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Eine magisch schöne Magelone

Niemand hat es noch gereut, „Die schöne Magelone“ erlebt zu haben. Vom Dichter und Theatermann Ludwig Tieck niedergeschrieben und vom jungen Johannes Brahms als Romanzen vertont, hatte Regisseur Frank Düwel sie zur diesjährigen Oper auf dem Lande im Viehhaus Gut Segrahn erkoren.  Es gelang ihm und seinen Akteuren, mit einem der schönsten Liederzyklen der Romantik ein Paradestück von modernem Musiktheater aufzuführen – und das Publikum von Anfang bis Ende mittenhinein zu ziehen.

Die „Magelone“ war ein echter Wurf: Sie hatte Witz, bewegte tief und war so nur an diesem einen Ort möglich. Getragen von wunderbarer Musik und dem berührenden Spiel  der  Künstler, erlebte das Publikum einen inspirierten Sommerabend mit ganz neuen Spielräumen. Schon der Empfang unter freiem Himmel war Teil der Inszenierung – mit den überraschten Besuchern als Gästen und den Hausherren (Ilsabe und Detlev Werner von Bülow) als Eltern des Hauptdarstellers. Die danach erstmals in ovaler Arena stattfindende Vorstellung magnetisierte. Mit Recht ernteten Sänger Timotheus Maas, Pianist Lémuel Grave und Schauspieler Moritz Grabbe am Ende für ihre großartige Leistung satten Applaus und Bravorufe. Zum anderen schuf Frank Düwel in dieser Inszenierung einen seltenen Freiraum für die Besucher: Er machte sie mehrfach zum Teil des Spiels, hob die Grenze zur Bühne auf und ließ sie ihre eigene Vorstellungskraft ausleben. Man ging selbst mit auf die Reise – und nahm deshalb viel mehr mit nach Hause als ein grandioses Hörerlebnis.

In der Mitte eines Raums zu spielen und zu singen, keine Distanz zum Publikum zu haben – das ist selbst für Profis eine Herausforderung. Sie bewältigten sie mit Bravour und bewundernswerten körperlichen Einsatz. Der Kontakt mit den Menschen im großen Rund riss nie ab, die Nähe bannte sie. Stets fühlte man sich verbunden mit dem jungen Peter von Provence (Timotheus Maas), der vor dem Eintritt ist väterliche Unternehmen und einer arrangierten Heirat ausreißt, um auf Drängen und unter Führung seines Freundes Paul (Moritz Grabbe) vorher die Liebe und das Leben mit all ihren Irrungen und Widerständen kennenzulernen. Romantik und Intensität waren quasi programmiert. Pianist Lémuel Grave wob dazu tief einfühlsam den Klang und erweckte Brahms‘ Gefühlswelten zu vollem Leben – vom zartesten Sehnen bis zum Anbranden der Verzweiflung.

Es brauchte kaum Staffage, um das Publikum glücklich zu machen. Die Musik und ausgewählte Symbole  genügten als Anreize, um die Details der Geschichte individuell zu füllen. Zunächst blind geführt von Paul, steckt Peter voller Fragen ohne Antworten, ist oft auf dem Holzweg. Doch zunehmend öffnet er die Augen, will selbst entscheiden, kämpft sich mit seiner Liebe zu Magelone durch Unsicherheit und Sehnsucht, Lust und Leidenschaft, Trennung und Verzweiflung. Doch Liebe, Standhaftigkeit und Hoffnung tragen ihn – wie seinerzeit Odysseus – schließlich ins Ziel. Zu Magelone, auf festen Boden. Brahms‘ großartige Stimmungsbilder taten das ihre. Timotheus Maas mit seinem so sanften wie mächtig Bariton den Rest. Seine jungenhafte Ausstrahlung ließ die emotionale Reifung desto stärker wirken. Wie er’s nur schaffte, im Sitzen und Liegen, beim schnellen Tanz und mitten im Kampf, hin und hergeworfen in des Meeres stürmischen Wogen so zu singen? Er sang selbst den Schlaf und den Traum – sein „Ruhe, Süßliebchen“, in des Freundes Armen schlummernd, war eine Offenbarung.

Wenn mit wenigem Aufwand große künstlerische Momente entstehen, wenn 100 Papierschiffchen den großen Ozean der Trennung, das Stürme des Schicksals und das rettende Schiff darstellen können, wenn Frank Düwel wieder einmal besondere Möglichkeiten erkannt, gebunden und zum Blühen gebracht hat – dann ist KulturSommer-Zeit.

