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Die Kerzen des Johann Hinrich Wichern

Die historischen Wurzeln des Adventes (adventus Domini = Ankunft des Herrn) liegen im 6. Jahrhundert. Papst Gregor der Große (590 – 604) hatte die vier Adventssonntage festgelegt, Karl der Große bestand 200 Jahre später auf vier volle Adventswochen. Schließlich wurde der Streit über die Länge der Adventszeit auf einer Synode im Kloster Limburg 1038 entschieden und durch das Konzil von Trient (1543-1563) sowie 1570 durch Papst Pius V. in der auch heute noch geltenden Form bestätigt. Der Adventskranz ist dagegen wesentlich jünger, noch nicht einmal 200 Jahre alt.

Am 21. April 1808 wurde in Hamburg Johann Hinrich Wichern als ältestes von sieben Geschwistern geboren. Gerade einmal 15 Jahre alt, da starb sein Vater und der älteste Sohn musste – wie in ähnlichen Situationen anderer Familien – die Versorgung der sechs Geschwister übernehmen. In Berlin und Göttingen studierte er Theologie und war ab 1832 im Hamburger Stadtteil St. Georg als Lehrer tätig.

Industrialisierung, Landflucht, Bevölkerungszunahme in den Städten, schwierigste Wohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse und daraus resultierend die Verarmung und Verelendung der Stadtbevölkerung wurden zum alltäglichen Begleiter Wicherns, woraus er seine ganz persönlichen Konsequenzen für sein berufliches Engagement zog. So gründete er schon 1833 mit Unterstützung des Hamburger Senats in einer alten reetgedeckten Kate in Horn, damals noch weit vor der Stadt, ein Rettungshaus für verwaiste und verwahrloste Kinder aus den Elendsvierteln der Stadt. Anfangs wurden 14 Jungen im Alter zwischen fünf und 18 Jahren betreut. Im „Rauhen Haus“, wie die Einrichtung später genannt wurde, erhielten sie nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern auch Schulunterricht und eine Ausbildung.

Wichern sorgte auch für die Ausbildung der Ausbilder, indem er darüber hinaus das Bruderhaus errichtete. Sein Konzept aus sozialer Betreuung, Schule und Ausbildung der Schützlinge und gleichzeitiger Ausbildung der Diakone fand zunehmend Nachahmer und so wurde Wichern zum Vordenker des späteren Centralausschusses für die innere Mission der evangelischen Kirche, aus der die Diakonie hervorging.

Im Rauhen Haus in Hamburg-Horn lag auch der Geburtsort des Adventskranzes. Es war Wicherns ebenso einfache wie zugleich geniale Idee, seinen Schützlingen mit einer handhabbaren Zählhilfe im Advent die Zeit bis zum Heiligen Abend anschaulich zu verkürzen. Dazu nahm Wichern ein hölzernes Wagenrad und besteckte es mit Kerzen für jeden Tag vom ersten Adventssonntag bis zum 24. Dezember, dabei vier weiße für die Sonntage und entsprechend viele für die Werktage dazwischen. So konnten die Kinder und Jugendlichen sehen und zählen, wie viele Kerzen noch nicht brannten und ebenso viele Tage waren es dann noch bis Heiligabend.

„Was gucken die Knaben- und Mädchenaugen so lustig zum Kronleuchter empor? Oh, was sie da sehen, kennen sie wohl. Auf dem Kranz brennt das erste Licht, weil heute der erste Adventstag ist. Brennt der volle Kranz mit allen Lichtern, dann ist er da, der Heilige Christ in all seiner Herrlichkeit“, notierte Wichern. Anders als der Adventskalender mit seinen 24 Fenster für die Zeit vom 1. bis 24. Dezember orientierte Wichern sich an der Adventszeit. Und da diese unterschiedlich lang ist, hatte sein Wagenrad eben auch zwischen 22 und 28 Kerzen. Im Jahr 1839 stellte Wichern das Wagenrad zum ersten Male auf und es war zunächst nicht mit Tannengrün geschmückt. So hat der Adventskranz eben auch keinen germanischen Ursprung, wie mancherorts zu lesen ist, wenn wir ihn heute aus Tanne gebunden kennen. Denn auch diese Ausgestaltung geht auf Wichern zurück. Etwa um 1860 ließ er das Wagenrad mit Tannengrün bestücken.

