Mit Iiro Rantala macht einer der großen Künstler der internationalen Jazzszene in Ratzeburg Station. Am Sonnabend, 16. November, präsentiert er in der Stadtkirche St. Petri sein aktuelles Soloprogramm „My Finnish Calendar“. Konzertbeginn ist um 20 Uhr.
Iiro Rantala ist ein musikalischer „Tausendjazza“, dem Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart ebenso geläufig sind wie die Musik von John Lennon oder die melancholischen Melodien der skandinavischen Volksmusik. Als „ein Naturereignis an den Tasten“ wurde er kürzlich von einem Kritiker („Jazzthing“) bezeichnet.
Mit seinem neuen Solo-Programm „My Finnish Calendar“
präsentiert der finnische Pianist in Ratzeburg zwölf Kompositionen. Für jeden kalendarischen
Monat stellt er ein eigenes Stück vor. Erstmals werden seine Kompositionen mit Videos
untermalt.
„My Finnish Calendar“ ist nicht nur eine Hommage an
sein Heimatland, sondern auch eine mit viel Humor durchzogene psychologische „Studie“:
Rantala zeigt auf, welchen Einfluss die einzelnen Monate mit ihrem Licht und
ihren Stimmungen auf die Menschen haben können und wie die Menschen in den
unterschiedlichen Jahreszeiten reagieren.
Da ist – wie immer bei Rantala – sehr viel
Augenzwinkern dabei.
Veranstalter sind der Jazzverein Ratzeburg und die Stiftung
Herzogtum Lauenburg.
Wer Rantala kennt, der rennt – um Eintrittskarten. Wer
ihn noch nicht kennt, sollte erst recht rennen, Karten gibt es im Vorverkauf
bei der Ratzeburg Touristinfo sowie im Rathaus Ratzeburg, erreichbar unter Tel.
04541-8000886.
Rainer Eppelmann ist ein Aufrüttler, ein Wachmacher, ein Mahner. Einer, der weiß, wovon er redet, wenn er das Wort Diktatur in den Mund nimmt. Und er ist 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch ein Revolutionär, der von der Revolution partout nicht lassen kann und will. Jene Revolution, die das Ende des SED-Staates bedeutete und zu einem geeinten demokratischen Deutschland führte, treibt ihn heute noch an. Und wer ihm und seiner glänzenden Rhetorik im vollbesetzten Herrenhaus des Stadthauptmannshofes folgt – Eppelmann ist ein Meister der Pausen und Pointen –, dem wird schnell klar: Davon bräuchte es mehr, um Hetzern vom Schlage eines Björn Höcke Paroli zu bieten.
Eppelmann, der auf Einladung der Stiftung Herzogtum Lauenburg nach Mölln gekommen ist, bringt die Gegenwart selbst beim Einstieg in den Vortrag ins Spiel: Er vermisst den Einsatz für die Demokratie im Land. Mehr als zwei Drittel im Land würden sagen, dass es ihnen gut geht. Diese zwei Drittel würden schweigen, wenn andere über die Straße gehen und sagen „alles ist zum Kotzen“, moniert er. „Wir schweigen dazu. Wie lange noch? Bis sie unsere Demokratie zerredet haben?“
Dem kritischen Einstieg folgt ein knackiger historischer Abriss – Weltkrieg, Teilung, der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, der Mauerbau –, ehe er zur dramatischen Schilderung der Ereignisse Ende der 80er Jahre kommt. Eppelmann betont, wie wichtig es war, dass die Opposition in der DDR gewaltfrei blieb, dass gewissen Spielregeln befolgt wurden („Wir haben nur nach Feierabend demonstriert.“). Und er vergisst nicht die Portion Glück zu benennen, die es manchmal braucht, um seine Ziele zu erreichen. Als am 9. Oktober 1989 in Leipzig 70.000 Menschen demonstrierten, waren die Sicherheitsorgane auf diese große Zahl nicht eingestellt. Sie trauten sich nicht, einzugreifen. An diesem Abend habe die Angst die Seiten gewechselt, so Eppelmann.