Text: Eva Albrecht/Foto: Antje Berodt

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Die Abenteuer des jungen Barlach

Mit Hermine ist nicht gut Kirschen essen. Man sieht es an ihrem stampfenden Schritt, in dem Wut und Entschlossenheit liegen. „Sie!“ ruft Hermine (Katja Klein). „Sie!“ Das Publikum, das sich im Garten von Ernst Barlachs Vaterhaus – dem heutigen Ernst Barlach Museum Ratzeburg – versammelt hat, fährt zusammen. Glücklicherweise kann selbst der größte Drachen hin und wieder fremde Hilfe gebrauchen. Nachdem sie einen der Zuschauer dazu verdonnert hat, beim Zurechtrücken der Tische mit anzupacken, lenkt sie ihren Zorn auf jene, die ihn sich tagtäglich verdienen: den jungen Barlach und seine Brüder (Jussi Gärtner, Finbar Böge und Matas Joniskis).

Die wütende Hermine, das ist der Knall der Peitsche, der imaginäre Startschuss, mit dem Frank Düwels Theaterspaziergang „Ernst Barlach… als ich Indianer war“ Fahrt aufnimmt. Vom Garten des Hauses geht es hinein in das Vaterhaus – ins Esszimmer, in die Küche, ins Schlafzimmer. Das Publikum wandelt auf den Pfaden des jungen Barlach. Dabei inszeniert Düwel die Abenteuer des Künstlers als eine Begegnung mit sich selbst. Hier der alte Barlach (Wolfgang Häntsch), der mal rauchend, mal kommentierend, mal aus dem „Lederstrumpf“ zitierend immer im Zentrum des Geschehens steht. Da der junge Barlach, der mit seinen Brüdern durch das Haus schleicht. Bewaffnet mit Speer und Tomahawk, mit Pfeil und Bogen immer gewahr, dass die Welt da draußen eine dunkle Unbekannte ist, die Gefahr und Glück verheißt.

Klatsch. Die Ohrfeige Hermines –  der „hart geräucherten Jungfrau“, wie der alte Barlach sie nennt – hat gesessen. Was lehrt das den jungen Barlach? Wer nicht rechtzeitig wegrennt, den bestraft das Leben? Nein, die Ohrfeige ist ein Windhauch, ein Nichts, gegen die Willkür des Schulrats, der die ganze Klasse grundlos mit Stockschlägen überzieht. Und wenn dieser schmerzhafte Unterricht zu Ende ist, liegen irgendwo draußen die Stadtschüler auf der Lauer, die Gymnasiasten per se nicht ausstehen können. Da ist es hilfreich, ein Indianer zu sein. Zu wissen, wie man seine Spuren verwischt. Der alte Barlach zitiert es aus dem Lederstrumpf*, aber die Wildnis, die da aufscheint, ist auch die Wildnis Ratzeburgs, die unfassbar schön ist – trotz all der Gefahren, die von ihr ausgehen.

Wildes Leben erzeugt wilde Gefühle. Es reißt den jungen Barlach mit sich fort, so wie es die Mohikaner durch die Stromschnellen jagt. Der alte Barlach blickt auf diesen blonden Jungen. So lange ist das her. Das Buch in der Hand, zeigt er sich abgeklärt. Für das Schicksal findet er abstrakte Worte. Die Rede ist vom „Selbstverständlichen des Unwahrscheinlichen“.

Selbstverständlich ist, dass die Arzttasche des Vaters stets bereitliegt und er nachts zu Krankenbesuchen aufbricht. Unwahrscheinlich ist, dass ein Junge an Diphterie stirbt. Doch der junge Barlach muss feststellen, dass es passieren kann.

„Kommt Vater wieder? Immer?“ will der junge Barlach von seinen Brüdern wissen. „Immer“, antworten sie. So wie es stets war, muss es auch künftig sein. Doch das Selbstverständliche ist nicht, dass der Vater immer wiederkommt. Das Selbstverständliche ist der Tod, das Unwahrscheinliche ist lediglich, wann es passiert. Ernst Barlachs Vater stirbt 1884. Es bedeutet auch das jähe Ende seiner Ratzeburger Indianerzeit.

Immerhin ist da schon die Saat für das künstlerische Schaffen gelegt. Er schreibt, er zeichnet, er knetet. Er versucht den Emotionen, die in ihm lodern, eine Form zu geben. Plötzlich sitzen in Düwels Inszenierung drei junge Barlachs im Garten. Versunken in ihre Arbeit sind sie dabei – um es mit den Worten des alten Barlach zu sagen – „es auf den Taugenichts anzulegen“. „Die Lebenswerkstatt“ hat ihn so entwickelt, dass er das, was er in diesem Augenblick tut, künftig „mit der Gläubigkeit einer Pflanze“ fortführen wird.

Von der Lebenswerkstatt profitiert hat auch Hermine. Dank der Barlach-Brüder weiß sie, dass Jungen nur Unfug im Kopf haben und Bediensteten immer auf die Finger gesehen werden muss. Andernfalls machen sie ihren Job nicht oder nicht richtig. So wie die Köksch, die heute zu viel Kuchen gebacken hat, den Hermine jetzt in einem Anfall von Großzügigkeit munter verteilt. Kuchen statt Ohrfeigen – damit lässt es sich als Zuschauer gut leben.