Vom Rauhen Haus in Hamburg-Horn aus trat der Adventskranz seinen Siegeszug durch ganz Deutschland an, zunächst in die evangelischen Kirchen und anschließend zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die katholischen Gotteshäuser. Und er fand seinen Weg auch in die privaten Wohnungen, wo er aus Platzgründen und wegen der Wärmeentwicklung der vielen Kerzen auf vier Kerzen für die vier Adventssonntage verkleinert wurde, so wie wir ihn heute kennen. Aber auch Kränze in der Originalversion Wicherns finden wir weiterhin: Natürlich im Rauhen Haus, dann aber auch im Hamburger Rathaus und der Stadtkirche St. Michael (Michel), eine besonders große Ausgabe mit 1,5 Tonnen Gewicht im Lüneburger Wasserturm und schließlich im Deutschen Bundestag im Reichstagsgebäude von Berlin. Und mit etwas Mühe findet man auch einen Tischlermeister, der ein Wagenrad mit 28 Löchern zur Aufnahme der maximalen Kerzenzahl fertigt – vorausgesetzt die Größe des eigenen Heimes lässt eine Aufstellung und vor allem Benutzung zu. Hilfsweise kann man ja das Abbrennen der Werktagskerzen auslassen und sich auch so an diesem schönen Adventsbrauch erfreuen, den uns der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern (1808-1881) aus der Hansestadt Hamburg bescherte.

Anders als der Adventskranz hat der Adventskalender mit seiner immer gleichen Größe von 24 Fenstern für die Kalenderzeit vom 1. bis 24. Dezember keinen kulturell christlichen Ursprung. Er stammt aus dem Buchdruckerhandwerk Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.

Lothar Obst

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Licht und Dunkelheit

Es ist November. Es ist dunkel. Es ist die Zeit, in der sich die Sonne rarmacht. Kein Problem für einen Norddeutschen. Wir wissen ja, was auf uns zukommt. Geht man halt ins Solarium. Oder man trifft sich nach Feierabend mit Freunden auf ein Bier. Oder man geht irgendwo anders hin. Ins Kino, ins Theater. Wohin auch immer. Und am letzten November-Wochenende beginnt dann der Adventtrubel.

Normalerweise. Aber was ist in diesem Jahr schon normal? Der Advent, der auf die Weihnacht und damit auf das freudige Ereignis der Geburt Christi abzielt, wird sich 2020 vor allem in den heimischen vier Wänden abspielen. Die Solarien haben seit Anfang November zu. Kinos und Theater sind ebenfalls dicht. Ein Großteil der Weihnachtsmärkte ist bereits abgesagt.

Ein Winter ohne künstliche Vitamin D-Tankstelle ist ja Ok. Aber ein Advent ohne gemeinsamen Punsch, ohne Klönschnack und ohne Weihnachtslieder? Da wird’s dann zappenduster.

Was kann man tun – außer den Nadelbaum im Garten mit einer Lichterkette zu versehen, Sterne in die Fenster zu hängen und das Wohnzimmer festlich zu schmücken?

Eine Frage, auf die jede(r) Einzelne von uns 2020 eine Antwort finden muss. Covid-19 zwingt uns, zu (Über-)Lebenskünstlern zu werden. Dafür tanzen wird eine Art „Pandemie-Twist“. Wir drehen, wenden und winden uns. Wir versuchen das Virus in Schach zu halten. Und noch während wir das tun, drängt es uns, unter Menschen zu sein. Plötzlich ziehen sich Diensttelefonate hin. Auf der Straße kommen Passanten ins Gespräch. Der Gang zum Bäcker wird zum emotionalen Lichtblick. Ja, und wenn dann der Nachbar in der Tür steht, bitten wir ihn herein.

Die Sehnsucht aus der Dunkelheit herauszufinden – sie bahnt sich ihren weg, wann immer sie Gelegenheit dazu hat. Sie lässt sich von einem Virus nicht beherrschen. Das sollte uns Hoffnung machen.

