31. Dezember 1989 erschien
die erste Ausgabe. Ihre Wiege stand im Carlower Pastorenhaus. Regine Marquardt
(1949-2016) ergriff die Initiative. Zeitzeugen erinnern sich und stellen eine
Sondernummer des Mecklenburger Aufbruchs vor.
Für
die Veranstaltung kooperiert das Grenzhus mit dem Filmbüro Wismar.
„Wendebilder – Fünf Fotos und ihre Geschichten“, 27.
Februar, Grenzhus, Neubauernweg 1, Schlagsdorf, 19 Uhr
Unter dem Motto „Reif für die Insel“ zeigt Dr. Renate Scheiper am Montag, 24. Februar, im Augustinum Mölln Naturaufnahmen aus dem Franz-Josef-Land. Zu sehen gibt es unter anderem Eisbären, Walrosse und Gletscher. Der Bildervortrag beginnt um 17 Uhr.
„Anlandung sofort abbrechen – ein Eisbär ist unterwegs!“ Mit diesen Worten scheiterte Scheipers erster Versuch, vom Expeditions-Kreuzfahrtschiff „Sea Spirit“ aus auf einer Insel des Franz-Josef-Landes an Land zu gehen. Aus vielen kleinen und großen Inseln besteht dieser Archipel, der vor gut hundert Jahren von einer österreichisch-ungarischen Expedition entdeckt und nach dem österreichischen Kaiser benannt wurde. Scheipers Schiff, die MS „Tegetthoff“, wurde damals im Eis eingefroren.
Die Fotografin Dr. Renate Scheiper nimmt das Publikum mit auf die Entdeckung der Tier- und Pflanzenwelt dieser eisigen Region. In stabilen Gummibooten (Zodiacs) geht es an Land, kann gestaunt werden über die bunte Blütenpracht, die aus dem Permafrostboden sprießt. Walrossfamilien fahren auf Eisschollen vorbei, während der Mensch sich klein fühlt wie eine Ameise zwischen gigantischen Eisbergen und Gletschern. Man steht schaudernd am Erdloch, in dem Fridtjof Nansen und Hilmar Johansen 1895/96 überwinterten, nachdem sie den Nordpol zu Fuß nicht erreicht hatten.
„Reif für die Insel“, 24. Februar, Augustinum, Sterleyer Straße 44, Mölln,
17 Uhr
Foto: R. Scheiper
Mit dem Auftritt von „Liebertango“ startet am Sonntag, 23. Februar, die 5. Auflage der „Kleinen Kulturbrise“ im Wintersalon (Ritzerau). Konzertbeginn ist um 17 Uhr.
Hinter dem Namen „Liebertango“ verbergen sich die Musiker Angel Garcia Arnés und Alfons Bock. Das Duo hat sich gesucht und gefunden. Mit geatmetem Rhythmus in den Fingerspitzen und Sensibilität für feinste Klangnuance findet ihr Dialog zwischen Gitarre und Bandoneon neuen Reiz, eigene Note und ungewohnt Schönes. Ihr Tango, leicht, wie hingehaucht, gespielt, träumerischer Dialog zweier Klangvögel, auch mal Schalk hinter allem Kultgehabe, nimmt den „traurigen Gedanken, den man tanzen kann“, mit auf die Federwolke des Lächelns. In Ritzerau präsentiert das Duo unter anderem Stücke ihres neuen Albums „Diálogos“.
Angel García Arnés studierte Klavier und Gitarre in seiner Heimatstadt
Salamanca. Dann Studium der klassischen Gitarre und Diplom an der
Musikhochschule Hamburg. Auf Tourneen mit veschiedenen südamerikanischen
Ensembles folgte er auch während des klassikgeprägten Studiums seiner
ursprünglichen Inspiration, der Musik Lateinamerikas. Als Konzertgitarrist und
Arrageur tätig im Trio Sureste-Tango, dem Orchester Nissinmann, Cuatro por
Tango und im Ensemble Soledad Berrios.