* „Lederstrumpf“ – Romanzyklus aus der Feder des US-Autoren James F. Cooper

Fotos: Antje Berodt

Text: Helge Berlinke

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„Ziel meiner Kunst ist die ständige Wiederkehr“

Antje Ladiges-Specht lebt ein bewegtes Leben. Die 65-Jährige, die seit 1991 in Klein-Zecher zu Hause ist, hat unter anderem in Hamburg ein Künstlerhotel geleitet, ist mehrere Jahre zur See gefahren und hat Afghanistan mit dem Pferd durchquert. Während des KulturSommers am Kanal präsentiert sie eine weitere Facette ihres Lebens, deren Anfänge weit zurückliegen. Ladiges-Specht ist – wie auch immer man es nennen will – eine buddhistische Malerin oder eine malende Buddhistin. Kunst und Buddhismus gehören bei ihr zusammen.

Kulturportal-Herzogtum.de sprach mit ihr über den Glauben, den Weg ihn zu leben und welche Rolle er darüber hinaus in ihrer Kunst spielt.

Kulturportal: Frau Ladiges-Specht – Ihre Kunst ist untrennbar mit dem Buddhismus verbunden. Wie sind Sie zu der Religion gekommen?

Antje Ladiges-Specht: Ich war lange Zeit in Asien. Dort habe ich mich diesem Glauben Schritt für Schritt angenähert. Diese Art, sich zu bewegen und sich zu geben, hat mich angesprochen. Das war so harmonisch. Buddhistin bin ich seit 1971.

KP: Schlug sich das schon in dieser Zeit künstlerisch nieder?

Ladiges-Specht: Kunst und Buddhismus liefen bei mir immer parallel. Damals hatte ich aber mehr mit Mode als mit Bildender Kunst zu tun. Ich entwarf Kleidung. Kleidung, die nicht in Richtung sexy ging, sondern in Richtung Befreiung. Die Betonung lag dabei nicht auf den weiblichen Formen. Ich wollte, dass die Frauen sich wohlfühlen – mit der Kleidung und dem Körper. Der Geist soll sich frei entwickeln können.

KP: Das ist für unsere Breiten alles andere als eine typische Haltung. Dafür und für einen solchen künstlerischen Ausdruck braucht es eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Wie reagierte Ihr Umfeld auf Sie?

Ladiges-Specht: Ich lebte damals in Berlin. Es war die Zeit der großen Demos, denen ich mich als Künstlerin und Aktivistin anschloss. Wie etwa gegen den Paragraf 218.

KP: Der Paragraf, der Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe stellte…

Ladiges-Specht: Genau. In dieser Zeit wurde die Toleranz geprobt. Die Leute haben einen genommen, wie man ist. Alles andere wäre auch im Widerspruch zur Protestbewegung gewesen.

KP: Wenn ich an den Buddhismus denke, fallen mir die Begriffe Erleuchtung und Gelassenheit ein. Warum will uns Menschen beides nicht so recht gelingen?

Ladiges-Specht: Weil man immer wieder aggressiven Einflüssen ausgesetzt ist. Gegen solche Schwingungen muss man sich wappnen. Ich habe letztens eine Mücke umgebracht und bin immer noch erschüttert darüber. Es darf nicht sein, dass es heißt: Wie du mir, so ich dir.

KP: Wie begegnen Sie diesen aggressiven Einflüssen?

Ladiges-Specht: Ich versuche wirklich mit allem bewusst umzugehen – die täglichen Handlungen bewusst zu vollziehen und mir vor Augen zu führen, in was für einem schönen Umfeld ich leben darf.

KP: Ist Ihre Kunst auch Teil dieser täglichen Handlungen?

Ladiges-Specht: Nein, ich muss dafür die Ruhe finden. Der Prozess des Schaffens ist Meditation. Bei der Arbeit brauche ich absolute Stille. Nur dadurch kann ich die Ruhe in die Bilder hineinarbeiten. In den letzten Monaten habe ich leider diese Ruhe nicht gefunden.

KP: Was für Bilder sind das, die Sie malen?

Ladiges-Specht: Es handelt sich um reine Meditationsbilder mit immer wiederkehrenden Themen. Der Weg zu jedem Bild ist lang – flüchtig gesehen, sind kaum Veränderungen zu erkennen. Aber genau das ist die Arbeit im Zen-Buddhismus, ständig eine Wiederkehr zu erarbeiten.

KP: Wie gehen Sie bei der Schaffung Ihrer Werke vor?

Ladiges-Specht: Das kommt immer darauf an, was für einen Untergrund ich haben will. Grundsätzlich verwende ich Goldfarben und mit dem Mörser zermalmtes Goldpapier…

KP: Gold?

Ladiges-Specht: Gold ist die Farbe des Glücks. Die Goldfarben vermische ich mit Naturpigmenten. Auf diese Weise kommen unterschiedliche Goldtöne zustande. Die Farben trage ich schwerpunktmäßig mit dem Pinsel auf.