Honecker selbst hatte kurz zuvor die Order ausgegeben, Demonstrationen künftig zu unterbinden. Es kam anders. Es kam das Ende der DDR. „Hoffnung“, zitiert Eppelmann zum Ende seines Vortrags ein zweites Mal den tschechischen Schriftsteller Ex-Präsidenten Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht!“ Es ist ein indirekter Appell: an sich selbst und an alle, die es mit der Demokratie halten, für sie einzustehen – was immer auch geschieht.
Unter dem Motto „Wir sind nicht still“ wird am Reformationstag (31. Oktober) in Ratzeburg demonstriert. Die Kundgebung gegen um sich greifende Menschenfeindlichkeit startet um 11.30 Uhr am Ratzeburger Rathaus.
Parallel
dazu sind diverse Kunstaktionen geplant. Unter anderem wurden für ein politisches
Bühnenprogramm Ideen gesammelt und umgesetzt, um der Vielfältigkeit der Themen
und Meinungen Ausdruck zu verleihen. So startet unter dem Motto „Wir sind nicht
still“ eine Plakataktion, auf denen einzelne Menschen den Mut fassen, sich und
ihre Meinung öffentlich zu präsentieren. Anstoß dazu gab der Verein Miteinander
leben, der seit dem Sommer Menschen anspricht und einlädt, auf diese einfache
Weise Gesicht und Haltung zu zeigen und perspektivisch daraus auch eine
Dauerausstellung entwickeln möchte.
Auch
Künstler und Kulturpreisträger Ebrahim Sharghi bereitet eine Kunstaktion zu den
zentralen Themen der Kundgebung vor. Er möchte symbolisch die Last zeigen, die
sich durch die verschiedenen Phänomene der Menschenfeindlichkeit auf die
Gesellschaft legt und dabei Ideen sammeln, wie sie überwunden werden kann. Mit
„hoher Kunst“ werden junge Stelzenläufer den Demonstrationszug begleiten. Sie
wollen nach einem Workshop im Ratzeburger Jugendzentrum „Gleis21“ erstmalig ihr
Können zeigen. Auch Kinder werden künstlerisch eingebunden und können mit
Malkreide den Ratzeburger Marktplatz mit ihren Träumen von einer Welt des
Friedens verschönern. Gesine Biller von der integrativen Kunstwerkstatt der
Ratzeburger Volkshochschule wird dazu einladen und animieren.
Musikalisch
wird die Kundgebung begleitet vom neugegründeten Chorprojekt „POLITICALied“,
das insbesondere den Demonstrationszug zum Mitsingen animieren möchte. Ebenso
werden am Streckenverlauf junge Trommler vom „DrumSound-Projekt“ des
Diakonischen Werkes erste Rhythmusakzente setzen und so auf den großen
„DrumCircle“ von Helga Reihl vorbereiten, der bereits auf dem Marktplatz
wartet. Unter behutsamer Anleitung werden dort mit zahllosen Schlaginstrumenten
Rhythmen angestimmt, mal laut, mal leise und immer wieder wechselnd, so dass
sich ganz viele einbringen und beteiligen können. Musiker Lukas Kowalski wird
die Kundgebung schließlich mit einigen Liedbeiträgen abrunden.
„Die
Kunstaktionen spielen in unserem Konzept der Kundgebung eine ganz wichtige
Rolle. Sie animieren Menschen, aktiv zu werden, mit zumachen, sich
einzubringen, auch in den Dialog miteinander zu treten und so ganz ohne Scheu,
ihren Meinungen Ausdruck zu verleihen“, sagt Mark Sauer von der Stadt
Ratzeburg, erfreut über die Vielfalt von künstlerischen Ideen mit politischer
Aussagekraft.
„Wir
sind nicht still“, Demo & Kunstaktionen, 31. Oktober, Rathaus, Unter den Linden
1, Ratzeburg, 11.30 Uhr
Kunst- und stilvoll geht es am Sonnabend, 19. Oktober, und Sonntag, 20. Oktober, im Viehhaus des ehemaligen Gutshofes Segrahn in die dunkle Jahreszeit. Ilsabe von Bülow lädt dort zur 7. Auflage des Herbstmarktes ein. Jeweils von 10 bis 17 Uhr haben Besucherinnen und Besucher Gelegenheit, zu bummeln und sich die Arbeiten regionaler und überregionaler Kunsthandwerker und Produzenten anzusehen.