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Ausstellungen

„Opfer rechter Gewalt“

Noch bis zum 24. November ist die Wanderausstellung „Opfer rechter Gewalt seit 1990“ an der Gemeinschaftsschule Mölln zu sehen. Wegen der Pandemie ist die Dokumentation an den Fenstern der Mensa angebracht worden. Besucherinnen und Besucher können Bilder und Beschriftungen von außen betrachten. Zu den Organisatoren der Schau gehören Jörg-Rüdiger Geschke, Kreisfachberater für kulturelle Bildung, Lars Frank von der Stadt Mölln und der Verein „Miteinander leben“.

Die Ausstellung spürt dem Schicksal von 183 Menschen nach, die in der Bundesrepublik aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer klaren Haltung gegenüber Nazismus und Rassismus ermordet wurden. Die Zeit, in der die Dokumentation zu sehen ist, überschneidet sich nicht zufällig mit dem Jahrestag der Möllner Brandanschläge. Am 23. November 1992 fielen drei Bewohnerinnen der Stadt Mölln einem rechtsextremistischen Anschlag zum Opfer.

„Wir haben diese Ausstellung schon lange geplant, aber es hat nie geklappt“, sagte Geschke den Lübecker Nachrichten. Dank seines Engagements und des Einsatzes von Lars Frank ist es nun doch gelungen.

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Aus der Stiftung

„Kultur & Corona – was tun in der Krise?“

Die Kultur steckt wegen der Pandemie in einer tiefen Krise. Wie schon im Frühjahr können aktuell keine Veranstaltungen stattfinden, haben Museen, Theater, Kinos und Konzertsäle geschlossen. Was tun? Wie kann es weitergehen? Dieser Frage widmet sich das Glaspalastgespräch am Donnerstag, 19. November, im Möllner Stadthauptmannshof. Los geht es um 19 Uhr.

Die Glaspalastgespräche finden seit vier Jahren als Netzwerkinitiative statt. Der Raum im Herrenhaus des Stadthauptmannshofes wird wegen seiner großflächigen Glaswand liebevoll „Glaspalast“ genannt. Im Rahmen der Kulturknotenpunktarbeit steht dieser Name symbolisch für Transparenz, Vernetzung und Förderung eines gedanklichen Austausches aller Kulturinteressierten.

Neben Informationen zur aktuellen Entwicklung des Kulturknotenpunktes erhalten die Teilnehmer an diesen Abenden die Möglichkeit, sich und ihre Tätigkeit vorzustellen, andere Kulturschaffende kennen zu lernen und gemeinsame Interessen zu entdecken. Anmeldung unter Tel. 04542-87000 oder info@stiftung-herzogtum.de ist erwünscht.

„Kultur & Corona – was tun in der Krise?“, Glaspalastgespräch, 19. November, Herrenhaus, Stadthauptmannshof, Hauptstraße 150, Mölln, 19 Uhr

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Filmprojekt zum Barber-Ljaschtschenko-Abkommen

Mit einem Filmprojekt erinnert das Grenzhus Schlagsdorf an das vor 75 Jahren zwischen Briten und Sowjets ausgehandelte Barber-Ljaschtschenko-Abkommen. In einem ersten Beitrag sprechen Grenzhus-Leiter Andreas Wagner und Kreisarchivarin Anke Mührenberg über das Ereignis. Die Fragen stellt Heike Götz (NDR). Die Veröffentlichung weiterer Filme ist im Wochenrhythmus geplant.

In diesem Jahr haben die Ämter Rehna, Gadebusch, Zarrentin und Lauenburgische Seen, koordiniert von der Stadt Gadebusch, ein Erinnerungsprojekt zum Gebietsaustausch gestartet. In Zusammenarbeit mit dem Grenzhus Schlagsdorf entstand eine Wanderausstellung. Wegen der Pandemie-Einschränkungen ist diese nicht zugänglich. Zudem kann die geplante Jubiläumsveranstaltung in Gadebusch nicht stattfinden. Deshalb wurde durch die TV-Film-Nord GmbH und dem Regisseur Ulrich Koglin ein Filmprojekt entwickelt.