Alfons Bock entwickelte seine Musikalität in der Kindheit an diatonischer
und chromatischer Mundharmonika. Es folgten langjähriger Akkordeonunterricht,
hausmusikalische und öffentliche Spielpraxis u. a. im Wilhelmsburger
Kurorchester. Erst während dieser Zeit kam er mit einem Bandoneon in Berührung.
Im Klang und in instrumenteller Anatomie des Bandoneons fand er die autentische
Ausdrucksmöglichkeit seiner musikalischen Empfindungen. Er studierte bei Klaus
Gutjahr in Berlin und bei Daniel Binelli in Buenos Aires. Zur Zeit unterwegs
mit dem Tango-Quartett Cuatro por Tango und im Ensemble Soledad Berrios.
Anmeldung für die Veranstaltungen unter gwen.faehser@posteo.de oder per Telefon unter der Rufnummer 04543-7026.
[vc_row][vc_column][vc_column_text]New York. Amerikas berühmteste Metropole. Ein Sehnsuchtsort für viele, ein Ort, der der Fantasie Flügel verleiht. Häuser aus Stahl und Glas, die sich in die Höhe schrauben, Menschen verloren in Straßenschluchten, flüchtig vor dem kalten Wind, gelbe Taxen, die im Verkehr feststecken, Broadway, Wall Street. So ist New York. Oder wie ist New York?
Die Antwort auf diese Frage gibt es wahrscheinlich nicht. So wenig wie sich etwas für andere Weltstädte wie etwa London, Berlin oder Paris sagen lässt, so wenig ist dies für New York möglich. Es geht immer auch um eine persönliche Annäherung. Eine überaus interessante kann am Freitag, 21. Februar, im Möllner Stadthauptmannshof entdeckt werden. Eine Multimedia-Show mit dem Bremer Autor Ulrich Balß und den New Yorker Musikern Rachelle Garniez und Mark Ettinger rückt unter dem Titel „Ein Abend in New York. Past and Present“ die Fotos des Leipziger Buchbinders Theodor Trampler in den Fokus.
Trampler zog es 1928 in die Hauptstadt der neuen Welt. Die Not der deutschen Heimat trieb ihn dort hin. Mit Fahrrad und Kamera ausgerüstet zog er durch die Stadt, fotografierte Menschen, Brücken, Straßenzüge. A German in New York. Ein Fremder, für den das Leben dieser Stadt kein Alltag, sondern neu war, der durch den Sucher in dem Gewohnten und den Gewohnheiten Exotisches entdecken konnte. Das New York, das Trampler festhält, ist schwarz-weiß, ist das der Vergangenheit. Die fehlende Farbe liefern die Briefe, die er nach Hause schreibt und aus denen Balß – übrigens ein Nachfahre des Migranten – vorliest.
Der Vergangenheit setzt der Autor Bilder der Gegenwart gegenüber. Abgerundet wird das Event mit Live-Musik von zwei lebenden New Yorkern: Rachelle Garniez (Akkordeon, Gitarre, Gesang) und Mark Ettinger (Gitarre, Banjo, Gesang) singen einige der zahlreichen Lieder aus und über die Metropole. Sie, die für uns in weiter Ferne leben, kommen uns ganz nah und sind damit geradezu perfekte Repräsentanten der von der Stiftung Herzogtum Lauenburg initiierten Veranstaltungsreihe „In weiter Ferne – ganz nah“, zu der „Ein Abend in New York. Past and Present“ gehört.
Tickets gibt es im Netz unter www.stiftung-herzogtum.de, im Empfang der Stiftung Herzogtum Lauenburg oder – falls noch vorhanden – an der Abendkasse.
