Isabelle von Schilcher (Foto: Benjamin Stumpf) hat aktuell die künstlerische Leitung des Künstlerhauses Lauenburg inne. Sie vertritt Marita Landgraf, die in Elternzeit ist. Die junge Frau, die in Münster an der Kunstakademie studiert und bereits an mehreren Standorten im organisatorischen Bereich tätig war, hat an ihrer neuen Dienststätte gleich mit mehreren Herausforderungen zu tun: Das Künstlerhaus feiert dieses Jahr 35. Geburtstag, bekommt die langersehnte Stadtgalerie und hat nebenbei – wie alle Kultureinrichtungen – mit Covid-19 zu kämpfen. Kulturportal-Herzogtum.de sprach mit der 37-Jährigen über ihren neuen Job.
KP: Seit November haben Sie die künstlerische Leitung inne. Wie gefällt Ihnen Ihre Aufgabe?
Von Schilcher: Ausgesprochen gut. Ich war von Anfang an begeistert von der Energie im Haus. Natürlich ist das Haus selber schon so, dass man es einfach nur toll finden kann. Die Lage an der Elbe, die Ateliers, die Möglichkeit, Stipendien zu vergeben, der Bau der Stadtgalerie und so weiter. Was mich aber am stärksten beeindruckt hat, sind die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler, die im Haus arbeiten – mit welch einer Energie die hier agieren und wie viel Zeit sie investieren. Das hat es mir leicht gemacht, mich in die Arbeit hineinzuwerfen und die Fäden aufzunehmen, die mir Frau Landgraf übergeben hat.
KP: Wie viele Ehrenamtler engagieren sich für das Künstlerhaus?
Von Schilcher: Im Moment sind es 14, die im Haus aktiv sind. Da gibt es natürlich Frau Mechau-Krasemann, die den ersten Vorsitz macht. Das ist meiner Meinung nach im Moment ein Fulltime-Job. Es gibt die zweite Vorsitzende Angelika Fobian, die immer präsent ist und an allen möglichen Gesprächen und Entscheidungen beteiligt ist. Da ist Isabel Renken, die quasi die ganze Gastronomie unter ihren Fittichen hat. Da sind die Leute, die in der Technik arbeiten und gerade dabei sind, das Haus zu renovieren. Wir haben eine Ehrenamtlerin, Ingrid Bussmann, die ein ‚StipendiatInnenarchiv‘ aufbaut. Und viele mehr.
KP: Und dann ist da Isabelle von Schilcher, die hauptamtlich die künstlerische Leitung innehat. Wie viele Stunden sind Sie wöchentlich im Einsatz?
Von Schilcher: Auf dem Papier 15 Stunden.
KP: Das ist überschaubar.
Von Schilcher: Das ist abhängig von den Fördergeldern, die das Haus bekommt. Man arbeitet hier gerne, wenn das Projekt so toll ist. Ich sage aber auch: Wir brauchen dringend mehr Stunden für die künstlerische Leitung, vor allem jetzt wo wir die Stadtgalerie dauerhaft bespielen.
KP: Sie sagten gerade, dass im Künstlerhaus aktuell sehr viel passiert. Wie schaffen Sie es, Abstand zu halten und sich nicht in die Quere zu kommen?
Von Schilcher: Das entzerrt sich total. Die Leute arbeiten zu unterschiedlichen Zeiten.
KP: Haben Sie derzeit Stipendiatinnen und Stipendiaten im Haus?
Von Schilcher: Im Moment nur einen – Christian Helwing. Er arbeitet auf Einladung bei uns im Haus und das für ein ganzes Jahr. Alle weiteren Belegungen haben wir aufgrund von Corona abgesagt.
KP: Wie viele Stipendiatinnen und Stipendiaten kommen sonst zu Ihnen?