Worum geht es? Am 13. November 1945 unterzeichneten die beiden Generalmajore Colin Muir Barber und Nikolai G. Ljaschtschenko in Gadebusch die Vereinbarung über einen Gebietsaustausch zwischen der britischen und der sowjetischen Besatzungszone. Die Gebiete A und B mit den Gemeinden Dechow, Thurow und Lassahn wechselten von der britischen zur sowjetischen Besatzungszone und umgekehrt kam das Gebiet X mit den Gemeinden Ziethen, Mechow, Bäk und Römnitz von der sowjetischen Besatzungszone in die britische. Dieser Gebietsaustausch hatte langfristige Folgen für die Menschen, die teilweise bis nach der deutschen Einheit andauerten.

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Das Filmprojekt wurde gefördert durch die Staatskanzleien von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, dem Landkreis Nordwestmecklenburg, der Stadt Gadebusch, der Landeszentrale für politische Bildung M-V, der Kreissparkassenstiftung Herzogtum-Lauenburg, der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Nordwest, dem Förderverein Biosphäre Schaalsee, dem Filmclub Burgtheater Ratzeburg e. V. und Politische Memoriale e. V.

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„Claudia Bormann weitet ihren Blick immer wieder aufs Neue“

Der diesjährige Kulturpreis der Stiftung Herzogtum-Lauenburg geht an die Künstlerin Claudia Bormann. Als Zweite Vorsitzende des BBK Schleswig-Holstein freue ich mich sehr über das Engagement der Stiftung, die mit der Verleihung des Kulturpreises Kunst- und Kulturschaffende in unserem Land unterstützt.

Es freut mich besonders, dass mit Claudia Bormann eine Künstlerin geehrt wird, die seit vielen Jahren aktives Mitglied in unserem Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler ist.  Claudia Bormann nimmt seit 1994 regelmäßig an der jährlich stattfindenden Landesschau, an der Schau der 1000 Bilder sowie an weiteren Ausstellungen des BBK teil.  2017 erhielt sie den Publikumspreis der BBK-Landesschau in der Stadtgalerie Kiel.

Claudia Bormann hat ihre Malerei in den letzten 20 Jahren zu einem umfangreichen, eigenständigen Werk entwickelt. Ausgehend von Kohlezeichnungen und stark abstrahierten Schwarzweißmalereien ist eine Kunst entstanden, die die freie künstlerische Geste mit einer hochentwickelten Technik impressionistischer Darstellung verknüpft.

Die großformatigen Malereien fesseln den Betrachter auf unterschiedlichen Ebenen. Beim Anblick der Bilder erlebt man zunächst das Moment der Wiederkennung einer landschaftlichen Situation. Eine Spiegelung auf dem Wasser, eine Anordnung von Bäumen am Ufersaum, Lichtstimmungen einer bestimmten Witterung. Die Landschaften strömen Ruhe aus und Intimität, ein eng gefasster, naher Bildausschnitt macht den Blick zu etwas Persönlichem, Privatem.

Betrachtet man das Bild weiter oder tritt näher an es heran, scheint eine weitere Lesart des Bildes auf: Man sieht plötzlich die Malerei, die auf der zweidimensionalen Fläche stattfindet. Man vergisst Abbildhaftigkeit, Illusion und Tiefenraum und findet sich in einem ungegenständlichen Bild wieder: Große, mutige Pinselstriche, kontrastierende Farbsetzungen, Verläufe und Verwischungen treten dem Betrachter als  reine Malerei vor Augen. Wir spüren die Sogwirkung einer Farbfläche, folgen mit dem Blick den Bewegungen des Pinselduktus, genießen die Freiheit pastos gesetzter Farbe, um im nächsten Moment in der Transparenz lasierender Farbschichten zu versinken. Die spannungsreiche Bildkomposition führt unseren Blick durch das abstrakte Bild wie durch eine zweite Landschaft, die nur in der Malerei besteht.

Diese simultane Erfahrung in der Wahrnehmung begründet wohl den anhaltenden Erfolg, den Claudia Bormanns Kunst genießt. Ihre große, technische Perfektion ist die Voraussetzung für das Schaffen dieser wirkmächtigen Bildsprache.