„Ein Abend in New York. Past and Present“. 21. Februar, Stadthauptmannshof, Hauptstraße 150, Mölln, 19.30 Uhr
Ein KulturSommer am Kanal ohne Kanu-Wander-Theater – das wäre wie Rosinenbrötchen ohne Rosinen…wie Kartoffelsalat ohne Mayonnaise. Na – irgendwie so. Das mit den Vergleichen ist immer so eine Sache, aber wie auch immer: Es stimmt ja. Die gute Nachricht ist: Selbstverständlich steht das Kanu-Wander-Theater auch 2020 auf dem Programm.
Nachdem im vergangenen Jahr Meerjungfrauen, Nixen und
Wassermänner den Schaalsee-Kanal unsicher machten, liegt in dieser Spielzeit
der Geist William Shakespeares über dem Wasser. Michelle Affolter, die erstmals
die Regie führt, inszeniert die Liebeskomödie „Was ihr wollt“. Auch weil sie
„ein großer Shakespeare-Fan ist“, wie sie sagt. Seine Figuren seien „wahnsinnig
ausgearbeitet“ und würden dazu einladen, an ihnen „zu forschen“.
Neben der Begeisterung für die Figurenkonzeption gibt es
für die junge Regisseurin noch einen weiteren Grund, auf dieses Schauspiel
zurückzugreifen: Das Stück lasse sich aufgrund seiner offenen Dramaturgie auch
mal anders zusammenstellen und passe damit gut zum Kanu-Wander-Theater.
Für die Inszenierung kann sie auf die Unterstützung von Regieassistentin Lisa Pottstock und Kostümbildnerin Hanne Lenze-Lauch sowie einem etwa zehnköpfigen Helferteam zählen. Unterstützung, die sie gut gebrauchen kann. Immerhin gilt es rund 100 Darstellerinnen und Darsteller in das Schauspiel einzubinden, darunter neun Hauptfiguren inklusive einer Opernsängerin und eines Opernsängers.
Mit ihrem
Programm „In die weiten Länder“ widmen sich Sängerin Meike Siebert, Schauspielerin
Angela Bertram und Pianistin Anna Bertram am Freitag, 7. Februar, in der Remise
des Möllner Stadthauptmannshofes dem Thema Flucht und Vertreibung. Los geht es
um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Menschen
auf der Flucht wissen nicht, wo sie unterkommen oder ob sie überleben werden. Sie
nehmen Ängste und Gefahren auf sich, um an einen besseren Ort zu gelangen. Der Wille zum
Weiterleben treibt sie trotz Verzweiflung und Einsamkeit voran.
Gelesen werden
unter anderem Texte von Günther Weisenborn, Rajko Djuric, Ilija Juvanovic und
Mascha Kaléko oder Gedichte aus Konzentrationslagern von Unbekannten. Die
Musik, die gespielt wird, stammt aus dem Warschauer Ghetto sowie aus der Feder
renommierter Komponisten wie Dvořák, Schönberg, Bernstein und Szpilman.
Bei
diesem Abend bleibt auch Zeit zum Reden und für die Geschichten Betroffener.
Autos, Eisenbahnen, Flugzeuge und nicht zuletzt der Computer mit seinen Möglichkeiten, Daten auszutauschen, haben dazu geführt, dass die Welt zusammengerückt ist. Im Jahr 2020 gibt es kaum noch einen Winkel, der nicht ausgeleuchtet ist oder einen Ort, von dem aus nicht rund um den Erdball kommuniziert wird.
Was bedeutet das für
die Kunst, die Musik, den Tanz, das Theater, die Sprachen – die Kultur im
Allgemeinen? Wenn alles enger zusammenrückt, wird sich dann auch alles immer
ähnlicher? Wird der Mainstream zum unausweichlichen Weg, den alles und jede(r)
nehmen muss? Kommt es womöglich noch schlimmer, dass die seit Jahrhunderten
dominierende Kultur der Dinge von Bits und Bytes, von Schriftzügen und
Architekturen der Algorithmen abgelöst werden, dass das Analoge auf
Nimmerwiedersehen verschwindet?