Neben Mode, Schmuck
und handbemaltem Porzellan dürfen sich die Gäste auf ein kulinarisches
Verwöhnprogramm freuen. Auf den Tisch kommen Wildspezialitäten aus den von
Bülow´schen Forsten sowie Gebäck und Marmeladen. Außerdem gibt es frischen
Kuchen aus der Gutsküche.
Herbstmarkt, 19. &. 20. Oktober,Viehhaus Gutshof Segrahn, Gut Segrahn, Gudow, OT Segrahn, Hofweg 10, 10 bis 17 Uhr
Mit einem Ballon wollte Jan Hübler Ende der 80er Jahre den Eisernen Vorhang überwinden. Über seinen Fluchtversuch aus der ehemaligen DDR berichtet er am Donnerstag, 17. Oktober, im Augustinum Mölln. Veranstaltungsbeginn ist um 19.30 Uhr.
Hübler und
seine Ehefrau waren die letzten, die sich an solch einen Fluchtversuch wagten.
Als sie sich an die Arbeit machten, ahnten sie nicht, dass der SED-Staat bald Geschichte
sein würde.
Was bedeutete
es für ein junges Ehepaar, kurz vor der politischen Wende 1989 in zwei Jahren
in einer kleinen Wohnung in Dresden 480 Bettlaken zu einem Heißluftballon
zusammenzunähen, um in den Westen zu fliehen?
Den
dramatischen Verlauf der Bauphase mit allen Ängsten und Gefahren, Problemen und
Emotionen schildert Reisejournalist Hübler in einem packenden autobiografischen
Bericht. In seinen Vortrag lässt Hübler alte Fotos und Zitate von Zeitgenossen
einfließen. Hinzukommt die Einspielung von DDR-Rockmusik.
Vortrag
Jan Hübler, 17. Oktober, Augustinum, Sterleyer Straße 44, Mölln, 19.30 Uhr
Wachtürme und kilometerlange, mit Stacheldraht versehene Zäune, an denen Soldaten entlang patrouillieren – so sah er aus, der eiserne Vorhang, der die Bundesrepublik einst von einem Staat Namens DDR trennte. Im Hier und Jetzt kann man sich das kaum noch vorstellen. Auch Lothar Obst nicht. 30 Jahre nach dem Mauerfall sind die finsteren Utensilien des DDR-Grenzregimes verschwunden. „Die Grenze“, sagt Obst, „existiert für mich nicht mehr.“ Heute heißt der einstige Todesstreifen „Grünes Band“ und ist Lebensraum für zahllose Tiere und Pflanzen.
Dass über
die Grenze mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes Gras gewachsen ist, damit
kann Obst gut leben. Dass dies nicht mit der politischen Erinnerung geschieht,
daran arbeitet er. Zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung hat er mit der Stiftung
Herzogtum Lauenburg am Sonnabend, 26. Oktober, eine Busfahrt zu Fluchtorten an
der ehemaligen Grenze organisiert. „Wir treffen uns vor allem mit Betroffenen
und Zeitzeugen aus dem Osten“, erklärt Obst. „Deren Sichtweise wollen wir
zeigen.“
Ein Halt
liegt an der B 208 in Mustin. Dort gelang am 28. Januar 1982 Hans Brandt –
schwerverletzt – die Flucht. Der 37-Jährige hatte sich mit Hilfe eines
Straßenschildes unter dem Grenzsignalzaun durchgezwängt und dann beim
Überwinden eines weiteren die Selbstschussanlagen ausgelöst. Er überlebte, weil
ihn ein Bundesgrenzschutz-Suchtrupp fand und ins DRK Krankenhaus Ratzeburg
brachte. Was dann weiter geschah, verrät auf der Exkursion unter anderem der ehemalige
Verwaltungschef des Krankenhauses.
An einen
weiteren Fluchtversuch im Kreis nach 1982 kann sich Obst, der seit 1981 in der
Region zu Hause ist, nicht erinnern. Die Grenze war aber auch so stets präsent.