Die Künstlerin präsentiert ihre Malerei seit vielen Jahren in anspruchsvollen Einzel- und Gruppenausstellungen. Beispielhaft genannt seien hier Ausstellungen  im Ratzeburger Kreismuseum, im Möllner Museum, im  Ostholstein-Museum Eutin, im Hafenmuseum Bremen und in der Sparkassenstiftung Kiel. Zahlreiche Ausstellungen in Galerien sowie Ankäufe öffentlicher Sammlungen unterstreichen die große Wertschätzung, die Bormanns Kunst in Fachkreisen genießt.

Claudia Bormann entwickelt ihre Malerei stetig weiter. Sie entwirft für bestimmte Ausstellungsformate eigene Bildserien. So hat sie für die Ausstellung „Verwehte Orte“ im Landesmuseum Schloss Gottorf einen umfangreichen Bildzyklus geschaffen, der sich mit der Geschichte des Ortes befasst und seine untergegangene Vergangenheit in neuen Bildschöpfungen aufscheinen lässt.  

Claudia Bormann weitet ihren Blick immer wieder aufs Neue. Sie öffnet sich, betritt unbekanntes Terrain und findet so die Sujets für ihre Kunst.

Mehrmonatige Arbeitsaufenthalte haben die Künstlerin in den letzten Jahren nach Südafrika, nach Island, nach Brasilien und Indien geführt. Diese Reisen gestaltet Bormann in ganz bestimmter Weise,  welche charakteristisch für ihre  Haltung ist: Sie begegnet dem Ort und den Menschen mit größtmöglicher Offenheit.

Sie beobachtet, wie der Regen am Amazonas die Landschaft unter Wasser setzt und eine amphibische Welt entstehen lässt. Diese „Zwischenwelt“, wie sie es nennt, wird später zum Thema einer ganzen Werkreihe. Sie aquarelliert, fotografiert, lässt sich Zeit. Sie setzt sich stundenlang an die Ghats in Varanasi in Indien, und lässt sich von Menschen und Natur einnehmen. Besuche von Yoga-Zentren und Vorlesungen an der dortigen Universität tragen ebenso zu ihren Eindrücken bei wie Gespräche über Kunst mit ortsansässigen Künstlern. Claudia Bormann grenzt sich nicht ab, sie lässt sich ein. Sie kommt an einen Ort nicht mit vorgefertigten Erwartungen. Sie setzt sich dem Leben aus und versucht, die Erfahrungen in neue Bildfindungen zu gießen.

Dabei betrachtet sie alles Gesehene mit dem Blick der Malerin. Wo bilden Farben und Formen eine interessante Komposition, wo entsteht ein aussagekräftiges Zusammenspiel von Bildgegenständen?

Das Formale spielt bei all dem immer eine Rolle. Aber Bormann bleibt bei der Auswahl ihrer Motive nicht beim Formalen stehen. Die Wasserbassins der Ghats in Indien sind Orte des religiösen Rituals. Hindus aus dem ganzen Land pilgern dorthin, um sich zu reinigen, um zu opfern oder um ihre Angehörigen in Feuerbestattungen am Ganges zu verbrennen. Claudia Bormann beobachtet, was Menschen bewegt und leitet. Und so finden die religiösen Rituale Einzug in Bormanns Bilder: In den hier ausgestellten Werken „Sunken Idols I“  und „Sunken idols II“ aus den Jahren 2019 und 2020  sehen wir den Ausschnitt eines solchen Wasserbassins, in den die Menschen Figuren, Schmuck und Blütenblätter als Ausdruck ihrer religiösen Demut geworfen haben. Die Spur ihres Tuns wird zum Bildinhalt bei Bormann.

Claudia Bormann betrachtet das Heilige und das Profane mit der gleichen, wertfreien Offenheit: das Opferritual in heiligem Wasser verfolgt sie mit gleichem Interesse wie die Verhandlungen über den Holzpreis, die am selben Ort geführt werden. Sie sieht die ins Wasser geworfenen Blüten- und Schmuckopfer mit demselben Blick wie die im Wasser umhertreibenden Plastiktüten. Alles nimmt Bormann in ihre Bildwelt auf und lässt es nebeneinander bestehen.