Von Schilcher: Normalerweise schreiben wir fünf Stipendien aus. Dieses Jahr läuft es anders, auch weil wir den Umbau der Stadtgalerie im Nebenhaus vor uns haben. Da soll es in Zukunft einen großen Durchbruch geben zwischen den Häusern. Allein der Baulärm und alles was da an Umstrukturierungen stattfindet, hat es uns unmöglich gemacht, die Stipendien in diesem Jahr regulär auszuschreiben. Was wir 2021 ausschreiben, ist ein viermonatiges Arbeitsstipendium ohne Residenzpflicht für eine Künstlerin beziehungsweise einen Künstler mit Kind. Da läuft die Bewerbungsfrist noch bis zum 15. Mai. Wir haben gedacht, wir machen jetzt mal etwas, was Leute anspricht, die normalerweise nicht von den Residenzstipendien bei uns profitieren können. Künstlerinnen und Künstler mit Kind sind immer gerne gesehen, aber für die ist das organisatorisch oft nicht möglich, zum längeren Aufenthalt zu kommen.
KP: 2022 kehren sie bei der Stipendienvergabe dann aber wieder zum ursprünglichen Umfang und Prozedere zurück?
Von Schilcher: Nicht ganz. 2022 schreiben wir nur noch vier Stipendien regulär aus. Zwei im Bereich bildende Kunst, eins im Bereich Komposition und eins im Bereich Literatur. Hinzu kommt ein Stipendium, das wir in Zukunft jährlich auf Einladung vergeben wollen. Da geht es dann um einen Künstler, der ortsspezifisch in Lauenburg arbeitet oder sich mit dem Thema Lauenburg auseinandersetzt, in Verbindung mit einer Ausstellung in der Stadtgalerie. Die Anbindung der Stadtgalerie bedeutet eine große strukturelle Veränderung. Da müssen wir unser Konzept jetzt einfach anpassen.
KP: Geht es auch darum, das Künstlerhaus stärker im Bewusstsein der Lauenburger zu verankern? Ich erinnere mich, dass auch Frau Landgraf dieses Ziel verfolgt hat. Moderne Kunst gilt ja bei vielen als abgehoben.
Von Schilcher: Klar geht es auch darum, die Leute vor Ort zu begeistern. Wir müssen jetzt mit der Stadtgalerie und dem Programm, was wir da machen, an sie herantreten. Wir wollen ihnen die Möglichkeit bieten, noch mehr Interesse zu entwickeln.
KP: Sie halten also an der Strategie fest, näher an die Einheimischen heranzurücken?
Von Schilcher: Genau. Wir wollen auf keinen Fall wie ein Ufo landen und völlig aus dem Kontext gerissen Dinge zeigen, mit denen keiner was anfangen kann. Das wäre tatsächlich abgehoben. Natürlich soll zeitgenössische Kunst zu sehen sein. Wir wollen beispielsweise mit der jährlichen ,StipendiatInnen-Ausstellung‘ zeigen, was hier im Künstlerhaus als Produktionsstätte entsteht. Der Ortsbezug – das habe ich auch von Frau Landgraf vermittelt bekommen – ist der rote Faden.
KP: Auf der anderen Seite bekommen Sie aber auch Unterstützung von außerhalb – zum Beispiel vom Land Schleswig-Holstein.
Von Schilcher: Genau. Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein fördert unter anderem das Stipendienprogramm.
KP: Und Sie sind eine Adresse in der Kunstszene, wo sich Menschen aller Herren und Frauen Länder bewerben können.
Von Schilcher: Natürlich wollen wir uns nicht beschränken. Wir machen ein internationales Programm und schaffen uns damit die Möglichkeit, über Ländergrenzen hinweg namhafte Künstlerinnen und Künstler nach Lauenburg einzuladen.
KP: Neue Möglichkeiten bietet Ihnen vermutlich auch die Stadtgalerie, die Sie bereits erwähnt haben. Wie kam es zu diesem Projekt?