KP: Das Ergebnis sind Bilder, auf denen zumeist großflächige geometrische Formen dominieren. Wie reagieren Besucher, die Sie während des KulturSommers in Ihrem Atelier besuchen können, auf Ihre Kunst?

Ladiges-Specht: Nur wenige können nichts damit anfangen. Die gehen dann gleich wieder. Bei anderen ist es genau umgekehrt: Die kommen gar nicht wieder aus dem Ausstellungsraum raus.

KP: Wieso, meinen Sie, gehen Menschen sofort wieder?

Ladiges-Specht: Weil sie sich plötzlich so einer Ruhe ausgesetzt sehen und sich mit sich selbst auseinandersetzen müssen.

KP: Und was soll Ihre Kunst – umgekehrt – im besten Fall bewirken?

Ladiges-Specht: Sie soll den Betrachter zur Ruhe kommen lassen. Die Einfachheit der Bilder ist unaufdringlich und führen dadurch zur Ruhe.

KP: Frau Ladiges-Specht, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Antje Ladiges-Specht hat ihr Atelier an der „Alten Schule“, Am Müllerweg 1, in Klein-Zecher. Es ist während des KulturSommers sonnabends und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Besucher können sich dort eine Auswahl ihrer Bilder sowie Holzskulpturen von Peer Oliver Nau ansehen.

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„Der KulturSommer beflügelt die Menschen“

Ilsabe von Bülow hat aus dem ehemaligen Viehhaus auf dem Gutshof Segrahn einen Veranstaltungsort gemacht. Die Kulturmanagerin, die Kunstgeschichte studiert hat, organisiert dort seit 2010 regelmäßig Konzerte, Theateraufführungen und Feste. Darüber hinaus hat das Viehhaus mittlerweile als Bühne für die „Oper auf dem Lande“ seinen festen Platz im Programm des KulturSommers am Kanal. In diesem Jahr wird dort „Die schöne Magelone“ gespielt. Die Aufführung ist am Sonnabend, 7. Juli.

kulturportal-herzogtum.de sprach mit Ilsabe von Bülow über ihre Liebe zur Kunst, die Verwandlung des Viehhauses und den KulturSommer am Kanal.

Kulturportal: Frau von Bülow, wie erklären Sie sich Ihre Leidenschaft für die Kunst?

Ilsabe von Bülow: Ich hatte am Christianeum in Othmarschen gute Kunstlehrer, die uns Schüler sehr gefördert haben. Als ich zwölf war, bin ich zudem einmal die Woche mit der S-Bahn zur Kunstschule der Hamburger Kunsthalle gefahren. Dort sah man sich ein Bild an, zu dem man dann Aufgaben gestellt bekam.

KP: Durften Sie auch zum Pinsel greifen?

Von Bülow: Ja. Ich erinnere mich, wie wir Aufgaben zu Paul Klees „Der goldene Fisch“ gestellt bekamen und dabei in Farben badeten.

KP: Schauen Sie sich Kunst lieber an oder liegt Ihre Priorität beim Machen?

Von Bülow: Beim Machen. Malen hat für mich etwas Meditatives. Klar ist es interessant, sich Fragen zu Kunstwerken zu stellen. Aber das Kreative brauche ich.

KP: Hand aufs Herz: Hegen Sie neben Ihrer Liebe zur Bildenden Kunst noch eine heimliche Liebe? Armin Mueller-Stahl beispielsweise hat mal erzählt, dass er lieber Musiker als Schauspieler geworden wäre.

Von Bülow: Nein. Trotzdem ist mir jede Kunstrichtung wichtig und es ist für mich immer wieder spannend, sich in etwas Neues einzuarbeiten – so wie ich es für mein Buch über den Architekten Joseph Christian Lillie getan habe. Was die Musik anbelangt, muss ich zugeben, dass ich da nicht so erfolgreich war. Das ist ja auch eine Fleißfrage und da war ich nicht fleißig genug.

KP: Frau von Bülow, Kunst zu kreieren, ist eine Sache. Ein altes Viehhaus zu renovieren und daraus einen Veranstaltungsort zu machen noch mal etwas komplett anderes. Wie kam es, dass Sie sich dieser Herausforderung gestellt haben?

Von Bülow: Vor 2010 war das Viehhaus eine Ruine. Da die Milchviehhaltung seit 1979 abgeschafft war, hätte es keinen Sinn gemacht, den Stall zu erhalten. Ein Abriss kam für uns aber nicht in Frage. Damit hätten wir das biedermeierliche Ensemble des Gutshofes zerstört. Hinzu kam, dass unsere Kinder aus dem Haus waren und wir Lust und Zeit hatten, etwas aufzubauen.

KP: Die Zeit für die Umwidmung des Gebäudes war quasi reif.

Von Bülow: Ja. Unser Plan war es, einen Raum zu schaffen, an dem die Gudower und Menschen aus der Region feiern können. Man lebt heute ja vielmehr mit dem Dorf als früher. Das fängt schon damit an, dass unsere Kinder hier zur Grundschule gegangen sind. Das Viehhaus trägt weiter zu dieser Öffnung bei. Hier finden Feuerwehrfeste und Hochzeiten statt.