„Als Bürger der BRD hat sie uns ausgesperrt.“ Gleichwohl waren Reisen in die
DDR möglich. Obst selbst erinnert sich an eine Tour nach Wismar und
Ludwigslust, die er damals mit dem Heimat- und Geschichtsverein unternahm. Der bürokratische
Aufwand dafür sei ziemlich groß gewesen. Man habe vorab die Personalien angeben
und noch vor der Einreise Zählkarten ausfüllen müssen. Vor Ort habe man sich
dann nicht frei bewegen können. „Wir hatten immer einen Reisebegleiter dabei.“
Auch sozioökomisch
hatte die Grenze folgen: Abgeschnitten vom ehemaligen Osten eines deutschen
Gesamtstaates war der Kreis Herzogtum Lauenburg Zonenrandgebiet und wurde
finanziell gesondert gefördert. Eine Maßnahme, die bei der Ansiedlung von
Unternehmen, beim Sportplatzbau und bei der Gestaltung des kulturellen Lebens
helfen sollte. Aber um westdeutsche Belange soll es bei der Bustour entlang der
Grenze nicht gehen. Vielmehr ist es mit Blick auf den 30. Jahrestag zum
Mauerfall sein Ansinnen die Menschen zu würdigen, die das DDR-Regime zum
Einsturz gebracht haben. „Ich möchte keine Jubelfeier aus westdeutscher Sicht“,
so Obst.
Exkursion „Fluchtorte an der Grenze zum Kreis Herzogtum Lauenburg“, 26. Oktober, Abfahrt in Mölln vom Quellenhof (8 Uhr) und vom ZOB (8.15 Uhr), Abfahrt in Ratzeburg vom Marktplatz (8.45 Uhr). Anmeldungen unter Tel. 04542/87000 oder info@stiftung-herzogtum.de. Begleitet wird die Tour von der Wissenschaftlerin Dr. Sandra Pingel-Schliemann (Beckendorf). Getränke und Imbiss gibt es am Bus. Die Rückkehr ist gegen 17 Uhr in Mölln, anschließend in Ratzeburg geplant.
Auf einer Strecke von 86 km trennte zwischen 1949 und 1989 die innerdeutsche Demarkationslinie den Kreis Herzogtum Lauenburg vom benachbarten Mecklenburg. Wie viele Ostdeutsche wagten in diesem Abschnitt die Flucht? Wie war diese Grenze gesichert? Diesen und weiteren Fragen geht die Politikwissenschaftlerin Dr. Sandra Pingel-Schliemann am Freitag, 25. Oktober, im Kreismuseum Ratzeburg nach. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Der Vortrag ist eine gute Vorbereitung auf die am 26. Oktober folgende Bus-Exkursion zu Fluchtorten in der Region.
Für
Sicherung des hochgerüsteten Todesstreifens waren die Grenzregimenter 6 in Schönberg
und 8 in Grabow zuständig. Trotz Wachtürmen, Minen, Streckmetallzaun und
Selbstschussanlagen kam es immer wieder zu Fluchtversuchen; teils erfolgreich,
teils mit tödlichem Ausgang.
Viele
Fälle blieben im Dunkeln, vom Bundesgrenzschutz (BGS) im Westen nicht bemerkt
und im Osten von der Staatssicherheit streng geheim gehalten. Erst die
Auswertung der Akten der früheren Stasi-Bezirksverwaltung Schwerin brachte Licht
in dieses dunkle Kapitel. Die Referentin hat dazu 2014 die erste wissenschaftliche
Abhandlung zu Fluchten und Opfern an der Grenze zwischen Ostsee und Elbe
vorgelegt. Die Busfahrt am folgenden Tag ist als Ergänzung gedacht.
Der
Vortrag gehört zur von der Stiftung Herzogtum Lauenburg veranstalteten Reihe „30
Jahre Grenzöffnung“.
„Fluchten und Opfer an der Grenze zum Kreis“, Vortrag, Reihe „30 Jahre Grenzöffnung“, 25. Oktober, Rokokosaal, Kreismuseum, Domhof 12, Ratzeburg, 19.30 Uhr, freier Eintritt
„Menschen & Rechte sind unteilbar“ – unter dieser Überschrift steht der bundesweite Tag des Flüchtlings am Freitag, 27. September. Daran beteiligt ist auch die Evangelisch-Lutherische Kirche. In der Ratzeburger St. Petri-Kirche steht beispielsweise am Freitag um 18 Uhr eine Andacht auf dem Programm. Um 19 Uhr startet dann im Lydia-Café, Am Markt 7, eine Gesprächsrund. Zudem ist in St. Petri eine von Pro Asyl gestaltete Plakatausstellung zu sehen.