In der Bildserie „Sunken idols“ wird somit beides sichtbar: Claudia Bormanns Blick auf die Menschen und das, was sie ausmacht sowie ihr untrügliches Gefühl für formal spannende Bildfindungen.

Leuchtende, buntfarbige Erscheinungen der Wasseroberfläche erstrahlen neben verwischten, eingetrübten Bildstellen, die einen Blick in die Tiefe des Wassers freigeben. Nach kurzer Distanz ist diese dem einfallenden Licht und unserem Blick entzogen. Versunkenes, Vergangenes wird mehr zur Ahnung als zum gesehenen Objekt. Uns so entsteht beim Betrachten von Bormanns Bildern immer auch das Moment des Zurückgeworfenseins auf uns selbst  und unsere Vorstellungskraft. Wir werden aufmerksam auf das, was unter der Oberfläche liegt und sich unserem Blick entzieht. Im Gewahrwerden, dass unser Blick immer nur einen momentanen Eindruck einfängt, ohne das Ganze zu sehen, kann der Betrachter in der Auseinandersetzung mit  Bormanns Kunst selbst zu einer demütigen Haltung finden.

Elke Schweigart (Berufsverband Bildender Künstler)

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Vorfahrt für die Jugend

„Beat and Dance“ ausgezeichnet

Im Rahmen der Kulturpreisverleihung 2020 durfte sich auch das Projekt „Beat and Dance“ freuen. Die Nachwuchsmusikerinnen und Nachwuchsmusiker wurden von der Stiftung Herzogtum Lauenburg für ihre herausragende Leistung mit dem Förderpreis für Jugend und Kultur gewürdigt. Unter dem Motto „Begegnungen“ hatten sie Videos produziert und auf www.Kultursommer-am-Kanal.de online gestellt. Wie so viele andere Kulturveranstaltungen in diesem Jahr war die für die Bühne geplante Vorstellung wegen der Pandemie abgesagt worden.

Michael Schmerschneider, Leiter des Fachbereichs „Musik und Kultur“ der Vorwerker Diakonie, würdigte in seiner Laudatio den „Mut, das Engagement und das Improvisationstalent“ der Nachwuchsmusikerinnen und Nachmusiker und des Teams dahinter. Für „Beat and Dance“ nahmen Schwarzenbeks Bürgermeister und ehemals Leiter des Jugendzentrums Schwarzenbek Norbert Lütjens, KulturSommer-Intendant Frank Düwel, der technische Mastermind Benjamin Tschuschke – ebenfalls vom Jugendzentrum Schwarzenbek – sowie die Musiker Tim Seifert und Jannes Moritz den Preis entgegen.

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Aus der Stiftung Nördlich der A24

Zweifelnde am Ziel

Zweifel an sich selbst. Claudia Bormann hat sie lange in sich getragen. Kann ich das? Ist das, was ich mache, überhaupt gut genug? Sind andere nicht viel besser, viel talentierter als ich? Sie hat darüber gebrütet. Immerzu – über den „Mythos der Begabung“, wie sie es nennt.

Vom Weg abgebracht hat es sie nicht. Es ist ein Weg mit vielen Schritten. Mit Umwegen, auch Sackgassen. Es ist das Leben. Ihr Weg.

Den ersten Schritt macht sie in der Pubertät. Als 13-Jährige entdeckt sie die bildende Kunst für sich. Fortan rennt sie in jede Ausstellung, derer sie habhaft werden kann. Sie beginnt gegen die gesellschaftlichen Erwartungen und Moralvorstellungen zu rebellieren. Sie wendet sich gegen die Familie – gegen das Bildungsbürgerliche ihres Elternhauses. „Mir war das alles zu spießig“, sagt sie rückblickend. Heute findet sie ihr Verhalten „egozentrisch“.

Doch es sind die 70er und sie ist mit ihrem Aufbegehren ganz ein „Kind“ der Zeit. Claudia Bormann schließt sich der Hausbesetzerszene an. Wenn auch nicht an „vorderster Front“. In den deutschen Großstädten hat sich die Jugend hier ihre eigene Popkultur geschaffen, deren Soundtrack aus bundesdeutschen Fenstern dröhnt. „Ton Steine Scherben“ singen den „Rauch-Haus-Song“ oder „Keine Macht für Niemand“.