KP: Bei den Hochzeiten und Festen ist es nicht geblieben. Die „Oper auf dem Lande“ im Rahmen des KulturSommers am Kanal findet immer bei Ihnen statt. Sogar das Schleswig-Holstein Musikfestival (SHMF) hat schon im Viehhaus Station gemacht.

Von Bülow: 2015 war die Pianistin Claire Huangci hier. Im Zeitalter der perfekten Aufnahmen ist so ein Auftritt allerdings ziemlich aufwändig. So musste der Flügel drei Mal gestimmt werden. Im Grunde gehört so eine Veranstaltung eher nach Wotersen. Wir sind hier mehr für das Regionale zuständig.

KP: Für solche Kulturveranstaltungen gibt es ja per se keine Erfolgsgarantie und dass man mit einem Konzert oder einer Theateraufführung einen Gewinn macht, ist eher die Ausnahme als die Regel. Trotzdem trauen Sie sich und stellen jedes Jahr aufs Neue ein Programm auf die Beine. Das braucht schon einen gewissen Mut.

Von Bülow: Ja, den braucht es. Vor den Veranstaltungen habe ich immer ein bisschen Bauchweh. Man fragt sich: Kommen auch genügend Leute?

KP: Zumal die Konkurrenz heute riesig ist.

Von Bülow: Ja, in Hamburg beispielsweise gibt es so viel, dass meine dortigen Bekannten gar nicht mehr hier rauszukommen brauchen. Bei den Veranstaltungen geht es grundsätzlich darum, ein Gleichgewicht zwischen schwächerem und gutem Besuch zu finden. Darüber hinaus gibt es immer einen Herbstmarkt, bei dem ich mir durch den Kaffee- und Kuchenverkauf ein kleines Pölsterchen verschaffe.

KP: Sie haben gerade gesagt, dass Sie mehr für das „Regionale“ sind. Das „Regionale“ schlechthin ist für mich der KulturSommer am Kanal. Wie sehen Sie das Festival und wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass das Viehhaus regelmäßig als Veranstaltungsort dabei ist?

Von Bülow: Mein Mann und ich sind viel unterwegs, um uns die Kunst der Leute in ihren Häusern anzusehen. Auch zu Konzerten gehen wir. In Schwarzenbek haben wir vor ein paar Jahren die Auftritte von acht verschiedenen Chören angehört. Sie alle klangen auf ihre Art schön. Das Festival gibt all diesen Leuten die Chance, sich zu zeigen. Das beflügelt. Der KulturSommer rückt Menschen und Orte in den Mittelpunkt.

KP: Ein Ort – um darauf zurückzukommen – ist das Viehhaus Gutshof Segrahn, wie es offiziell heißt. Wie kam es dazu?

Von Bülow: Ich habe Frank Düwel mal auf einer Bahnfahrt getroffen und ihm erzählt, dass wir das Viehhaus herrichten wollen. Seine Reaktion war: Da machen wir bestimmt mal was zusammen. So ist es dann ja auch gekommen.

KP: In diesem Jahr wird „Die schöne Magelone“ aufgeführt…

Von Bülow: Die Regisseurin war neulich hier. Wir haben über den Flügel und die Verdunkelung gesprochen.

KP: Es gab noch keine Proben vor Ort?

Von Bülow: Bislang noch nicht. Bei den Proben bin ich aber, wenn es irgendwie geht, gerne dabei. Die Entstehung eines Stücks zu verfolgen, ist spannend. Außerdem macht mir der Umgang mit den jungen Leuten einfach Spaß. Ich koche Kaffee und besorge – wenn nötig – auch Requisiten.

KP: Frau von Bülow, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen für „Die schöne Magelone“ viel Spaß und ein volles Haus.

Mehr zum KulturSommer:

https://kulturportal-herzogtum.de/2018/06/25/die-liebe-ist-die-antithese-zur-optimierung/

https://kulturportal-herzogtum.de/2018/06/26/stimmungsvoller-auftakt-nach-taktloser-ouvertuere/

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„Wen(n) der Schein trügt“

Das Stimmungsbarometer dürfte sich in der Alten Schule (Klein Zecher) am Sonnabend, 7. Juli, aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen heiter und wolkig bewegen. Verantwortlich dafür ist der Auftritt von Autorin Christiane Gezeck. Sie liest ab 19 Uhr im Rahmen des KulturSommers am Kanal aus ihrer Kurzgeschichtensammlung „Wen(n) der Schein trügt“.

Bei den Texten der gebürtigen Kielerin steht das Leben der „kleinen“ Leute im Mittelpunkt. Einer ihrer Helden ist Herr Gimpel, ein schüchterner Busfahrer mit Herz. Dann ist da noch Laura, die die Aura ihrer Mitmenschen nicht nur sehen, sondern auch deuten kann. Und dann ist da die Geschichte für den Cocktail-Experten, der sich fragt, wie so ein Getränk gefahrlos gemixt wird.