Darüber möchte die Stiftung Herzogtum Lauenburg beim
Kulturtalk 2020 diskutieren und hat dafür eine Reihe hochkarätiger und
interessanter Gäste eingeladen. Am Montag, 27. April, nehmen im Möllner Stadthauptmannshof
Christine Gerberding, Redaktionsleiterin des NDR-Kulturjournals, Astrid
Schwabe, Juniorprofessorin für Public History und historisches Lernen
im Sachunterricht (Europa-Universität Flensburg), der Kunsthistoriker Dr. Stefan
Vöhringer sowie der Medienpädagoge Stefan Epping auf dem Podium Platz.
Wie wird das mit der Kultur der Zukunft? Wie war es früher,
wie ist es heute? Da hat jeder der Gesprächsteilnehmer seinen ganz eigenen
Blick drauf.
Gerberding muss als Redaktionsleiterin des
NDR-Kulturjournals Altes und Neues auf dem Zettel haben, sie pendelt also zwangsläufig
zwischen den Welten.
Ins digitale Ausstellungszeitalter aufgebrochen ist
Juniorprofessorin Schwabe. Sie war unter anderem an der Konzeption und
Entwicklung des virtuellen Museums der deutsch-dänischen Grenzregion beteiligt.
Wenn es um traditionelle Kunst und Dingliches geht, dürften dem Kunsthistoriker Dr. Vöhringer Avatare – also in digitale Daten umgewandelte Kunst – nicht reichen. Einen Tizian beispielsweise möchte er materiell in Augenschein nehmen und der Technik des Künstlers auf die Spur kommen. Für ihn wäre es ein herber Verlust, wenn das Analoge verschwände.
Für Epping wiederum ist das Digitale eine Profession. Er
arbeitet als Medienpädagoge in der Stadt- und Schulbücherei Lauenburg und
kümmert sich darum, dass die Menschen problemlos mit Smartphone und Co. durchs
Leben kommen.
Kulturtalk, Reihe „In weiter Ferne – ganz nah!“, 27. April, Stadthauptmannshof, Hauptstraße 150, Mölln, 19.30 Uhr, freier Eintritt
Wer Christian Lopau einen Besuch an seinem Möllner Arbeitsplatz abstatten will, muss ein wenig aufpassen, dass er nicht vom Weg abkommt. Bis zu seinem Schreibtisch sind es ein paar Treppenstufen. Das Archiv der Eulenspiegelstadt, das im Rathaus untergebracht ist, befindet sich direkt unter dem Dach. Hier geht Lopau, der in Hamburg Germanistik sowie Mittlere und Neuere Geschichte studiert und das Studium 1988 mit dem Magister-Titel abgeschlossen hat, seiner Arbeit als Archivar nach. Das Büro: zwei Glaskästen, in dem Lopau und sein Kollege Hans Werner Kuhlmann, Leiter des Fotoarchivs, ihre Büros haben. Dahinter öffnet sich der Blick auf das Archiv. Bevor er mit Kulturportal-Herzogtum.de über seine Arbeit spricht, stellt er noch schnell sein Arbeitsreich vor.
Kulturportal-Herzogtum.de: Herr
Lopau, wozu braucht es eigentlich Archive?
Christian Lopau: Unser
Menschsein beruht auf der Weitergabe aus Gelerntem und Wissen. Diese Weitergabe
ist – erweitert durch die Schrift – zu ganz neuen Dimensionen gekommen. Archive
sind die Gedächtnisse unserer Gesellschaft, einer Stadt, einer Region. Es ist
wichtig, bestimmte Dinge zu dokumentieren und zu bewahren – beispielsweise für
die Stadt die Stadtrechte.
KP: Sieht die Politik das genauso?
Lopau: Es gibt die gesetzliche
Verpflichtung durch das Landesarchivgesetz von 1992. Da bin ich dankbar, dass
wir diese Grundlage für die Kommunen und die öffentliche Hand haben. Mehr
Unterstützung kann man aber immer gebrauchen. In den 80er Jahren war die
Bereitschaft zweifellos größer, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Heute
stehen andere Dinge wie die Digitalisierung mehr im Fokus. Das Bewusstsein für
historische Dinge schwindet.