Claudia Bormann hört Pink Floyd. Aber ideell ist sie ganz bei Rio Reiser & Co. Auf keinen Fall möchte sie fremd bestimmt sein. Für sie heißt das: Sie will freie Künstlerin werden. Dafür ist sie nach Stuttgart gekommen, wo sie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste studiert. Dort ist sie unter Gleichgesinnten, was sich nicht nur als Erfüllung eines Traums entpuppt. Es ist auch ein Erwachen in der Realität. „Die Selbstzweifel künstlerischer Art, die mich ständig begleitet haben, die muss man an der Kunstakademie ganz hart erleben“, erinnert sie sich. Da treffe man auf Leute, wo man denke: „Wow, der schwimmt einem jetzt davon und macht die ganz große Karriere.“

Während einige Kommilitonen offensichtlich wissen, wohin die ästhetische Reise für sie gehen soll, sucht die junge Claudia Bormann noch nach ihrer eigenen Handschrift, ihrem eigenen Stil. Diese Suche endete auch nicht mit dem abgeschlossenen Kunststudium. Auf eine gewisse Art bleibt sie eine Unvollendete. Die wasserkinetischen Objekte, die sie für Kunst am Bau erfindet, machen sie nicht froh. Sie probiert es mit allen erdenklichen Genres und Techniken – mit Installationen, mit Collagen. Nichts davon zündet so richtig.

Mitte der 90er nimmt sie schließlich Farben und Pinsel in die Hand – ohne große Überzeugung. „Malen, hatte ich immer gedacht, kannst du nicht.“

Sie malt. Landschaftsbilder. Große Bilder, die so „realistisch wie nötig und so abstrakt wie möglich“ sind. Es ist die Entdeckung eines, ihres Stils. Die Naturbetrachtungen, denen etwas Romantisches anhaftet, schlagen ein. Hier ist sie plötzlich sie selbst und es ist ausgerechnet die Welt ihrer Kindheit, der sie einst entkommen wollte und die sich in dieser Kunst nun Bahn bricht. Die Wälder, die sie malt, sind die Wälder, die sie sah, wenn sie mit ihrem Vater in Wertheim an der Tauber durch die Natur streifte.

Der ästhetische Rückgriff ist zweifellos ein Erfolg, doch Ruhe gibt er ihr nicht. Als frei Künstlerin hat sie kein geregeltes Einkommen. Das sorgt sie. So sehr, dass ihre Arbeit darunter leidet. Claudia Bormann muss einsehen, dass die Jobbeschreibung der freien Künstlerin nicht ihrem persönlichen Profil entspricht.

Die Einsicht ist schon da, als es sie in den hohen Norden – nach Ratzeburg – zieht. Eine Kollegin ihres Mannes – sie hat einen Kunsterzieher geheiratet – schlägt ihr vor, es an der Schule zu probieren.

Claudia Bormann wird Lehrerin. Sie erhält eine Anstellung am Marion-Dönhoff-Gymnasium. Jetzt profitiert sie davon, dass ihre Ausbildung an der Kunstakademie so praxisorientiert war. Auch dass sie parallel dazu Kunst- und Literaturgeschichte an der Stuttgarter Uni studiert hat, erweist sich als nützlich.

Für Vertreter der reinen Lehre mag es paradox klingen, aber ohne Geldsorgen gelingen ihr (noch) bessere Kunstwerke. So sieht sie es, so sehen es tausende, die in ihre Ausstellungen strömen. So sehen es die Kunstliebhaber, die ihre Bilder kaufen.

Die Claudia Bormann des Jahres 2020 malt mit Leichtigkeit und Selbstbewusstsein. Manchmal gewinnt ihre Arbeit sogar etwas Tänzelndes. Die Leinwand am Boden. Farbe, die zu Strichen wird, um sich später aus der Ferne auf wundersame Weise in Flüsse, Pflanzen oder Wälder zu verwandeln. Dazwischen pendelnd die Künstlerin. Immer unterwegs. Der Pinsel wandert über das Papier. Das Gesicht der Künstlerin darüber. Mitunter skeptisch, aber immer in gespannter Erwartung.