Die Geschichten geleiten den Zuhörer aus der eigenen Wirklichkeit hinüber in eine andere, die – räumlich gesprochen – direkt um die Ecke liegt.

 

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Südwandsanierung fast abgeschlossen

Zurzeit wird an der Möllner St. Nicolai-Kirche fleißig gesägt, geschraubt und gehämmert: Nach der Nordwand 2016 wird derzeit die Südwand saniert. „Der Dachstuhl und viele Balken sind durch die eindringende Feuchtigkeit schadhaft geworden. Es mussten ganze Stücke ausgetauscht werden“, erklärt Pastor Matthias Lage. Das Wasser war über die Kehlen zwischen den einzelnen Dächern gelaufen und hatte sich im Gewölbe gesammelt. „Eine echte Millimeterarbeit“, ergänzt Architekt Torsten Ewers aus Hamburg. Auch Risse im Mauerwerk mussten repariert werden; ebenso die Seitenschiffdächer inklusive der Kupferregenrinnen. „Das war im Gegensatz zur Nordwand teilweise ganz schön knifflig. Die Handwerker leisten hier eine tolle Arbeit. Teilweise wurde das alte Material zur Reparatur der Regenrinnen und Befestigung wiederverwendet“, lobt Torsten Ewers, für den die Sanierung des Gotteshauses eine besondere Aufgabe ist. Er betreute bereits die Nordwandsanierung der Kirche.

Oberhalb des Kirchengewölbes hatte sich im Laufe der Jahre eine Menge Unrat angesammelt – hier räumten die Männer kräftig auf und bauten einen neuen Wartungsgang, um die Zugängigkeit zu sichern. „Ein bis zweimal im Jahr oder nach einen Sturm wird kontrolliert, ob Schäden am Dach oder der Mauer sind“, erläutert Pastor Lage. Das Ende der Sanierung ist für Ende Juni, Anfang Juli geplant. Die Kosten belaufen sich auf 497.000 Euro. Neben dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg und der Kirchengemeinde Mölln beteiligen sich das Land Schleswig-Holstein mit dem Investitionsprogramm

„Kulturelles Erbe“ (IKE), die Stiftung „KiBa“ und voraussichtlich auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz an den Kosten. Nach Abbau des Gerüstes werden noch Arbeiten an der Elektrik vorgenommen, die Rettungszeichen angebracht und die Leuchten versetzt.

Für Pastor Matthias Lage ist die Sanierung besonders wichtig, denn: „unsere Orgel soll ein gutes Nest haben“. Geplant ist nach der Kirchensanierung die Restaurierung der Scherer-Bünting-Orgel aus dem Jahr 1436. Die Kosten dafür werden auf 1,7 Millionen Euro geschätzt, über 980.000 Euro wurden schon durch Spenden, staatliche Zuwendungen und kirchliche Mittel erreicht. Weitere Infos  unter www.orgelbauverein-moelln.de.

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Besuch von Volker Jänig

Zu einem besonderen Chorkonzert lädt Kantor Thimo Neumann am Sonntag, 25. März, um 18 Uhr in die St. Nicolai-Kirche Mölln ein: Die MarienKantorei  aus Lemgo  singt unter der Leitung von Neumann`s Vorvorgänger Volker Jänig.

Volker Jänig, der in der Zeit von 1998 bis 2010  als Kreiskantor in Mölln wirkte, präsentiert mit seinem Chor Werke aus verschiedenen Jahrhunderten. Zu hören sind Stücke zum Thema Passion. Unter anderem handelt es sich um Werke von Johannes Brahms, Hugo Distler und Marcel Poulenc.

Die MarienKantorei mit etwa 35 Sängerinnen und Sängern ist ein A-Capella-Chor, der wöchentlich probt. Professionelle Stimmbildung begleitet die Proben. Die Kantorei unternimmt rund alle zwei Jahre eine größere Reise. 2015 war das Ensemble in den USA. Das Repertoire des Chores umfasst alle Epochen von der Renaissance über die Bach-Motetten bis hin zu Kompositionen der Moderne.

Foto: Silke Roschewski

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„Musikalische Gedanken über Leben und Tod“

Mit der „Hamburger Ratsmusik“ startet am Sonnabend, 3. März, in der St. Nicolai-Kirche die von Kantor Thimo Neumann erstmals organisierte Konzertreihe „1. Möllner Meisterkonzerte“. Das international bekannte Ensemble spielt unter dem Titel „Deth –Life – Musikalische Gedanken über Leben und Tod“ Kompositionen aus der Zeit der Renaissance und des Barock. Konzertbeginn ist um 18 Uhr.

Die „Hamburger Ratsmusik“, ein Ensemble mit 500-jähriger Geschichte, tritt in verschiedenen Besetzungen auf: In Mölln präsentiert es sich als Duo. Simone Eckert und Ulrich Wedemeier bringen die Viola da Gamba und die Theorbe zum Einsatz. Sie laden zum kreativen Dialog zwischen Tradition und Gegenwart – von Alter Musik und lebendiger Interpretation. Hamburgs kühle Brise sorgt bis heute für allzeit frischen musikalischen Wind.