Das Motto „Menschen &
Rechte sind unteilbar“ verleihe dem Tenor der interkulturellen Wochen ‚Zusammen
leben-zusammenwachsen!‘ „pointiert Nachdruck“, sagt Elisabeth Hartmann-Runge,
Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. Das Motto stellt zudem
einen Bezug zum Grundgesetz her, das in diesem Jahr 70. Jahre alt wird.
Beteiligt an den
Veranstaltungen sind Teamer aus der Evangelischen Jugend in St. Petri (Ratzeburg),
Jugenddiakon Mark Heming sowie das Team des Veranstaltungscafés Lydia unter der
Leitung von Christine Nolze. Die Leitung hat die Flüchtlingsbeauftragte des Evangelisch-Lutherischen
Kirchenkreises Lübeck Lauenburg, Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge.
Wer Klaus Irmscher mal beim Musizieren erlebt hat, weiß: Der Mann lässt sich nicht so leicht in ein Genre fassen. Der Liedermacher ist ein Mann mit Humor, ein musikalischer Tausendsassa, der stets bereit ist, Neuland zu betreten. Und er brennt für das, was er da macht, wie sich im Interview mit Kulturportal-Herzogum.de zeigt. Vermutlich kann er gar nicht anders. Mehrfach während des Gesprächs springt er auf, um zur Gitarre zu greifen und die Statements über sein Schaffen musikalisch zu untermauern.
Kulturportal-Herzogtum.de: Wie
musikalisch war der kleine Klaus Irmscher?
Klaus Irmscher: Der
kleine Klaus bekam von der Tochter unserer Vermieterin Schlager beigebracht.
Sie war elf, ich zwei. Ich soll die Lieder auswendig gekonnt haben und habe
gern vor mich hingesungen. Meine Mutter wohnte mit mir damals zur Untermiete bei
einer Familie in Hamburg-Bahrenfeld. Mutter war
schon während des Krieges von Sachsen nach Hamburg gekommen und hatte dort eine
Lehre als Krankenschwester gemacht.
KP: Die Irmschers sind also keine
Möllner Familie?
Irmscher:Nein.
Mein Großvater hatte in Sachsen eine Nähmaschinenfabrik. Nachdem er in der DDR
enteignet worden war, gingen er und meine Großmutter in den Westen – nach
Hamburg, wo ja meine Mutter schon war. Mit einem Meister aus seinem sächischen
Betrieb baute er in Mölln eine Neuauflage seiner Fabrik auf. Ich kam im Juli 52
mit knapp drei Jahren hierher.
KP: Den späteren Liedermacher
lese ich da noch nicht raus…
Irmscher: Ich hätte den Betrieb
übernehmen sollen, aber das ist es nicht geworden. Mein Großvater konnte mir
kein unternehmerisches Denken vermitteln. Durch ihn hatte ich aber mit Sprachen
zu tun. Schon früh hat er versucht mir Spanisch beizubringen. Als Dreikäsehoch
soll ich besser auf Spanisch als auf Deutsch von 1 bis 20 gezählt haben.
Großvater sprach Französisch, Englisch und Spanisch.
KP: Der Weg von den Sprachen, die
man spricht, zum Texten und zum Spiel mit Wörtern ist aber noch mal etwas ganz
anderes…
Irmscher: Den Drang zum Dichten
hatte ich schon immer. Schon in der Realschule habe ich mir irgendwelchen
Blödsinn ausgedacht.
KP: Und die Musik – Sie schreiben
ja nicht nur die Texte, sie komponieren ja auch die Musik. Wie sind Sie dazu
gekommen?
Irmscher: Das ging mit 13 los.
Ich habe bei den Pfadfindern Gitarre gelernt. In der Pfadfinderbeatband war ich
Rhythmus-Gitarrist.