Von Schilcher: Die Idee der Stadtgalerie gibt es schon lange. Es gab auch schon mal einen temporären Ort für die Stadtgalerie, die bis 2016 im Hagenström* betrieben wurde. Danach gab es die ‚Stadtgalerie im öffentlichen Raum‘. In diesem Rahmen sind dann auch weitere Projekte entstanden. Jetzt stellt uns Franz Hitzler für die Stadtgalerie Teile des Nachbarhauses zur Verfügung.
KP: Die gute Nachricht lautet: Das Künstlerhaus und Lauenburg können der Kunst mehr Raum geben. Gegenwärtig haben solche Nachrichten allerdings immer einen faden Beigeschmack. Viele Galerien und Ausstellungshäuser haben aktuell geschlossen. Kunst findet vor allem im digitalen Raum statt. Wie sehen Sie das? Wie sehen die Künstlerinnen und Künstler das?
Von Schilcher: Das ist für die meisten eine große Herausforderung. Wir sind da mit vielen – auch mit unseren ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten – in Kontakt. Einige sind durch die Pandemie finanziell hart getroffen. Vielen Galerien geht es auch nicht sonderlich gut. Aber viele Leute entwickeln neue Strategien, um sich weiter zu positionieren und zu zeigen. Wenn es im analogen Raum nicht möglich ist, dann halt im digitalen Raum. Das ist auch eine Chance.
KP: Spiegelt sich das auch bei Ihnen wider?
Von Schilcher: Wir haben einige Künstler, die in Kooperation mit uns arbeiten. Da sind beispielsweise die Hamburger Künstlerinnen Ina Arzensek und Sarah-Christina Benthien vom LÜP**. Sie entwickeln prozessorientierte ortsspezifische, forschende Formate, die auch auf die aktuelle Situation eingehen.
KP: Das hört sich ziemlich abstrakt an.
Von Schilcher: Das ist es tatsächlich auch, wenn man so darüber spricht. Greifbarer sind die Ergebnisse, die sich daraus entwickeln, zum Beispiel in Form von Mailart. Da werden Kunstwerke per Email verschickt. Oder auf dem Postweg. Da ist schon sehr viel Kreativität im Spiel, wie man das Publikum erreicht oder wie Leute in den künstlerischen Prozess involviert werden können. Das geht auch unter Pandemiebedingungen.
KP: Diese Form der Kunstentwicklung und Kunstverbreitung kommt aber nicht allen Künstlerinnen und Künstlern entgegen. Es gibt Kreative, die sagen: Wenn wir unsere Kunst nur in eine virtuelle Galerie stellen können, kaufen die Leute nichts. Geht das Künstlern, die mit digitalen Möglichkeiten arbeiten und spielen genauso?
Von Schilcher: Das kann ich nicht sagen. Ich weiß, dass viele aus der Not eine Tugend machen. Aber prinzipiell lässt sich Analoges nicht ersetzen. Wenn man durch eine Ausstellung geht und Videos ansieht oder Installationen, ist es etwas anderes, als sich das Ganze beispielsweise auf vimeo.com anzusehen. Man steht da einer Sache gegenüber, die in ihrer Substanz vielleicht nicht unbedingt nur digital ist. Andererseits wächst der Anteil der komplett digital arbeitenden Künstlerinnen und Künstler. Das ist natürlich der Zeit geschuldet. Corona hat da gewisse Tendenzen vielleicht noch verstärkt.
KP: Irgendwie ist man ja auch dankbar, dass es die eine oder andere digitale Lösung gibt…
Von Schilcher: Es eröffnet unter anderem auch Möglichkeiten sich Ausstellungen anzusehen, die man sonst nicht gesehen hätte, weil sie beispielsweise zu weit weg sind. Ich habe wegen der Schließungen viele virtuelle Rundgänge gemacht, mir online Ausstellungen angeguckt und an digitalen Künstlergesprächen teilgenommen.
KP: Frau von Schilcher, ich danke Ihnen für das Gespräch.
*Ehemaliges Kaufhaus in Lauenburg
**Labor für Übergänge und Prozesse
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