Die Anfänge der Hamburger Ratsmusik reichen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Nach dem Grundsatz „Gott zu Ehren und Hamburg zur Lust, Ergötzlichkeit und Nutz“ leistete sich die Stadt ein Eliteensemble von acht Ratsmusikern, das vielen fürstlichen Hofkapellen Konkurrenz machen konnte. Seine erste Blüte erreichte das Ensemble im 17. und 18. Jahrhundert unter Musikern wie William Brade, Johann Schop, Georg Philipp Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach. Das Ensemble spielt heute noch in unterschiedlichen Besetzungen im In- und Ausland.

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Angela W. Röders spielt „Rose“

Die Lebensgeschichte einer in der Ukraine geborenen Jüdin erzählt und verkörpert die Schauspielerin Angela W. Röders am Donnerstag, 1. März, in der Maria-Magdalenen-Kirche. Grundlage ihres Auftritts ist das von Martin Sherman geschriebene Ein-Personen-Stück „Rose“. Die Heldin hält Totenwache für ein palästinensisches Mädchen, das von ihrem fanatischen Enkel erschossen worden ist. Die schreckliche Gegenwart ruft Erinnerungen in ihr wach. Sie erzählt von ihrer alten Heimat und von Amerika, ihrer neuen, von der Fluchtodyssee, die sie zwischenzeitlich in das ersehnte Palästina führte, von schmerzlichen Verlusten, Liebe und Entscheidungen, die zum Neuanfang für ein Miteinander ohne Hass und Vergeltung führten. Veranstaltungsbeginn ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei

Der Hamburger Schauspielerin Angela W. Röders liegt das Solostück ob seiner Aussagekraft und seiner Botschaft sehr am Herzen. Als sie gefragt wurde, ob sie es sich vorstellen könne, „Rose“ in der besonderen Atmosphäre einer alten Dorfkirche aufzuführen, sagte sie sofort zu. Ein Mustiner Freundeskreis hatte diese Idee aufgeworfen und den Kontakt zum Verein Miteinander leben gesucht, ob dieser im Rahmen des Projektes „Zugänge schaffen“ eine solche Aufführung unterstützen könnte. „Wir sind sehr dankbar über diese Initiative, liegt sie doch genau im Fokus unserer Arbeitsgruppe „Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft“ und ihres präventiven Konzeptes „Begegnungen und Austausch mit jüdischem Leben schaffen. Von daher unterstützen wir sehr gern und freuen uns auch auf ein ungewöhnliches Theaterereignis an einem ungewöhnlichen Ort“, so Mark Sauer, Vorsitzender des Vereins Miteinander leben.

Der Verein Miteinander leben setzt sich seit 2016 in dem Modellprojekt „Zugänge schaffen“ dafür ein, jüdisches Leben und jüdische Themen möglichst niederschwellig den Menschen nahezubringen.

 

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„Till konnte die Dummheit der kleinen Leute nicht ertragen“

Manfred Sahm, Mitglied des Niederdeutsch-Beirats der Stiftung Herzogtum Lauenburg, hat die Abenteuer des Till Eulenspiegel ins heutige Plattdeutsch übersetzt. Der 74-Jährige lebt mit seiner Frau in Mölln. Vor diesem Hintergrund erscheint seine literarische Arbeit über den berühmten Volksnarren irgendwie logisch. Ist sie aber nicht: Sahm, pensionierter Kriminalbeamter, hat die meiste Zeit seines Lebens in anderen Städten verbracht. Geboren und aufgewachsen ist er in Kiel. Gelebt hat er zudem in Eckernförde, Ratzeburg, Lübeck und Hamburg. Mölln ist erst seit fünf Jahren seine Heimat.

Das Kulturportal sprach mit ihm über die Entstehung des Buches, über das Leben des Till Eulenspiegel, der um 1300 sein Unwesen nicht nur in Mölln und Umgebung getrieben haben soll, und den Spaß, andere zu veräppeln.

Kulturportal: Herr Sahm, können Sie sich daran erinnern, wann Sie das erste Mal von Till Eulenspiegel gehört haben?

Manfred Sahm: Da war ich noch ein Kind. Meine Mutter und ich waren damals zu Besuch in Mölln. Ich weiß noch, dass wir uns den Brunnen auf dem Marktplatz angesehen haben. Das nächste Mal bin ich ihm dann begegnet, als meine Frau und ich nach Mölln gezogen sind. Ein Kollege hat mir erzählt, dass er Mitglied in der Eulenspiegel-Gilde ist und mich gefragt, ob ich ihn nicht mal zu einem Treffen begleiten wolle. Ich bejahte und bin dann dabeigeblieben. So kam es, dass ich mich irgendwann gefragt habe: Was steckt dahinter?