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Claudia Bormann ist Kulturpreisträgerin 2020

Am vergangenen Sonnabend (14. November) wurde die Malerin Claudia Bormann von der Stiftung Herzogtum Lauenburg mit dem Kulturpreis 2020 ausgezeichnet. Wegen der Pandemie war bei der Zeremonie nur ein kleines, ausgewähltes Publikum zugelassen. Kulturportal-Herzogtum.de präsentiert an dieser Stelle einen Filmbeitrag von der Preisverleihung.

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Malerin mit Strahlkraft & regionaler Verankerung

Der Kulturpreis der Stiftung Herzogtum Lauenburg 2020 geht an die Künstlerin Claudia Bormann. Die Malerin nahm im Stadthauptmannshof pandemiebedingt vor wenigen geladenen Besuchern die Auszeichnung von Präsident Klaus Schlie und Vizepräsident Wolfgang Engelmann entgegen. Der Preis ist mit 2.000 Euro dotiert. Bormann hat sich mit ihren großformatigen Landschaftsbildern einen Namen gemacht.

Die Entscheidung über den Kulturpreis hatte eine fünfköpfige Jury getroffen. Jörg-Rüdiger Geschke, Kopf dieser Jury, hob in seiner Laudatio „die außerordentliche Qualität“ und das „überregionale Renommee“ von Claudia Bormanns Arbeit hervor. Dies seien für die Kunst wichtige Kriterien. Für den Kulturpreis der Stiftung Herzogtum Lauenburg gebe es aber noch zwei weitere: die regionale Verankerung und das gesellschaftliche Engagement. „Auch hier hat uns Frau Bormann überzeugt. Sie ist in der Region und für die Region tätig – sei es im Lauenburgischen Kunstverein, als Pädagogin am Möllner Gymnasium oder als Kunstvermittlerin im ‚Gleis 21‘ oder anderen Projekten für die Jugend“.

Dem Werk Bormanns widmete sich Elke Schweigart, stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes Bildender Künstler, in einer weiteren Laudatio. „Ihre Bilder“, sagte sie, „verknüpfen die Illusion eines Landschaftseindrucks mit der Wahrnehmung reiner Malerei zu einem simultanen Erlebnis.“ Dieses Erlebnis sei in der Qualität ihrer Arbeit begründet. „Ihre Werke zeichnen eine enorme Strahlkraft aus. Sie begründen eine wichtige Position in der zeitgenössischen Malerei.“

Bormann lebt seit Mitte der 90er Jahre in Ratzeburg. Zu ihrer Vita gehören ein abgeschlossenes Studium an der Staatlichen Kunstakademie in Stuttgart sowie ein Studium der Kunst- und Literaturgeschichte an der Universität Stuttgart. Bis Ende der 90er Jahre hat sie ausschließlich als freischaffende Künstlerin gearbeitet. Seit 2000 ist sie zudem Lehrerin für Kunst am Marion-Dönhoff-Gymnasium. Für ihr Schaffen wurde sie unter anderem 2017 mit dem Publikumspreis des Berufsverbandes Bildender Künstler ausgezeichnet. 2016 kürte die Sparkasse Schleswig-Holstein eines ihrer Werke zum „Bild des Monats“.

Im Zuge der Kulturpreisverleihung zeichnete die Stiftung Herzogtum Lauenburg das Projekt „Beat and Dance 2020 – Begegnungen“ mit dem Förderpreis für Jugend und Kultur aus. Die Jury würdigte damit dessen herausragende Leistung im Rahmen des KulturSommers am Kanal 2020. Im Jugendzentrum Schwarzenbek hatten die Musikerinnen und Musiker wegen der Pandemie ihre Kunst per Video online präsentiert.

Diese Entscheidung wurde ebenfalls von dem fünfköpfigen Jury-Team getroffen, dem neben dem Vorsitzenden Geschke die Musikpädagogin Dorothea Lemper-Görrissen, die Künstlerin Eva Ammermann, Peter Seibert von der Kreismusikschule sowie Wolfgang Engelmann, Vizepräsident der Stiftung Herzogtum Lauenburg angehörten.