KP: Woran machen Sie das fest?
Lopau: Es fehlt oft das Interesse,
sich mit Ursachen für bestimmte Entwicklungen zu beschäftigen. Wenn die
Gesellschaft Zusammenhänge aber nicht mehr erkennt, kann das Probleme für die
Demokratie mit sich bringen. Ich sehe da eine wichtige Aufgabe unserer Archive:
Indem sie politisches Handeln sichtbar machen, sind sie auch wichtige
demokratische Institutionen. Gegenwärtig stehen andere Dinge im Vordergrund. Wir
werden oft als eher als Kultureinrichtung wahrgenommen.
KP: Wie steht es denn um die
strukturellen Voraussetzungen, um die Ziele eines modernen Archivwesens zu
erfüllen?
Lopau: Das Möllner Archiv ist ein
Provisorium. Idealerweise bräuchten wir klimatisierte Räume.
Wenn wir im Sommer hohe Temperaturen haben, haben wir keine Chance das zu
regeln. Das geht weiter mit der personellen Ausstattung. Gerade was die Übernahme
digitaler Daten anbelangt. Diese Daten müssen auch bearbeitet werden. Das
werden wir so nicht machen können. Da fehlt das Know-how. Wir denken aktuell
über Verbundlösungen nach. Das Bewusstsein für die Problematik ist in Verwaltung
und Politik noch nicht da. Ein großer Wunsch ist zudem, mehr Platz zu haben.
Aber Platzprobleme haben fast alle Archive.
KP: Sie haben gesagt, dass
Archive häufig als Kultureinrichtung auftreten. In Ihrem Falle muss man diese
Aussage unterstreichen. Sie geben Vorträge, bieten Radtouren und geführte
Joggingtouren an. Mit dem Klischee des Archivars, der sich in abgedunkelten
Räumen um alte verstaubte Akten kümmert, hat das nichts zu tun. Kommt Ihnen diese
Art der Öffentlichkeitsarbeit zugute? Stärkt das die Akzeptanz?
Lopau: Ich denke schon, dass
wahrgenommen wird, dass wir als Institution da sind. Die Leute rufen
beispielsweise an, wenn sie einen Nachlass auflösen oder eigene Dinge
durchgucken. Oder sie schreiben eine Mail. Zudem sind die Vorträge gut besucht.
Das Publikum ist da eher 50 plus. Zum Tag der Archive wenden wir uns in diesem
Jahr besonders an die Schulen. Damit erreichen wir die jüngere Generation, die
sieht, was das überhaupt ist – ein Archiv.
KP: Sie sind Leiter der
Archivgemeinschaft Nordkreis Herzogtum Lauenburg und damit für die Stadtarchive
Mölln und Ratzeburg sowie die Amtsarchive Berkenthin, Breitenfelde,
Lauenburgische Seen und Sandesneben-Nusse zuständig. Wie schaffen Sie es, all
die Veranstaltungen und die Anforderungen, die das Archivwesen an Sie stellt,
unter einen Hut zu bringen?
Lopau: Ich überlege mir schon sehr
genau, was ich machen kann. In einem Ein-Mann-Archiv mit Unterstützung von
ehrenamtlichen Kräften muss man gucken, wie man zurechtkommt. Die Vermittlung
und der Kontakt mit den Menschen sind mir aber eine Herzensangelegenheit und
ich sehe, dass es heutzutage neue Wege braucht, zu zeigen, welche Bedeutung
Geschichte hat.
KP: Ich bleibe beim Thema
Zeitmanagement. Schon die Vorträge, die Sie halten müssen doch unheimlich viele
Arbeitsstunden in Anspruch nehmen.