KP: Und haben Sie eine Antwort?

Sahm: Wenn man sich mit Till beschäftigt, stößt man automatisch auf die Frage: Hat er gelebt?

KP: Hat er?

Sahm: Ich habe mir diverse Doktorarbeiten besorgt und bin zu dem Schluss gekommen: Ja, er hat gelebt. Davon sind auch die meisten Wissenschaftler überzeugt. Ich auch, denn wenn er nicht gelebt hätte, hätte er ja auch nicht in Mölln beerdigt werden können. Eine ganz andere Frage ist, ob er die 96 Abenteuer, die ihm zugeschrieben werden, alle erlebt hat: Nein, hat er nicht. Der Autor hatte von anderen Schreibern – wie es damals üblich war – Geschichten übernommen.

KP: Wie kommt es überhaupt, dass wir diese Abenteuer heute noch kennen?

Sahm: Sie wurden aufgeschrieben. Der erste, der dies tat, war Hermann Bote. Bote, Zollschreiber von Beruf, konnte kein Latein und verfasste die Geschichten in niedersächsischer Sprache – also in Plattdeutsch. Dieser Text ist leider verloren gegangen. Er diente aber offensichtlich als Vorlage für die Fassung des Franziskanermönchs Dr. Thomas Murner.

KP: Was sagen uns die Geschichten heute über Till als Person?

Sahm: Dass er ein Mann niederer Herkunft war. Er hat mit Mutter und Vater auf dem Lande gelebt. Die Mutter wollte, dass er etwas lernt. Till hatte anderes im Sinn: Schon als Knabe war er zu Scherzen aufgelegt. Im Dorf hat er die Kinder veräppelt, hinter dem Rücken des Vaters seinen Mors – Hintern – gezeigt. „Alle sagen, dass ich ein Schelm bin“, stellt er seinem Vater gegenüber fest, so als wundere er sich selbst darüber.

KP: Wie würden Sie Till von seiner Persönlichkeit her charakterisieren?

Sahm: Er war ein Individuum, das sich nicht angepasst hat. Sympathisch war er sicherlich nicht. Dafür hat er viel zu viele Leute geärgert.

KP: Konnte so einer in der mittelalterlichen Ständegesellschaft überhaupt überleben? Mit seinen Streichen hat er ja wohl kein Geld verdient?

Sahm: Er hat sich die Lebensumstände damals zu Nutze gemacht und ist wie ein wandernder Geselle über Land gezogen. Er hat einfach behauptet, dass er Kürschner, Stubenheizer oder Tischler ist. Sogar als Turmbläser hat er sich verdingt oder als Arzt und Professor ausgegeben. Deshalb dürfte er auch nicht in Narrenkleidung umhergezogen sein. Darin hätte er die Rolle des Handwerkers oder Künstlers schlecht spielen können.

KP: Waren wenigstens die Auftraggeber vor seinen Scherzen sicher?

Sahm: Nein, auch sie hat er genarrt. Gerne hat er sie dafür beim Wort genommen. Einmal hat ein Schneider zu ihm gesagt: Mach aus diesem Stoff einen Wolf – also eine Jacke. Woraufhin Till den Stoff zerschnitten hat.

KP: Das klingt, als wäre niemand vor ihm sicher gewesen?

Sahm: Till war ein Volksnarr. Er hat Schabernack mit Hochstehenden, Pfaffen und Handwerksmeistern getrieben. Er hat Herbergswirte hochgenommen. Kleine Leute hat er geärgert, weil er ihre grenzenlose Dummheit nicht ertragen konnte.

KP: Herr Sahm, Hand aufs Herz – jetzt, wo ihr plattdeutscher Till Eulenspiegel hier vor uns liegt: Würden Sie auch gerne gelegentlich die Rolle des Narren spielen?

Sahm: Früher habe ich schon Scherze mit anderen getrieben. Allerdings so, dass niemand Schaden davon hat. Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem man solche Streiche nicht mehr macht.

KP: Dafür bringen Sie nun den niederdeutschen Lesern, Tills „Spijööken un Aventüern“ nahe. Wie kam es überhaupt, dass sie sich diesem Projekt verschrieben haben?

Sahm: Nachdem ich von Botes Fassung auf „Neddersässisch“ gelesen hatte, fand ich, das wäre doch was: Den Eulenspiegel komplett ins Niederdeutsch von heute zu übertragen.

KP: Botes Fassung ist ja – wie Sie sagten – verloren gegangen. Auf welcher Version basiert Ihre Übersetzung?

Sahm: Ich habe mich an der Reclam-Übersetzung von Murners mittelhochdeutschem Till gehalten. Ich habe mich bemüht, möglichst textgetreu zu sein. Allerdings handelt es sich nicht um eine reine Wort-für-Wort-Übersetzung. Hier und da musste ich auch mal etwas umschreiben.

KP: Ich würde sagen, es hat sich gelohnt. Hic fuit, Herr Sahm. Vielen Dank für das Gespräch.