KP: Besaßen Sie ein eigenes
Instrument? So eine Gitarre ist ja nicht ganz billig…
Irmscher: Zuerst habe ich mir
eine Gruppengitarre geliehen. Als meine Mutter sah, dass das ernsthaft war, hat
sie mir 40 Mark gegeben. 20 Mark habe ich mit Ferienarbeit verdient. Mit dem
Geld habe ich mir die Gitarre vom großen Bruder eines Klassenkameraden gekauft.
KP: Sie wurden also zu Hause
unterstützt?
Irmscher: Ja. Meine Mutter hat
mir signalisiert, dass sie das gut findet. Sie war Fan von Georg Kreisler*,
mochte Kabarett und hörte sich gerne satirische Sendungen im NDR an. Die
Beatles fand sie gut – aber das hat sie mir erst später gesagt.
KP: Viele Sprachen, Freude am
Dichten und eine humorvolle Mutter – ein bisschen was wurde dem Liedermacher
denn doch in die Wiege gelegt…
Irmscher: In unserer Familie
hatten wir den Hang zur Komik. Es wurde gerne gelacht. Aber aktiv Musik gemacht
hat keiner.
KP: Wie ging es weiter mit der
musikalischen Karriere?
Irmscher: Als der Bandleader der
Pfadfinderband zum Bund musste, war das das Ende der Band. Von ´65 bis ´68 habe
ich dann Sologitarre in einer Ratzeburger Band gespielt.
KP: Erinnern Sie sich noch an die
Musik?
Irmscher: Das war so die Rock-
und Popmusik, die damals „in“ war –Beatles, Rolling Stones, Searchers. Eigene
Stücke konnte ich kaum einbringen. Wir spielten zum Tanz auf, und das Publikum
wollte die angesagten Hits hören. Meine eigenen Songs waren musikalisch im
damaligen Stil. Das erste Lied, das ich schrieb, klang ein bisschen nach „Let’s
Dance“ von Chris Montez. Textlich waren das Fingerübungen, teilweise mit
Tagebuch-Charakter – überwiegend auf Englisch. Auf Deutsch schrieb ich erst in
München.
KP: Sie gingen nach München?
Irmscher: 1970 war ich dort – um
Wirtschaftsingenieur zu studieren. Die Fabrik meines Großvaters hing da immer
noch in der Luft. In München gab es Kleinkunstbühnen wie die „KEKK“, auf denen
man sich als Solist mit was Eigenem stellen konnte.
KP: Sie haben gerade gesagt, dass
ihre ersten Texte „eher Tagebuchcharakter hatten“? Wie wichtig ist Ihnen der
Text? Ist er wichtiger als die Musik?
Irmscher: Beides ist mir
wichtig. Text und Musik sind zwei Seiten derselben Sache. Wenn mir bei einem
Lied die Melodie noch nicht gefällt, habe ich das Gefühl, ich habe das Thema
emotional noch nicht verdaut. Oder ich habe eine achteckige Emotion, dass ich
nur einen Rap schreiben kann.
KP: Stichwort Rap – wie sind Sie
zu dieser eher jungen Kunstform gekommen?
Irmscher: Die Raps kommen
einfach zu mir. Es ist ein Ausdrucksmittel für mich. Mit der Szene habe ich
überhaupt nichts zu tun. 1983, als ich meinen ersten Rap schrieb, sagte ein
Freund zu mir: Das ist ein Rap. Ich habe damals fünf Mal nachfragen müssen, bis
ich mir das Wort merken konnte.
KP: Wenn man sich ihr Werk
anschaut, sticht vor allem die Vielfältigkeit ins Auge. Wo sehen Sie die
Grundlagen Ihres Schaffens?
Irmscher: Ich erzähle gerne
Geschichten. Die Musik suche ich mir passend zum Thema. Dafür kämme ich schon
mal meine Plattensammlung durch. Aufs Erzählen bin ich in Irland gekommen. Dort
habe ich mich mit irischen Songs vollgesogen. Außerdem habe ich einen Liedermacher aus der dominikanischen Republik für
mich entdeckt: Juan Luis Guerra – vom erotischen Liebeslied über Politsongs bis
zum Gebetslied singt der alles. Seine Musik gefiel mir so gut, dass ich mir 2000
ein spanischsprachiges Programm erarbeitete.
KP: Wie würden Sie Ihren Stil
beschreiben?