Lopau: Das ist auch eine Sache der
Erfahrung. Wenn ich ein Thema neu erarbeite, kann ich auf bestimmte Stücke
zurückgreifen. Weil ich diese Arbeit schon so lange mache, ist mir die
grundlegende Literatur vertraut und ich kenne Leute, die zu ganz bestimmten
Themen arbeiten. Dadurch komme ich an die neuesten Aufsätze.
KP: Der Aufwand für die Öffentlichkeitsarbeit
ist eine Sache. Bleibt noch die klassische Arbeit des Archivars…
Lopau: Ich bin sehr strukturiert in
allem, was ich mache. Anders ließe sich das auch nicht umsetzen. Außerdem habe
ich vor Ort Hilfskräfte. Ich gucke, was ich wo veranlassen muss. Man
telefoniert auch mal von einem anderen Archiv aus, um etwas zu klären. Die
Grundidee ist, dass die Hilfskräfte die Aufgabe mit mir absprechen und dass das
dann auch funktioniert – die Sachen nicht liegen bleiben und man sie zu Ende
erfolgt. Oft ist man als Archivmanager gefragt. Am Sonnabend bin ich beispielsweise
zur Bürgermeisterkonferenz in Berkenthin. Da werde ich meine Archivarbeit
präsentieren und den Bürgermeistern anbieten, dass ich mit ihnen die
Aktenschränke durchgucke. Was wird gebraucht? Was ist doppelt vorhanden.
Amtsausschussprotokolle beispielsweise – die muss man nicht in jeder Gemeinde aufheben. Was archivwürdig ist, übernehmen wir. Die
Mitarbeiter müssen die Dokumente dann umheften und ich muss ein Findbuch
erstellen.
KP: Wie sieht es allgemein mit
der Erfassung von Dokumenten aus? Hinken Sie da hinterher?
Lopau: Wo wir ran müssen, sind
aktuelle Bestände aus der Verwaltung. Wenn man einen großen Keller hat, räumt
man die Sachen erstmal in einen großen Keller. Das liegt wohl in der
menschlichen Natur, dass man das erstmal so wegstellt – bis es irgendwann nicht
mehr geht. Die Zeit, das vernünftig zu machen, fehlt mir. Und dann fehlt mir
der Platz. Zehn Regalmeter-Akten könnte ich gar nicht aus dem Keller hochholen.
Hier im Haus habe ich gerade diesen Fall.
KP: Frustriert Sie das?
Lopau: Am 1. April bin ich 30 Jahre
hier. Da guckt man, was hat sich verändert. Es gibt viele Sachen, wo ich sage, das
ist ein Glücksfall, dass ich es so machen konnte. Es gibt aber auch Dinge, die
hätte ich gerne anders.
KP: Zum Einstieg habe ich Sie
nach dem Sinn des Archivwesens gefragt. Zum Schluss richte ich den Blick nach
vorn und komme noch mal auf das Thema Digitalisierung zu sprechen. Wie sieht
das Archiv der Zukunft aus, wenn die digitale Akte zum Standard geworden ist?
Lopau: Auf Archivtagungen bestimmt
das gerade die Diskussion. Ich sehe das prinzipiell sehr positiv, weil es das
Ende der hybriden Überlieferung bedeutet. Was wir jetzt haben, ist das
Nebeneinander von Ablage in Papierform und digitalen Daten, die jeder auf
seinen Server ablegt. Diese Daten, zukünftigen Generationen zugänglich zu
machen, ist schwierig. Eine digitale Akte, die vom Einzelnen Disziplin
erfordert, bietet die Chance, alles in einem Format zusammenzuführen. Da muss
man sich Gedanken machen. Wie sehen die Schnittstellen aus? In welcher Form werden
die Daten gespeichert? Wann sind sie für die Öffentlichkeit zugänglich? Wenn
die Digitalisierung – unter Einbeziehung der Archive – richtig gemacht wird,
ist sie was Gutes. Am Anfang hat man vieles eingeführt, ohne die historische
Dimension in Betracht zu ziehen. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Der
IT-ler versteht unter Archivierung etwas anderes als der Historiker oder
Archivar.
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