Irmscher: Wenn ich etwas freiweg
mache, ist das schon sehr vom Folk beeinflusst. Manchmal ist es auch rockig.
Ich versuche immer ein wenig lautmalerisch zu komponieren.
KP: Wie kommen Sie zu Ihren
Geschichten? Gibt es da eine Agenda, die Sie verfolgen?
Irmscher: Ich singe über Dinge, die mich so beschäftigen,
dass ich darüber einen Kommentar abgeben muss – und das
ist schon von meinen Einstellungen beeinflusst. Auch fange ich an zu
dichten, wenn ich von etwas sehr ergriffen bin – wenn mir das Herz aufgeht.
KP: Herr Irmscher, ich danke für das Gespräch.
*Georg Franz Kreisler (1922-2011), in Wien geborener Komponist, Sänger und Dichter.
Hamburg, Mölln, München, Zwickau, Flensburg und seit ein paar Jahren wieder Mölln. Klaus Irmscher hat den einen oder anderen Umzug in seinem Leben hinter sich. Er, ein Ur-Möllner, der Kindheit und Jugend in der Stadt verbrachte, weiß, wovon er spricht, wenn er heute sagt, das Lauenburgische sei seine Heimat. Er fühle sich hier verwurzelt, fühle sich hier am Wohlsten. Die Lauenburger mag er wegen ihrer Offenheit und ihrem Elan, Dinge anzupacken.
Wohl auch dank seiner beruflichen Wanderjahre ist ihm diese
Liebe zur Heimat so bewusst geworden. Es ist eine Liebe des offenen Ohres und
der offenen Türen, eine Liebe, die nicht ausschließt, sondern einschließt und
immerzu auf der Suche ist. Da erscheint es nahezu logisch, dass er in einem
Nebensatz erklärt, er habe mit Mitte 60 noch angefangen, Persisch zu lernen.
Wegen seiner persischen Freunde.
Wie es ist, sich fremd zu fühlen, musste ihm niemand
beibringen. Als Spross einer sächsischen Migrantenfamilie wurde dem jungen
Irmscher gesagt, dass er um Gottes Willen nicht sächseln solle. „Sonst wäre ich
als Flüchtling aufgefallen.“
Die offenen Türen des Klaus Irmscher machen es möglich als
Fremder zweieinhalb Stunden in seinem Wohnzimmer in der Hammaburgstraße zu
sitzen und mit ihm über seine Lieben und sein Leben zu plaudern. Über seine
Verluste und seine Krisen. Denn der Weg, zu dem begabten und einfallsreichen
Songschreiber, der er heute ist, war nicht nur rein geografisch weit. Der
pfiffige Umgang mit Worten und textlichen Versatzstücken in allen erdenklichen
Sprachen brauchte Zeit und auch eine gewisse Frustrationstoleranz.
Als er in den 80er Jahren in eine berufliche Krise geriet
und arbeitslos wurde, gesellte sich eine Schaffenskrise dazu. Seine Texte
hätten nicht den nötigen Witz und die nötige Tiefe gehabt, um das Publikum zu
begeistern, erinnert er sich an diese Zeit. Am Ende habe er sich nicht einmal
mehr selbst begeistern können.
Irmscher legte die Gitarre beiseite.
Sein Comeback feierte er 1994. Er besann sich auf Songs wie den „Fusch-Fusch-Man“, ein Lied, das seine Erfahrungen als Arbeitsvermittler aufs Korn nimmt. Auf Lieder, die Geschichten erzählen, ohne den erhobenen Zeigefinger gleich mitzuliefern. Das gefiel ihm und es gefiel dem Publikum. Die Krise war passé. Freude, Kreativität und Motivation waren zurück. Wenn sich all das auch noch mit Können verbindet, strahlt das natürlich zurück. In den 90er Jahren erriet ein kubanischer „Hotelmann“ seine Musikalität. Kurz darauf stand er mit ihm auf der Bühne, um ein bayerisches Volkslied und „Ba-Ba-Banküberfall“ anzustimmen. In den 2000ern tourte er als Mitglied von „Liederjan“ durch Deutschland. 2016 erhielt er schließlich den Kulturpreis der Stiftung Herzogtum Lauenburg.
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